„Ein Preisschild für die Staatsbürgerschaft“
Ayelet Shachar geht der Frage nach, wie Visa für Superreiche Politik und Gesellschaft verändern
Einwanderungspolitik ist in vielen westlichen Ländern ein hochumstrittenes Thema. Staaten schotten sich zunehmend gegen jede Art von Immigration ab – mit einer Ausnahme: Reiche Kapitalgeber werden von vielen Regierungen geradezu hofiert, auch in Sachen Staatsbürgerschaft. Ayelet Shachar, Direktorin am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, hat die sogenannten Golden-Visa-Programme unter die Lupe genommen.
Frau Shachar, was beinhaltet so ein goldenes Visum?
Ayelet Shachar: Ich würde diese Visa als maßgeschneiderte Möglichkeit für die Superreichen der Welt bezeichnen, eine Staatsbürgerschaft zu erlangen – schnell, unkompliziert und ohne dass ihr Leben beeinträchtigt wird. Teilweise müssen die neuen Bürger nicht einmal einen Fuß in ihr neues Heimatland setzen.
Müssen sie keine Gegenleistung bringen?
Die Regierungen scheinen sich auf den Standpunkt zu stellen: „Hauptsache, die Reichen kommen.“ Und zur Integration haben sie die Haltung: „Wenn uns der Zugang Geld bringt, sind wir gerne bereit, auf die üblichen Integrationsanforderungen zu verzichten.“ Oder man umgeht die Bedingungen, auch wenn sie sonst eifersüchtig durchgesetzt werden. Es ist auffällig, dass für alle anderen Migranten diese Bedingungen seit Jahren immer restriktiver werden.
Was kostet so ein privilegierter Zugang?
Das amerikanische Golden-Visa-Programm erfordert formal eine Investition von einer Million Dollar. In der Praxis wird der Betrag meist auf 500 000 Dollar reduziert, wenn jemand in bestimmte Bereiche investiert. In Großbritannien beträgt die Mindestinvestition zwei Millionen britische Pfund, damit erhält der Investor so etwas wie ein Bleiberecht. Je höher die Investition, desto kürzer wird die Wartezeit, bis er seinen Wohnsitz dorthin verlegen kann.
Erreichen die Programme wirklich das Ziel, Investitionen ins Land zu holen und die Wirtschaft langfristig zu stützen?
Das ist ein interessanter Punkt. Wir haben vor allem Daten von Programmen, die schon lange laufen, also aus den USA und Kanada. In den Vereinigten Staaten gibt es zum Beispiel eine aktuelle Regierungsstudie, in der es wörtlich heißt: „Die Regierung kann nicht erkennen, dass das Programm die US-Wirtschaft verbessert und Arbeitsplätze für US-Bürger schafft.“ In Kanada, das viele Jahre lang ein sehr angesehenes Visaprogramm für Investoren hatte, kam man zu ähnlichen Ergebnissen – das Programm wurde 2014 gestrichen. Dort haben viele Menschen die Staatsbürgerschaft erworben, sind dann aber gegangen und waren weder in der Gesellschaft noch in der Wirtschaft aktiv. Natürlich ist das eine Verallgemeinerung. Aber zumindest in den zwei Ländern mit langjähriger Erfahrung findet sich diese Tendenz.
Welche ethischen Probleme sind aus Ihrer Sicht mit diesen Visa verbunden?
Visaprogramme für Reiche bieten einem Prozent der Weltbevölkerung eine Vorzugsbehandlung. Da gibt es große ethische Bedenken, dass die Programme die Ungleichheit verschärfen. Das zweite sind Befürchtungen, dass der Markt in die Politik vordringt. Bei der Staatsbürgerschaft geht es ja eigentlich um eine politische Beziehung, also um die Verbundenheit einer Person mit ihren Mitbürgern und mit einer bestimmten Regierung. Wenn Sie die Staatsbürgerschaft mit einem Preisschild versehen, senden Sie nicht nur eine klare Botschaft, wer als wertvoller künftiger Bürger gilt, sondern Sie verändern auch etwas Tieferes: die Mitgliedschaft in der politischen Gemeinschaft.
Kann man sagen: Wer sehr reich ist, bekommt im Grunde genommen seine eigenen Regeln?
Da haben Sie durchaus recht. Aus anderen Bereichen kennt man dieses Phänomen. Dass wir es nun auch im Zentrum der Staatsbürgerschaft finden, ist neu und teilweise überraschend. Aber die Regeln sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern von den jeweiligen Regierungen eingeführt. Ich denke, wir sollten die Golden-Visa-Programme zum Anlass nehmen, um die Regeln, nach denen Staatsbürgerschaft verliehen wird, grundsätzlich zu hinterfragen: Halten wir sie für fair? Könnten wir, wenn wir über Einwanderung und die Einbeziehung von Neuankömmlingen nachdenken, vielleicht ein wenig Rücksicht auf Gerechtigkeit und Gleichheit nehmen und nicht nur auf das Eigeninteresse? Ich denke, dass die meisten Länder de facto eine Mischung wünschen, und wir sollten vielleicht die Art der Verteilung neu justieren.
Interview: John Krzyzaniak, Bearbeitung: Mechthild Zimmermann
Eine ausführliche Fassung des Gesprächs erschien auf Englisch auf der Webseite des Carnegie Council for Ethics in International Affairs