Welchen Nutzen hat die Forschung mit Affen für den Menschen?
Über kaum ein Thema wird so kontrovers gestritten, wie die tierexperimentelle Forschung im Allgemeinen und mit Primaten im Besonderen
Wir stehen dabei in einem Konflikt zwischen zwei miteinander unverträglichen ethischen Verpflichtungen: Auf der einen Seite nach Wegen zu suchen, um Krankheiten behandelbar zu machen und damit menschliches Leid zu lindern, und auf der anderen Seite das Leben von Tieren zu schützen. Für diesen Konflikt gibt es keine befriedigende Lösung, so lange Untersuchungen am Tier die einzige Möglichkeit darstellen, Erkenntnisse über die Funktionen und komplexen biologischen Zusammenhänge in lebenden Organismen zu gewinnen.
Zunächst einige Zahlen: Nachdem alle Tierversuche genehmigungs- und anzeigepflichtig sind, lassen sich diese statistisch sehr genau erfassen. Danach liegt der Anteil der Tiere, die für die Belange der Grundlagenforschung getötet werden, in Deutschland bei nur 0,03 Prozent der Gesamtzahl aller Tiere, die für die Bedürfnisse der Menschen geopfert werden. Hierbei wurden nur die Tiere miteinbezogen, die für Nahrungs- und Materialgewinnung getötet werden, nicht aber die Vernichtung sogenannter Schädlinge etc.. Etwa drei Viertel aller Versuchstiere sind Nagetiere; der Anteil der nichthumanen Primaten wie Makaken, Krallenaffen und grüne Meerkatzen beträgt 0,05 Prozent und ist seit Jahren konstant.
Nun sind solche Zahlenspiele wenig hilfreich, wenn es um ethische Abwägung zwischen tierischem und menschlichem Leid geht. Denn es trifft zu, dass Tiere getötet werden, um Erkenntnis zu gewinnen. Aber es trifft nicht zu, dass Tiere gequält werden. Es ist unbestritten wichtig zu untersuchen, welcher Schaden und welches Leid Tieren in der Grundlagenforschung zugefügt werden. Die Hoffnung und Annahme ist jedoch, dass die im Experiment erzielten Erkenntnisse dazu dienen werden, die Ursachen von Krankheiten von Tier und Mensch besser zu verstehen und wirksame Heilverfahren zu entwickeln. Auf die Erkenntnisse verzichten zu wollen, die sich durch Untersuchungen an Tieren gewinnen lassen, bedeutet den vorsätzlichen Verzicht darauf, Menschen helfen zu wollen, die an noch nicht behandelbaren Erkrankungen leiden. Das ist das moralische Dilemma.
Oft wird behauptet, die an Tieren gewonnenen Erkenntnisse seien auf den Menschen nicht übertragbar. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Die biologischen Prozesse im Organismus von Tieren und Menschen sind im Gegenteil außerordentlich ähnlich, da sie von gemeinsamen Vorfahren abstammen und die Natur bei der Entwicklung von Mechanismen außerordentlich konservativ ist. Am besten lässt sich das daran erkennen, dass praktisch alle Methoden der Humanmedizin dieselben sind wie die, die in der Veterinärmedizin angewandt werden. Wer behauptet, dass die an Tieren gewonnenen Erkenntnisse für das Verständnis von normalen und krankhaften Vorgängen im menschlichen Körper bedeutungslos wären, ist entweder schlecht informiert oder sagt wissentlich die Unwahrheit.
Fragestellungen in der Hirnforschung, die sich mit Problemen der Wiederherstellung von Funktionen nach Schlaganfällen, Querschnittslähmungen, Hirntumoren oder entzündlichen Erkrankungen befassen, können nur selten an Gewebekulturen erforscht werden. Völlig aussichtslos ist es, die Ursachen der zahlreichen Erkrankungen, die zu Hirnfunktionsstörungen führen, an Gewebekulturen aufklären zu wollen. Hierzu zählen zum Beispiel die Epilepsie, die multiple Sklerose, alle degenerativen Erkrankungen des Zentralnervensystems einschließlich der Alzheimer-Erkrankung, und der Krankheitsbilder, die zu fortschreitender Lähmung führen, die zahlreichen Entwicklungsstörungen, die zu schwerwiegender geistiger Behinderung führen, und nicht zuletzt psychische Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie. Wirksame Behandlungsmethoden für diese Erkrankungen lassen sich nur entwickeln, wenn deren Ursachen aufgeklärt und die Mechanismen verstanden sind, über welche der Schaden entsteht.
