Die Evolution der Galaxien
Blicken wir in einer dunklen, klaren Sommernacht (wie sie in Deutschland eher selten vorkommt) zum Himmel, dann sehen wir, wie sich über den gesamten Horizont das schimmernde Band der Milchstraße erstreckt. Das ist unsere Heimat im Universum – eine Galaxie aus ungefähr einhundert Milliarden Sternen.
Frühe Scheiben
Durch den Zeitreiseeffekt in der Astronomie können die Astronomen außerdem räumlich aufgelöste „In-situ“-Beobachtungen der Stern- und Gasbestandteile in den jungen Galaxien vornehmen. Die in meiner Gruppe am MPE entwickelte, durch adaptive Optik unterstützte integrale Feldspektroskopie an großen Teleskopen, insbesondere mit dem SINFONI-Spektrometer am VLT (Principal Investigator: Frank Eisenhauer), konnte außerdem zum ersten Mal die Bewegungen von ionisiertem Gas in den jungen Galaxien auflösen. Durch Messungen der Sichtliniengeschwindigkeiten aus der Dopplerverschiebung der Hα-Rekombinationslinie in verschiedenen Teilen dieser Galaxien fand Natascha Förster Schreiber (Minervagruppenleiterin an unserem Institut) mit ihrem Team heraus, dass mehr als ein Drittel der jungen, Sterne bildenden Galaxien – wie aufgrund früherer theoretischer Arbeiten vermutet – rotationsgestützte Scheiben waren, auch wenn diese Scheiben viel klumpiger, turbulenter und unruhiger sind als die Scheibe der Milchstraße.
Quenching
Eine weitere bemerkenswerte und unerwartete Erkenntnis besteht darin, dass aktiv sternbildende Galaxien nur so lange wachsen, bis sie eine „Massengrenze“ erreichen – die so genannte Schechter-Masse, die der Masse der Milchstraße nahekommt. Während der gesamten kosmischen Zeit scheinen Galaxien, sobald sie diese Grenze erreichen, ihre Sternenbildungsaktivitäten einzustellen und in die Klasse der „toten“ kugelförmigen Galaxien zu wechseln. Die für dieses „Quenching“ verantwortlichen Mechanismen sind derzeit noch nicht verstanden; Ursache ist vielleicht eine plötzlich abfallende Effizienz der Gasakkretion beziehungsweise der Wolken- oder Sternenbildung oder eine zunehmende Effizienz der von Sternen oder massereichen Schwarzen Löchern verursachten Gasausflüsse. Aufgrund der strukturellen Änderungen, die mit dem Übergang von einer scheibenförmigen zu einer kugelförmigen Gestalt einhergehen, ist es plausibel, dass Galaxienwechselwirkungen und -verschmelzungen ebenfalls an
dem Prozess beteiligt sein können.
Welche Rolle spielen massereiche Schwarze Löcher?
Neben der Milchstraße weisen anscheinend alle anderen Bulge-Galaxien und Sphäroide Galaxien im benachbarten Universum ebenfalls eine zentrale Massenkonzentration auf, bei der es sich wahrscheinlich um ein massereiches Schwarzes Loch von etwa einem Zehntelprozent der Masse der gesamten Galaxie handelt; das haben Untersuchungen unter leitender Mitwirkung von Ralf Bender am MPE ergeben. Diese massereichen Schwarzen Löcher entstanden ungefähr um dieselbe Zeit wie ihre Wirtsgalaxien. Wie die in den Observatorien NASA Chandra und ESA XMM (unter gemeinsamer Leitung von Günther Hasinger und Kirpal Nandra am MPE) durchgeführten tiefen Röntgendurchmusterungen besonders deutlich gezeigt haben, wiesen massereiche Schwarze Löcher auf dem Höhepunkt der von der Bildung massereicher Galaxien geprägten Epoche vor zehn Milliarden Jahren eine rapides Wachstum bei hoher Leuchtkraft auf. Akkretierende Schwarze Löcher wandeln typischerweise zehn bis 30 Prozent der akkretierten Restmasse in Kurzwellenstrahlung und nukleare Winde um. Diese verblüffend effiziente Energieerzeugung liefert vielleicht eine Erklärung für die oben erörterten galaktischen Winde, vielleicht auch für das „Quenching“ massereicher Galaxien.
Es ist nicht klar, wie Schwarze Löcher von derart großer Masse gebildet werden, da lediglich 1/108 des ursprünglichen Drehimpulses eines Gaspartikels in der Scheibe einer Galaxie erhalten bleiben darf, wenn dieser Gaspartikel den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs überqueren soll. Galaxienverschmelzungen wurden als ein Mittel zur ausreichenden Reduzierung des Drehimpulses vorgeschlagen. Eine weitere Möglichkeit könnten die großen Gasanteile junger Galaxien sein, da eine geringfügig stabile, gasreiche Scheibe naturgemäß eine große interne, durch Gravitationsdrehmomente vermittelte „Reibung“ aufweist und dadurch eine effiziente interne Gasakkretion auf den Kern fördern könnte.
Die Auswirkungen der MPG-Forschung über Galaxienentwicklung
Die Entwicklung von Galaxien, ein sehr umfangreiches und aktives Gebiet der modernen astrophysikalischen Forschung, wurde bis vor kurzem vollständig von Gruppen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien dominiert. Die von ESO und ESA angebotenen leistungsstarken Einrichtungen und Missionen verschafften europäischen Forschern eine hervorragende Gelegenheit, eine immer bedeutendere Rolle in diesem sich rasch entwickelnden Forschungsgebiet zu spielen. Wie gezeigt, haben verschiedene experimentelle, beobachtende und theoretische Projekte an drei der astrophysikalisch arbeitenden MPIs (MPA, MPE und MPIA) der MPG-Forschung über Galaxienentwicklung in diesem Feld einen Spitzenplatz verschafft – bei einer großen Bandbreite an Methoden.