Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Klimaextreme und deren vielfältige Auswirkungen
Wann immer in der öffentlichen Debatte zur internationalen Klimapolitik die Rede auf das “Zwei-Grad-Ziel” kommt, mag sich dies zunächst nach einem “überschaubaren” Risiko anhören. Denn dieses Ziel bezieht sich auf die Begrenzung der mittleren globalen Erwärmung auf zwei Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit und schließt damit auch die 71 Prozent mit Ozeanen bedeckte Oberfläche ein. Der Klimawandel verläuft jedoch nicht homogen über die Erdkugel: Insbesondere über Land erwarten wir rapide Erhöhungen der lokalen Mitteltemperaturen. Eine globale Temperaturerhöhung von zwei Grad Celsius würde über Land im Mittel deutlich höhere Temperaturen und insbesondere Temperaturextreme bedeuten. Noch kritischer für Ökosysteme sind sehr wahrscheinlich Änderungen der Niederschlagsmuster, die beispielsweise zu Dürren und entsprechenden Ernteeinbrüchen und großflächigem Absterben von Bäumen als potenzielle Folge führen. Das trocken-heiße Jahr 2018 war in Mitteleuropa ein erster Vorgeschmack auf diese Szenarien und wurde 2019 von einem ebenfalls sehr warmen Jahr zu einem ökologischen Problem. Ob dieses Ereignis an sich schon als Vorbote des Klimawandels zu lesen ist, sei dahingestellt. Unbestritten ist aber, dass sich die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse bereits jetzt erhöht hat und in Zukunft enorm erhöhen wird.
Uns stellt sich nun die Frage, wie sich Extremereignisse wie Hitzewellen und Dürren, oder eine Sequenz solcher Ereignisse, genau auf Ökosysteme und deren Funktionen auswirken. Direkte Auswirkungen sind für die Nahrungssicherheit zu befürchten, da global Ernteausfälle nicht zu vermeiden sein werden. Einige Regionen der Welt, etwa Indien, könnten besonders betroffen sein. Doch auch für das globale Klimasystem sind Rückkopplungen zu erwarten: Über die kontinuierliche Aufnahme, Speicherung und Abgabe von Kohlenstoff und Wasser dominieren Landökosysteme die Dynamik globaler Stoffkreisläufe und sind somit eng mit der Dynamik des Klimasystems verbunden. Wird nun beispielsweise die Photosyntheseleistung durch eine Hitzewelle flächendeckend reduziert, verringert sich die Aufnahme von CO2 und damit mitunter auch die Kapazität der Ökosysteme, Kohlenstoff langfristig zu binden. Doch wie groß diese Effekte sind, wie sich etwa eine reduzierte Atmungsaktivität diesen Effekt neutralisiert, ist nur unzureichend verstanden [1,2]. Der Grund ist, dass verschiedene Ökosysteme ganz unterschiedlich reagieren. Die Gefahr besteht jedoch, dass durch zunehmende Hitzewellen und Dürren die Kohlenstoffsenke der Ökosysteme weltweit substanziell reduziert wird.
Bedeutung für Ökosysteme
Am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena untersuchen wir dieses Problem mit verschiedenen Ansätzen. Mit Hilfe eines globalen Netzwerks von “Eddy-Kovarianz”-Stationen, die den Austausch von CO2 kontinuierlich messen, haben wir erstmals global und über eine Vielzahl von Klimaextremen hinweg untersucht, wie sich Klimaextreme auf die Bilanz von Ökosystemen auswirken [3]. Wir konnten eindeutig nachweisen, dass die Schwächung der Senkenfunktion vor allem mit der Dauer von Extremereignissen skaliert. Je länger etwa eine Hitzewelle andauert, desto dramatischer nimmt zunächst der Photosynthese ab, und damit sinkt auch CO2-Aufnahme; da zunächst weiterhin CO2 freigesetzt wird, können Ökosysteme in Phasen, in denen sie unter normalen Bedingungen Kohlenstoff speichern, die Senkenfunktion nicht mehr erfüllen. Durch Verbindung dieser Ergebnisse mit Fernerkundungsdaten konnten wir zudem zeigen, dass global Wasserknappheit eine entscheidende Bedrohung für die Senkenfunktion ist [1].
Herausforderungen
Die Ergebnisse aus diesen Stationsdaten sind von enormer Bedeutung für unser Systemverständnis, stellen aber dennoch nur eine sehr kleine Stichprobe dar. Um die volle raumzeitliche Dynamik von Extremereignissen zu erfassen, müssen wir auf globale Datenprodukte zurückgreifen [4]. Mit Hilfe von globalen Satellitendaten können heute globale Datenprodukte erstellt werden, die es uns ermöglichen, die Auswirkung von Klimaextremen auf Ökosysteme flächendeckend zu analysieren. Die Detektion von großen raumzeitlichen Ereignissen in mehreren Datenströmen gleichzeitig ist nur eine der methodischen Herausforderungen, vor der wir stehen. In enger Zusammenarbeit mit Kollegen aus der Informatik konnten wir neue Methoden entwickeln, um raumzeitliche Extremereignisse effektiv in globalen hochdimensionalen Datenströmen zu erkennen. Ähnlich beispielsweise der Tumorerkennung in einem 3D-Modell des Gehirns, wollen wir Anomalien in raumzeitlichen Daten erfassen. Unsere Methoden decken dabei alle Arten von Anomalien auf. So konnten wir zeigen, dass die berühmte Hitzewelle, die Moskau und Umgebung in 2010 heimsuchte, räumlich viel größere Gebiete erfasste als bisher bekannt [5]. Doch interessanterweise konnten wir dabei nicht nur die verheerenden Effekte auf die agrarischen Ökosysteme im Süden des Landes aufdecken, sondern fanden auch heraus, dass die Waldökosysteme im Norden der Region sogar von dieser Hitzewelle profitieren und viel höhere Produktivitäten zeigten. Doch auch bei diesem Ergebnis ist Vorsicht geboten: Wie derzeit in Deutschland entfalten Extremereignisse wie das Rekordjahre 2018 und die ungewöhnliche Sequenz 2018/2019 erst langsam ihre volle Wirkungskette in Waldökosystemen. Hohe Mortalitätsraten sind nur ein Effekt, den es hier abzuschätzen gilt. Diese langfristigen Folgewirkungen großskalig zu detektieren, zu quantifizieren und eventuell sogar zu antizipieren, wird die Arbeit der kommenden Jahre sein.
Literaturhinweise
- Nature, 500, 287–295, doi:10.1038/nature12350.
- Current Climate Change Reports, doi:10.1007/s40641-018-0103-4.
- Biogeosciences, 14, 4255-4277, doi:10.5194/bg-14-4255-2017.
- Biogeosciences, 15, 6067-6085, doi: 10.5194/bg-15-6067-2018.