Stille Post im Immunsystem

Freiburger Max-Planck-Forscherteam entdeckt Regelmechanismus der Wanderung weißer Blutkörperchen

29. Juni 2007

Man muss nicht unbedingt Signale geben, um gehört zu werden. Zumindest im Immunsystem funktioniert die Verbindung manchmal auch ohne. Wie Forscher vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg herausgefunden haben, spielen Chemokinrezeptoren, die kein Signal geben, bei der Wanderung der weißen Blutkörperchen eine wichtige Rolle. Sie arbeiten als eine Art Pförtner, die in der embryonalen Entwicklung und im Normalzustand des Immunsystems die Wanderung bestimmter Zellen durch die Lymphknoten beziehungsweise den Thymus regeln. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 7. May 2007)

Die Wanderung der weißen Blutkörperchen ist für das Immunsystem wichtig. Die Leukozyten gehören zur Immunabwehr des Körpers und sorgen dafür, dass Eindringlinge wie Bakterien, Pilze oder Fremdkörper beseitigt werden. Gebildet werden sie im Knochenmark und entwickeln sich im Thymus, der Milz und den Lymphknoten zu reifen Zellen. Bei Gefahr in Verzug, erhalten sie Signale, die sie zum Ort des Geschehens dirigieren. Dabei lassen sie sich nicht wie die roten Blutkörperchen nur passiv vom Blutstrom treiben, sondern bewegen sich eigenständig fort. Am Ziel machen sie sich sofort über die Invasoren her, indem sie eine Vielzahl von verschiedenen Abwehrmechanismen verwenden. Mithilfe von genetisch modifizierten Mäusen haben die Max-Planck-Forscher Kornelia Heinzel, Claudia Benz und Conrad C. Bleul jetzt wichtige Details über die Wanderung der weißen Blutkörperchen erarbeitet.

Die Suche nach den Regelmechanismen der Leukozytenwanderung brachte die Freiburger Immunbiologen auf die Spur eines bestimmten Rezeptors, der im lymphatischen System - z.B. im Thymus gebildet wird. Zusammen mit ihren Gegenspielern, den Liganden, spielen Rezeptoren bei der Signalübertragung allgemein eine wichtige Rolle. Erst, wenn der Ligand an den Rezeptor bindet, entsteht das Signal. "Dabei kann dieser Rezeptor nicht nur mit einem Liganden Bindungen eingehen, sondern mit verschiedenen", erklärt Kornelia Heinzel. Der Rezeptor CCX-CKR1 bindet die drei Chemokine CCL19, CCL21 und CCL 25. Diese werden von dendritischen Zellen, Endothelzellen und einer Vielzahl anderer Zellen des Immunsystems exprimiert. Ihre Aufgabe ist es, Leukozyten anzulocken.

Die Beobachtung, dass der Chemokinrezeptor CCX-CKR1 die Chemokine CCL19, CCL21 und CCL25 bindet, war für Heinzel, Benz und Bleul der erste Hinweis darauf, dass er bei der Leukozytenwanderung eine Funktion erfüllen muss. Der zweite war seine Vorliebe für spezielle Standorte im Gewebe, an denen er exprimiert wird. Das auffällige Expressionsmuster im Thymus markiert dabei die Nische, in die Vorläufer-Zellen der T-Zellentwicklung aus dem Blut rekrutiert werden.

CCX-CKR1 wird dabei von Epithelzellen exprimiert - und zwar nicht von allen, sondern nur von besonderen. Die erste Expressionsstelle befindet sich unter der Kapsel des Thymus; die zweite im Grenzgebiet zwischen der äußeren Hülle des Thymus und seinem inneren Kern. "Also an den Ein- und Austrittsstellen von Zellen im Thymus." Damit befinden sie sich genau dort, wo die Leukozyten sich bewegen. "Wir vermuten, dass die Chemokine CCL19, CCL21 und CCL25 an dieser Stelle von CCX-CKR1 abgefangen werden, um ihre übermäßige Diffusion nach außen zu verhindern. In diesem Fall könnte der Chemokin-Rezeptor ihre Migration kontrollieren und somit quasi wie ein Pförtner die Eintrittsmenge von Zellen in den Thymus regulieren.

