Lebenserwartung: Trends bei Hochgebildeten weisen den Weg
Bessere Bildung kann vor allem bei Älteren die Sterblichkeit senken
Im letzten Jahrhundert ist die Lebenserwartung um circa drei Monate pro Jahr gestiegen. Der Zuwachs ist aber nicht in allen Bildungsschichten gleich stark. Hochgebildete, die grundsätzlich im Schnitt älter werden, nehmen eine Vorreiterrolle ein und zeigen auf, welche Lebensspannen auch für die restliche Bevölkerung möglich sind. Dieser Trend nehmen Forscher vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung nun zum Anlass, um zu zeigen, dass es bei der durchschnittlichen Lebenserwartung noch sehr viel Spielraum nach oben gibt.
Für fast alle Länder gilt: Wer eine hohe Bildung hat, lebt in der Regel einige Jahre länger als Personen mit niedrigerem Bildungsgrad. Die Lebenserwartung hoch gebildeter Bevölkerungsschichten liegt oft sogar über dem weltweiten Rekord-Niveau, das in Ländern wie Japan oder der Schweiz erreicht wird.
Domantas Jasilionis und Vladimir Shkolnikov vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock haben in der Fachzeitschrift Gerontology einen internationalen Überblick zu diesem Thema veröffentlicht. Wie Untersuchungen aus verschiedenen Ländern nahelegen, können kleine, selektive Gruppen extrem hohe Lebenserwartungen erreichen. So belegen zum Beispiel Studien in den USA und Norwegen, dass bei religiösen Kleingruppen wie den Mormonen oder den Siebenten-Tags-Adventisten Spitzenwerte bei der Lebenserwartung erreicht werden, die jene der Rekord-Länder weit übersteigen. Forschungsergebnisse zeigen auch, dass Mitglieder akademischer Organisationen wie der Royal Society in Großbritannien sowie der nationalen Akademien in Deutschland, Österreich und Russland sehr hohe Lebenserwartungen haben. Die Mortalität innerhalb dieser wissenschaftlichen Elite hat schneller abgenommen als der entsprechende nationale Durchschnitt, obwohl die Sterblichkeit in diesen Gruppen von vornherein vergleichsweise niedrig war. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Mortalitäts-Studien, die größere und konventionellere Bevölkerungsgruppen untersucht haben.
Kluft in Russland besonders groß
Europäische Studien zu Bildungsunterschieden haben gezeigt, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Bildungsschichten in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind. In den skandinavischen Ländern sowie in Finnland, Belgien, Frankreich und der Schweiz ist die Lebenserwartung bei den Hochgebildeten stärker angestiegen als bei den bildungsferneren Schichten. Besonders stark ist die Kluft zwischen den Bildungsschichten in Litauen, Estland und Russland gewachsen. Ein extremes Beispiel ist die Lebenserwartung russischer Männer: Männer mit der geringsten Bildung sterben im Schnitt 13 Jahre früher.
In den USA ist die Situation ähnlich wie in West- und Nordeuropa. Auffällig ist jedoch, dass es in den 1980ern und 1990ern gerade bei der Lebenserwartung von Frauen große soziale Unterschiede gab. Einige Studien fanden bei den am geringsten gebildeten weißen nicht-hispanischen Frauen sogar einen Rückgang der durchschnittlichen Lebensdauer.
Kardiovaskuläre Revolution hilft Hochgebildeten
Insgesamt gehen die Zugewinne in der Lebenserwartung in allen Bildungsschichten auf die niedrigere Sterblichkeit ab 65 Jahren zurück. Seit den späten 1960er und 1970er Jahren verbesserte sich mit der sogenannten kardiovaskulären Revolution die Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen ganz erheblich und ließ die Sterblichkeit im hohen Alter sinken. Dass sich vor allem die Hochgebildeten diesen Vorteil zunutze machen konnten, zeigen die Anteile der Altersgruppen an den Bildungsunterschieden. Zu Beginn der 1970er Jahre betrug der Unterschied zwischen Hochgebildeten und allen anderen Bevölkerungsschichten etwa bei finnischen Männern 4,4 Jahre. Dabei war allerdings nur knapp ein Drittel des Unterschieds auf eine geringere Sterblichkeit bei den über 65-jährigen zurückzuführen. 35 Jahre später ist der Unterschied auf gut sechs Jahre gewachsen, wovon bereits zweieinhalb Jahre auf eine geringere Sterblichkeit der gut Gebildeten im hohen Alter zurückgehen.
Frühe Todesfälle sind vermeidbar
Der große Vorsprung der gut Gebildeten beim Anstieg der Lebenserwartung verdeutlicht, dass es genügend Potenzial gibt, die Lebenserwartung der mittleren und unteren sozialen Bevölkerungsschichten zu verbessern. Rückgänge in der Lebenserwartung, wie sie in einigen Ländern bei gering Gebildeten beobachtet werden können, sind vermeidbar und stehen im Prinzip für viele unnötige frühe Todesfälle. Insgesamt, so schließen die Autoren, ist mit einem weiteren Anstieg der Lebenserwartung zu rechnen. So war etwa bei schwedischen Männern zwischen 1988 und 1999 die Hälfte des gesamten Anstiegs der Lebenserwartung ab 30 Jahren auf einen verbesserten Bildungsstand der Bevölkerung zurückzuführen. Dieser Trend könnte sich auch in vielen anderen Ländern fortsetzen.
Damit jedoch die gesamte Bevölkerung irgendwann die Rekordwerte der Hochgebildeten erreicht, sind weitere medizinische Erfolge etwa bei der Behandlung von Alzheimer nötig, wie die Autoren schreiben. Zudem könnten andere Faktoren wie ein Anstieg der Scheidungen, ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder steigende Anteile von Übergewichtigen undRauchern einer Erhöhung der Lebenserwartung in der Gesamtbevölkerung entgegenstehen.
AE