Voraussetzung für dieses Verständnis ist, dass man lernt, welche Hirnstrukturen für welche Funktionen verantwortlich sind, wie sich Strukturen im Gehirn entwickeln und wie Lernvorgänge im Gehirn ablaufen, die stattfinden müssen, wenn ausgefallene Funktionen durch andere ersetzt werden sollen. Das Affengehirn eignet sich dafür besonders, weil es ähnlich komplex aufgebaut ist wie das menschliche Gehirn. Neue Behandlungsmethoden für Gehirnerkrankungen lassen sich deshalb häufig nur an Affen entwickeln. Im Folgenden möchten wir einige Beispiele aufzeigen:
Versuche mit Rhesus-Affen haben zu einer neuen Therapie für Parkinson-Patienten geführt
Bei der sogenannten Tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in den geschädigten Gehirnbereichen platziert und elektrische Impulse freigesetzt, die die Krankheitssymptome lindern, umgangssprachlich wird dieses auch als „Hirnschrittmacher“ bezeichnet (siehe Video). Mit der Tiefen Hirnstimulation können auch Schizophrenie, krankhaftes Übergewicht und Formen von Depression behandelt werden, die nicht auf gängige Medikamente ansprechen. Allerdings geht die Behandlung in manchen Fällen mit schweren Begleiterscheinungen wie psychiatrischen Komplikationen einher. Damit solche für die Patienten folgenschweren Nebenwirkungen künftig verringert werden, untersuchen Wissenschaftler die genaue Wirkungsweise der Tiefen Hirnstimulation an Affen. Seit einiger Zeit wird auch an einer neuen Methode geforscht, bei der nicht das Gehirn, sondern das Rückenmark mit Elektroden stimuliert wird. Diese Untersuchungen finden aktuell an Ratten statt. Bevor die Ergebnisse jedoch auf den Menschen übertragen werden können, müssen sie an Affen getestet werden.
Versuche mit Affen tragen zudem wesentlich zur Erforschung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer bei
So gehören Affen zu den wenigen Tierarten, die wie der Mensch an Alzheimer erkranken können. Dabei kommt es zu Proteinablagerungen im Gehirn, die denen des Menschen weitgehend gleichen, wie Untersuchungen an Langschwanz-Makaken ergeben haben. Das entsprechende Protein bei Mäusen und Ratten unterscheidet sich dagegen sehr viel stärker von dem des Menschen. An Langschwanz-Makaken und möglicherweise anderen Affenarten könnten Forscher daher ggf. sehr viel wirkungsvoller untersuchen, wie diese Proteinablagerungen im Gehirn entstehen.
Bei der Huntington-Krankheit handelt es sich um eine erbliche Erkrankung des Gehirns
Betroffene leiden an der fortschreitenden Zerstörung eines Bereichs des Gehirns, der für Muskelsteuerung und grundlegende mentale Funktionen wichtig ist. Die Gehirnzellen dort werden durch ein fehlerhaftes Protein (Huntingtin) zerstört, das infolge eines Defekts des entsprechenden Gens gebildet wird. Die äußeren Krankheitserscheinungen umfassen Störungen des Gefühlslebens, der Muskelsteuerung einschließlich der Mimik und schließlich der Hirnfunktion insgesamt – das Endstadium ist die Demenz. Auch diese Erkrankung lässt sich möglicherweise besser an Affen als an Mäusen oder Ratten entschlüsseln. Genetisch veränderte Makaken mit einer mutierten Form des Huntingtin-Proteins im Gehirn bilden Proteinablagerungen wie sie auch bei Huntington-Patienten auftreten. Auch die Krankheitssymptome sind beim Affen und Menschen ähnlich. Die weitere Erforschung dieser Tiere könnte deshalb zu neuen Behandlungsformen dieser bislang unheilbaren Erkrankung führen.
Erkenntnisse aus der Forschung mit Affen sollen darüber hinaus Patienten mit dem sogenannten Locked-in-Syndrom zugutekommen
Bei dieser Erkrankung sterben die Nervenzellen des Bewegungssystems ab. Die Patienten büßen dadurch ihre motorischen Fähigkeiten immer mehr ein, wie beispielsweise das eigenständige Heranführen eines Trinkbechers an den Mund, und können schließlich nicht einmal mehr selbstständig atmen. Der einzige Hoffnungsschimmer, den Locked-in-Patienten zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben, ist die Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen. Dabei handelt es sich um einen direkter Kommunikationspfad zwischen Gehirn und einem externen Gerät, das die neuronalen Vorgänge aufzeichnet. Bis zu einem gewissen Grad können solche Gehirn-Computer-Schnittstellen mit nicht-invasiven Techniken durchgeführt werden. Die EEG-Aufzeichnung ist dabei die am besten untersuchte potenzielle Schnittstelle. Gelähmte Patienten können trainiert werden, ihre Gehirnwellen so zu kontrollieren, dass sie damit einen Computer-Cursor bewegen können. Durch Anklicken bestimmter Abbildungen auf dem Monitor können sie dann auf einfache Weise kommunizieren. Inzwischen gibt es auch erste neuroprothetische Geräte, die Patienten implantiert werden. Die Weiterentwicklung dieses Ansatzes soll schließlich dazu führen, dass das Gehirn zukünftig auch die komplizierten Bewegungen einer Prothese lenken kann, um durch Gedanken-gesteuerte Roboterarme wieder selbstständig eine Tasse an den Mund führen zu können. Dafür erforschen Neurowissenschaftler die Signale in den Bewegungszentren des Gehirns von Makaken.
Affen als Versuchstiere haben darüber hinaus bereits wichtige Erkenntnisse für die Medizin geliefert. So wurde die Rhesus-Faktor-Unverträglichkeit des Blutes von Müttern und ihren ungeborenen Kindern bei Untersuchungen an Rhesusaffen entdeckt. Auch die Behandlung von Diabetes-Patienten mit Insulin basiert auf Versuchen mit Affen ebenso wie die Behandlung des Polyzystischen Ovar-Syndroms, der häufigsten hormonellen Störung bei Frauen in Europa, die in der Regel zu Unfruchtbarkeit führt. Und die Entwicklung der Stammzell-Technologie, auf der heute so viele Hoffnungen ruhen, fand einst an Affen statt.