Wenn Lungenzellen aus der Puste kommen
RASSF1A und HIF-1alpha stimulieren Warburg-Effekt bei Krebs und Lungenhochdruck
Steht Zellen nicht ausreichend Sauerstoff zur Verfügung, stellen sie ihren Stoffwechsel von der effizienten Atmung auf die wesentlich weniger effiziente Gärung um. Bei Tumorzellen kann die Gärung auch dann ablaufen, wenn ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim haben nun einen molekularen Mechanismus für diesen Warburg-Effekt gefunden: Ein als RASSF1A bezeichnetes Protein stellt das Zentrum eines sich selbst verstärkenden Regelkreises dar, mit dem Zellen auf Sauerstoffnot reagieren. Der nun identifizierte Mechanismus soll als Grundlage für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze dienen.
Vor beinahe hundert Jahren entdeckte der Biochemiker Otto Warburg eine Besonderheit im Stoffwechsel von Krebszellen: Während gesunde Zellen zur Energiegewinnung Zucker verbrennen und dabei Sauerstoff verbrauchen, gewinnen Tumorzellen ihre Energie durch Vergärung der Glukose. Die Besonderheit daran: Dies geschieht selbst dann, wenn ausreichend Sauerstoff zur Verfügung stünde. Im Gegensatz dazu nutzen gesunde Zellen diese ineffiziente Art der Energiegewinnung nur, wenn ihnen nicht ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Muskulatur: Wenn bei starker Anstrengung Sauerstoff knapp wird, schalten die Muskelzellen auf Milchsäuregärung um.
Bislang war weitestgehend unklar, warum in Tumorzellen der nach seinem Entdecker benannte „Warburg-Effekt“ auftritt. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung haben nun einen sich selbst verstärkenden molekularen Mechanismus entschlüsselt, der eine Ursache für den Warburg-Effekt sein könnte. Darüber hinaus könnte der Regelkreis auch eine wichtige Rolle bei Erkrankungen darstellen, bei denen eine als Hypoxie bezeichnete Sauerstoffunterversorgung von Bedeutung ist.
Hypoxie aktiviert Transkriptionsfaktor
„Es ist bereits länger bekannt, dass im Falle einer Hypoxie ein als HIF-1alpha bezeichneter Transkriptionsfaktor in den betroffenen Zellen aktiviert wird. Dieser reguliert die Reaktion auf den fehlenden Sauerstoff, beispielsweise durch eine Anpassung des Zellstoffwechsels, indem sich Zellen teilen oder Blutgefäße zu wachsen beginnen“, erklärt Swati Dabral, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe von Soni Pullamsetti und Erstautorin der Studie. „Wir konnten nun zeigen, dass ein Protein mit dem Namen RASSF1A die Aktivität von HIF-1alpha verstärkt“, so Dabral weiter. Gleichzeitig aktiviert HIF-1alpha zusammen mit weiteren Faktoren das RASSF1A im Falle einer Sauerstoffunterversorgung überhaupt erst. Es ist ein sich selbst verstärkender Regelkreis.
Dass dieser Mechanismus nicht nur in Tumorzellen abläuft, sondern auch in gesunden Zellen, zeigten die Max-Planck-Forscher in verschiedenen Experimenten an Zellkulturen, indem sie diese über definierte Zeiträume einer Hypoxie aussetzten. „Als Reaktion stabilisierten die Zellen zunächst vorhandene RASSF1-A-Moleküle und verlängerten deren Lebensdauer. Später bildeten sie aber auch zusätzliche Moleküle“, so Soni Pullamsetti, Leiterin der Arbeitsgruppe. Um die Wechselwirkung mit HIF-1alpha zu belegen, schalteten die Max-Planck-Forscher RASSF1A durch gentechnische Eingriffe in den Zellen aus oder sorgten umgekehrt für eine stark erhöhte Produktion des Proteins. „Fehlte RASSF1A, war die HIF-1alpha-Aktivität größtenteils weg. Als die Zellen durch unseren Eingriff RASSF1A übermäßig produzierten, stieg daraufhin die Menge an HIF-1alpha-Protein deutlich an. Das belegt den sich selbst verstärkenden Regelkreis“, so Pullamsetti.
Wichtiger Regelkreis
Dieser Regelkreis könnte auch bei verschiedenen Formen der Lungenhochdruckerkrankung eine Rolle spielen. Diese zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Muskelzellen in der Wand von Lungenarterien eine abnormal hohe Teilungsaktivität haben und dadurch die Gefäßwand stark expandiert. Im Labor konnten die Bad Nauheimer Forscher den Regelkreis an Gefäßmuskelzellen nachweisen. „RASSF1A war in den Gefäßwandzellen sowohl für die verstärkte Zellteilung als auch für das Umstellen des Energiestoffwechsels verantwortlich“, so Dabral.
Für Werner Seeger, Abteilungsdirektor am Max-Planck-Institut in Bad Nauheim und Direktor der Medizinischen Klinik II (Standort Gießen) am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, war es deshalb kaum überraschend, in Proben von Lungenhochdruckpatienten RASSF1A und HIF-1alpha gemeinsam zu finden: „Verschiedenen Formen des Lungenhochdrucks stehen im Zusammenhang mit einer Hypoxie im Lungengewebe. In Probenmaterial von Lungenhochdruckpatienten fanden wir in unseren Untersuchungen erhöhte Spiegel an RASSF1A mRNA und Protein. Da dies mit erhöhter HIF-1alpha Aktivität einherging, bestätigten die Untersuchungen der Patientenproben somit unsere Labordaten“, sagte Seeger. Im weiteren konnte das Forscherteam außerdem nachweisen, dass RASSF1A bei diesen Patienten einen Einfluss auf den Zellstoffwechsel bestimmter Lungenzellen und deren Teilungsaktivität hat.
„Unsere Studie belegt den Einfluss von RASSF1A auf die HIF-1alpha Aktivität und die dadurch verursachten Änderungen bei der Regulation bestimmter Gene, der Anpassung des Zellstoffwechsels und der Teilungsaktivität von Zellen“, so Pullamsetti. Die Max-Planck-Forscher hoffen, damit neue Ansätze für die Entwicklung von Therapien bei der Lungenhochdruckerkrankung oder Lungenkrebs zu finden – Erkrankungen, die im Zusammenhang mit dem Auftreten von Hypoxie im Gewebe stehen.