Allerdings geschieht dies, ohne dass der Rezeptor ein erkennbares Signal in die Zelle sendet, denn aufgrund seiner Struktur kann er keine Migrationssignale abgeben. "Es handelt sich um einen "silent chemokine receptor", das heißt er ist stumm", so die Immunbiologin. Um Genaueres über dieses stille Post Spiel auf Molekularer Ebene herauszufinden, nahmen die Freiburger Immunforscher " loss of function" und "gain of function"-Experimente an genetisch veränderten Mäusen vor. Versuche mit Knockout-Mäusen, bei denen der Rezeptor CCX-CKR1 ausgeschaltet war, verrieten dabei allerdings nur wenig über die Funktion dieses stummen Dieners für die Mobilmachung der Leukozyten im Thymus. "Die weißen Blutkörperchen fanden auch ohne ihn ihren Weg. Scheinbar übernehmen andere Rezeptoren die Funktion", sagt Heinzel. Für die Forscher war dies zunächst ein frustrierendes Ergebnis.

Trotzdem blieben Heinzel und ihre Kollegen hartnäckig: Sie waren davon überzeugt, dass sie auf der richtigen Fährte waren. Tatsächlich wurden sie in weiteren Versuchen fündig. Aber nicht im Thymus, sondern zunächst einmal in den Lymphknoten. Und dort regelt der Rezeptor auch nicht die Wanderung der Leukozyten, sondern der dendritischen Zellen, einer Art Wächter des Immunsystems. "Das Fehlen von CCX-CKR1 in den Lymphknoten beeinträchtigt offensichtlich die Wanderung der dendritischen Zellen von der Haut in die Lymphknoten", so die Freiburger Max-Planck-Forscherin. Interessanterweise sei diese Beobachtung jedoch nur im Normalzustand zu machen, wenn das Immunsystem inaktiv ist. Bei Entzündungsprozessen, wenn also dieses steady-state-Stadium aufgehoben ist, sei hingegen kein Unterschied zwischen Knockout-Maus und Wildtyp festzustellen. "Daraus schließen wir, dass der Rezeptor CCX-CKR1 eine Rolle dabei spielt, die Anzahl der dendritischen Zellen in den Lymphknoten im nicht aktivierten Zustand stabil zu halten", so die Forscherin.

Aber auch mit ihren enttäuschenden Ergebnissen für den Thymus gaben sie sich nicht zufrieden: Nachdem die Analysen der Knockout-Maus keinen entscheidenden Hinweis für die Funktion des Chemokin-Rezeptors im Thymus ergeben hatten, verfolgten die Wissenschafter nach dem "loss-of-function"-Ansatz eine "gain-of-function"-Strategie. Ziel war die Überexpression von CCX-CKR1.
Dadurch wollten die Forscher für Verkehrschaos unter den Leukozyten sorgen. Dazu verwendeten sie Mäuse, bei denen der Rezeptor nicht nur in einigen, bestimmten Epithelzellen exprimiert wird, sondern in allen.

"Die Überexpression von CCX-CKR1 hat zur Folge, dass die Einwanderung der Zellen während der Embryoentwicklung in den Thymus gestört ist und somit signifikant weniger Zellen in den Thymus gelangen können." Doch im Thymus von neugeborenen Mäusen fand sich wiederum kein Unterschied zur Wild-Typ-Maus. "Hier haben wir den beschriebenen Defekt nicht mehr festgestellt, was darauf hindeutet, dass zu diesem Zeitpunkt noch andere Faktoren an der Immigration beteiligt sind oder anderweitig eine Kompensation der fehlenden Chemokin-Rezeptor-Funktionen erfolgt."

Kornelia Heinzel freut sich über dieses Ergebnis. "Die Forschungsarbeit war ziemlich aufwändig", sagt sie. Schon allein die Zucht der passenden Mäuse sei alles andere als einfach gewesen. "Unser Ergebnis ist schon ein großer Schritt für dieses Fachgebiet", zieht sie ein Fazit. Allerdings ist dies noch lange nicht der Abschluss. Denn die Arbeit am Freiburger Institut für Immunbiologie geht für sie und ihre Kollegen weiter. "Denn der embryonale Phänotyp lässt auch eine Funktion von CCX-CKR1 bei der Einwanderung von Thymozyten-Vorläuferzellen im adulten Thymus vermuten. Um die Funktion des Chemokin-Rezeptors im ausgewachsenem Thymus nachweisen zu können, wäre es nötig, die spezielle Mikroumgebung des Thymus besser zu verstehen. Des Weiteren könnte CCX-CKR1 als Marker für die Nische der Ein- und Austrittsstellen von Zellen genutzt werden, um diese besser zu verstehen".

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