Signale vom Anfang der Welt

Nur 625 Millionen Jahre nach dem Urknall explodierte ein Stern, dessen Strahlung die Erde im vergangenen Frühjahr erreichte. Mit einer Distanz von 13 Milliarden Lichtjahren ist dieser Gammablitz namens GRB 090423 das bisher am weitesten entfernte astronomische Objekt. Jochen Greiner und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching untersuchen solche kosmischen Zündfunken am Rande von Raum und Zeit.

Text: Helmut Hornung

Die Katastrophe muss gewaltig gewesen sein. Irgendwo im jungen Universum hatte es einen Stern zerrissen, ein Schwergewicht von der vielfachen Masse unserer Sonne. Und während der Detonation wurde innerhalb von zehn Sekunden so viel Energie freigesetzt, wie die Sonne im Lauf ihres zehn Milliarden Jahre währenden Lebens produziert. Mit Lichtgeschwindigkeit verließ die Strahlung den Ort des Infernos. Nach einer Reise von 13 Milliarden Jahren erreichte der Blitz die Erde: Am 23. April 2009 flammte er im Sternbild Löwe auf – die Astronomen beobachteten GRB 090423, einen sogenannten Gamma Ray Burst.

Vor mehr als 40 Jahren wurde der erste derartige Ausbruch registriert. Amerikanische Spionagesatelliten vom Typ Vela hatten am 2. Juli 1967 Gammastrahlung aufgefangen, die nicht von heimlichen oberirdischen Atomwaffentests stammen konnte, welche die Späher im Orbit aufspüren sollten. Erst 1973 wurden die Messungen dazu publiziert – mit dem Schluss, dass diese Signale aus den Tiefen des Kosmos gekommen sein mussten.

In den folgenden Jahren untersuchten die Forscher das Phänomen mit eigens dafür konstruierten Instrumenten. So registrierte allein das Weltraumobservatorium Compton von 1991 bis zu seinem kontrollierten Absturz neun Jahre später rund 2000 Gammablitze. Die Wissenschaftler lernten, dass die Gammablitze zufällig ver­teilt aus allen Himmelsrichtungen eintreffen und es keine erkennbar bevorzugten Entstehungsorte am Firmament gibt.

Die Blitze – Zeichen einer intergalaktischen Schlacht?

Was geht im All vor sich? Tobt da draußen etwa ein „Krieg der Sterne“? Detonieren gar Bomben hoch entwickelter Zivilisationen? Lange war die Entfernung zu den Entstehungsorten der Blitze heftig umstritten. Mittlerweile ist klar: Die Blitze kommen von sehr weit her, aus Entfernungen von mehreren Milliarden Lichtjahren. Und deshalb gilt es einen Mechanismus zu finden, der die ungeheure Energie­erzeugung erklärt, der also enorm effizient Masse in Strahlung umwandelt. Mindestens 150 Theorien haben die Astronomen im Lauf der Zeit aufgestellt – und die meisten wieder verworfen.

Kompliziert wird die Sache noch durch die aus Compton-Messungen erkannten zwei Untergruppen: Gammablitze mit kurzer Dauer von weniger als ein bis zwei Sekunden, und solche, die typischerweise zehn bis 100 Sekunden lang feuern. Die kurzen Ereignisse werden möglicherweise bei der Verschmelzung zweier Neutronensterne erzeugt, die sich eine Zeitlang umkreisten; oder dann, wenn ein solcher Sternenrest einen noch kompakteren Partner hat – ein schwarzes Loch, dessen Anziehungskraft er nicht widerstehen kann, und schließlich in dessen Schwerkraftsog stürzt.

Die langen Blitze bilden die deutlich größere Gruppe. In dem mittlerweile allgemein anerkannten Szenario entstehen sie beim Kollaps eines sehr massereichen Sterns am Ende seiner Entwicklung, wenn im Innern der Brennstoff für die Kernfusion zur Neige geht und der Reaktor erlischt. In dem Maß, in dem der Strahlungsdruck aus dem Innern nachlässt, gewinnt die Schwerkraft die Oberhand und komprimiert die Sternmaterie. Elektronen und Protonen werden extrem stark zusammengepresst und bilden Neutronen. Dadurch sinkt der Druck im Kern erneut, und schließlich kollabiert der Stern im Bruchteil einer Sekunde. Seine Dichte erreicht die eines Atomkerns – etwa 100 Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter.

Sternfetzen verschwinden hinter dem Ereignishorizont

Noch wissen die Forscher nicht genau, wie diese Dichtegrenze den Einsturz in eine Explosion umwandelt. Die Schockwelle an dieser „Wand“ reicht dazu offenbar nicht aus: Neutrinos – elektrisch neutrale Elementarteilchen, die kaum mit anderen wechselwirken – spielen ebenso eine Rolle wie die beim Einsturz sich beschleunigende Sternrotation, die den kollabierenden Materiestrom auf eine schnell drehende Scheibe zwingt.

