Die Sterne funkeln nicht mehr

Die adaptive Optik am Very Large Telescope hat die astronomische Beobachtungstechnik revolutioniert

25. November 2011

„Wunderbar, wie schön die Sterne funkeln!“ Was Laien begeistert, treibt Astronomen zur Verzweiflung: Tausende oder Millionen von Lichtjahre hat die Strahlung kosmischer Objekte ungestört den Raum durcheilt. Und auf den letzten Kilometern wird sie von der Erdatmosphäre so gebeutelt, dass die Bilder in den Instrumenten zu unscharfen Abbildungen verschmieren. Doch die Forscher überlisten die Natur – mit Naco etwa, der ersten adaptiven Optik am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO). An dem System arbeiteten unter anderem die Max-Planck-Institute für Astronomie und für extraterrestrische Physik. Heute vor zehn Jahren ging Naco in Betrieb. Forscher ziehen eine eindrucksvolle Bilanz: vom ersten Porträt eines Exoplaneten bis zu Einblicken in die unmittelbare Nachbarschaft des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxis.

Für Fachleute ist das Funkeln der Sterne sichtbares Zeichen eines grundlegenden Problems: Wenn Licht durch turbulente Regionen der Erdatmosphäre tritt, wird es unregelmäßig abgelenkt – und das in schneller Folge immer wieder anders. Was ein scharfes Abbild eines Sterns im Teleskop sein sollte, wird durch die Verzerrung und das Hin- und Hertanzen des Sternbildchens zu einem diffusen Flecken.

Lange Zeit gab es für Astronomen, die besonders detailreiche Bilder von Himmelsobjekten benötigten, nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Nutzung von Weltraumteleskopen, oder aber das Warten auf außergewöhnlich vorteilhafte atmosphärische Bedingungen, wie sie in jedem Jahr an bevorzugten Beobachtungsorten auf der Erde höchstens ein paar Mal auftreten – wenn überhaupt.

Dann erfanden die Wissenschaftler ein Gegenmittel: adaptive Optik. Sie funktioniert zwar noch nicht im gesamten Spektrum, immerhin aber im Nahinfraroten, also für elektromagnetische Strahlung mit Wellenlängen, die ein wenig über denen des sichtbaren Lichts liegen. Das sich ständig verändernde Bild wird mithilfe schneller Computer analysiert, die in Echtzeit einen verformbaren Spiegel steuern. Der Spiegel verändert („adaptiert“) ständig seine Gestalt – und zwar so, dass Herumtanzen und Verzerrung des Bildes ausgeglichen werden.

Naco war das erste adaptive Optiksystem am Very Large Telescope (VLT), dem Flaggschiff der europäischen bodengebundenen Astronomie. Das Instrument ist seit 2001 an einem der vier 8,2-Meter-Teleskope des VLT installiert und hat den wissenschaftlichen Beobachtungsbetrieb am 25. November 2001 aufgenommen. (Astronomen sprechen von first light, vom „ersten Licht“ des Instruments).

Naco war nicht das erste derartige Instrument an einem Teleskop der 8- bis 10-Meter-Klasse, ist aber ganz bestimmt eines der erfolgreichsten. Mit seiner Hilfe erreichte das VLT für seine Nahinfrarot-Beobachtungen auf einen Schlag ein Auflösungsvermögen – also die Fähigkeit, feine Details auseinanderzuhalten –, das besser ist als jenes des Weltraumteleskops Hubble. Die mit Naco gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse reichen von der Erforschung unseres Sonnensystems bis hin zu den am weitesten entfernten Galaxien.

 

So zeigte das Instrument das Glühen einzelner Vulkane auf dem Jupitermond Io und lieferte einige der ersten detaillierten Oberflächen- und Wetterkarten des Saturnmonds Titan, des größten Trabanten im Sonnensystem. Besonders gut konnte Naco seine Fähigkeiten ausspielen, wenn es darum ging, Planeten um ferne Sterne nachzuweisen und zu untersuchen. Ein Meilenstein war dabei die erste direkte Abbildung eines schwachen Lichtpunkts mit der Bezeichnung 2M1207b, hinter dem sich ein planetengroßes Objekt verbirgt; es umkreist nicht die Sonne, sondern einen anderen Himmelskörper – genauer gesagt einen Braunen Zwerg, der kein Stern, aber größer als ein Planet ist.

Einige Jahre später nahm Naco als erstes Instrument überhaupt ein direktes Spektrum eines Exoplaneten auf, der einen Stern in unserer kosmischen Nachbarschaft umkreist. Diese Beobachtung erlaubte es den beteiligten Astronomen, in der Atmosphäre des Exoplaneten HR 8799c nach dem Vorhandensein von Methan und Kohlenmonoxid zu forschen.

Mit dem Infrarot-Scharfblick von Naco konnten Forscher außerdem den Staubschleier durchdringen, der das Zentrum der Milchstraße einhüllt. Durch Beobachtungen der Umlaufbahn eines Sterns, der um das galaktische Zentrum kreist, lieferte das optische System die bis dahin deutlichsten Belege dafür, dass im Innersten unserer Heimatgalaxie ein Schwarzes Loch mit der Masse einiger Millionen Sonnen lauert.

Bei jungen Objekten wie dem Arches-Sternhaufen oder RCW 38 konnte Naco seine Stärken ausspielen und Hunderte dicht gepackter Sterne in den Zentralregionen individuell abbilden. Somit bot sich den Astronomen die Gelegenheit, die frühesten Phasen der Sternentwicklung über ein breites Massenspektrum hinweg zu untersuchen – von Sternen mit weniger als einem Zehntel der Masse unserer Sonne bis hin zu Sternen mit mehr als 100 Sonnenmassen.

Naco ist ein VLT-Instrument der ersten Generation, das gemeinschaftlich von französischen und deutschen Forschungsinstituten in Zusammenarbeit mit der ESO entwickelt wurde. Da seine Technik immer wieder auf den neuesten Stand gebracht wurde, ist Naco auch heute noch eines der leistungsfähigsten adaptiven Optiksysteme weltweit und ermöglicht es den europäischen Astronomen, Spitzenforschung zu betreiben.

Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts sind weitere Instrumente mit adaptiver Optik am VLT in Dienst gegangen, und eine Reihe neuer Systeme werden derzeit entwickelt. Adaptive Optik wird ein integraler Bestandteil der nächsten Generation von Teleskopen sein, etwa des European Extremely Large Telescope (E-ELT), eines derzeit in Entwicklung befindlichen Teleskops der 40-Meter-Klasse.

Hintergrundinformationen

Naco ist ein VLT-Instrument der ersten Generation, das französische und deutsche Forschungsinstitute in Zusammenarbeit mit der ESO entwickelt haben. Naco steht für Naos-Conica, die Kombination zweier Akronyme für die zwei Untersysteme des Instruments:

Das Nasmyth Adaptive Optics System (Naos) wurde mit Unterstützung des Institut National des Sciences de l'Univers/Centre National de la Recherche Scientifique (INSU/CNRS) in Zusammenarbeit mit der ESO von einem französischen Konsortium gebaut. Das Konsortium besteht aus dem Office National d'Etudes et de Recherches Aèrospatiales (ONERA), dem Institut de Planetologie et d'Astrophysique de Grenoble (IPAG, früherer Name Laboratoire d'Astrophysique de Grenoble) und dem Observatoire de Paris: Laboratoire d'études spatiales et d'instrumentation en astrophysique (LESIA, früherer Name DESPA) und DASGAL (inzwischen aufgelöst). Der Projektmanager ist Gérard Rousset (ONERA), der für das Instrument verantwortliche Wissenschaftler François Lacombe (Observatoire de Paris) und die Projektwissenschaftlerin ist Anne-Marie Lagrange (Institut de Planetologie et d'Astrophysique de Grenoble, OSUG, Université Joseph Fourier/CNRS).

Der Near-Infrared Imager and Spectrograph, Conica genannt, wurde von einem deutschen Konsortium in intensiver Zusammenarbeit mit der ESO entwickelt. Das Konsortium besteht aus dem Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA, Heidelberg) und dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE, Garching). Der leitende Projektwissenschaftler (Principal Investigator, PI) ist Rainer Lenzen (MPIA), mit Reiner Hofmann (MPE) als Ko-Projektwissenschaftler.

MP/HOR

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