Außerdem schießt aus den polaren Regionen des Sterns jeweils ein Jet hervor, der nahezu Lichtgeschwindigkeit erreicht. Innerhalb dieses Materiestrahls bilden sich Schockwellen aus Kollisionen von schnelleren mit langsameren Teilchen, die wiederum Gammastrahlung erzeugen. Währenddessen verschwinden weiter innen die Reste des zerfetzten Sterns hinter dem Ereignishorizont eines kosmischen Massemonsters: Ein schwarzes Loch ist geboren.

Astrophysiker arbeiten an den theoretischen Details dieses Szenarios. Was steckt dahinter, wenn auf ein zentrales kompaktes Objekt mit hoher Geschwindigkeit Gas einströmt und dessen Umgebung in eine Quelle hochenergetischen Lichts und Plasmajets verwandelt? Um das zu verstehen, hilft nur eines: der Natur während eines solchen Prozesses auf die Finger schauen. Und hier bieten Gammablitze einen idealen Ansatzpunkt, stellen sie doch die unmittelbaren Boten der beschriebenen Vorgänge dar.

In der Praxis gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen lässt sich die Gammastrahlung direkt während des Blitzes messen, um aus deren Zeitprofil und Energiespektrum auf die Quelle und den Emissionsmechanismus zu schließen. Zum anderen kann man im Röntgen-, aber auch im visuellen und infraroten Bereich das Nachglühen des Ausbruchs beobachten.

Die akute Phase messen die Gammastrahlen-Augen der Satelliten Swift, INTEGRAL und Fermi; das Nachleuchten registrieren Instrumente bei niedrigeren Wellenlängen unter anderem an Bord von Swift sowie GROND am 2,2-Meter-Teleskop der Max-Planck-Gesellschaft auf La Silla in den chilenischen Anden. GROND wurde vollständig am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik entwickelt, die Detektoren eines Fermi-Bordinstruments haben die Mitglieder der Hochenergie-Astrophysikgruppe am Institut beigesteuert.

Swift startete im November 2004 ins All und überwacht seitdem mit mehreren Teleskopen den Himmel nach Gammablitzen. Dabei spürt der Späher auch deren Nachleuchten auf. Das hatten die Forscher erst 1997 mit dem italienischen Satelliten BeppoSax entdeckt – 30 Jahre nach der zufälligen Registrierung des ersten derartigen Blitzes. Dieses Glühen resultiert offenbar aus der Wechselwirkung der nach außen laufenden Explosionswolke des Sterns mit der umgebenden Materie und lässt sich über einige Stunden bis Tage in praktisch allen Wellenlängen messen, vom Röntgen- über den ultravioletten und optischen bis zum Radiobereich.

Binnen einer Minute nach der ersten Messung eines neuen Gammablitzes kann Swift sein Röntgenteleskop auf die ermittelte Position am Himmel richten. Überrascht waren die Wissenschaftler gleich zu Beginn der Mission darüber, wie die Intensität des Röntgenglühens variiert: „Statt des erwarteten exponentiellen Verlaufs findet man innerhalb der ersten Minuten einen viel steileren Abfall. Während der ersten Stunden geht die Strahlung oftmals in eine Phase konstanter Intensität über. Gelegentlich kommt es dann noch einmal zu einem etwa halbstündigen Aufleuchten, bei dem sich das Röntgenlicht bis zu einem Faktor 100 ändert“, sagt Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. Während die Ursache der Plateauphase unverstanden ist, halten Greiner und seine Kollegen das plötzliche Aufleuchten für ein Zeichen von Wechselwirkungen innerhalb der Explosionswolke.

Das Licht wird aufgeteilt

Unter dem Namen Fermi (ursprünglich GLAST für Gamma-Ray Large Area Space Telescope) hat das bisher leistungsfähigste Gammastrahlen-Observatorium im Juli 2008 seinen Beobachtungsposten in der Erdumlaufbahn bezogen. An Bord teilen das Haupt-Teleskop LAT (Large Area Telescope) und der GLAST Burst Monitor (GBM) mit seinen 14 Detektoren das einfallende Licht unter sich auf.

LAT durchmustert das Gammaspektrum bei extrem hohen Energien zwischen 20 Megaelektronenvolt und 300 Gigaelektronenvolt. Die am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik entwickelten GBM-Detektoren hingegen beobachten die Strahlen niedriger Energie zwischen 15 Kilo- und einem Megaelektronenvolt sowie zwischen 150 Kilo- und 30 Megaelektronenvolt. Der Gammamonitor blickt in alle Richtungen und schlägt Alarm, sobald er einen Gammablitz entdeckt. Anschließend dreht sich der Satellit mit seinem Hauptinstrument auf dessen Position.

Um Gammastrahlen nachzuweisen, arbeitet LAT anders als ein optisches Teleskop, denn Licht derart hoher Energie lässt sich nicht einfach in einem Brennpunkt bündeln. Vielmehr nutzt das Instrument den Paarerzeugungseffekt: Im Detektor verwandelt sich ein masseloses Lichtteilchen (Photon) in ein Paar mit Masse behafteter, entgegengesetzt geladener Teilchen – in ein negativ geladenes Elektron und sein positiv geladenes Gegenstück, das Positron. „Mithilfe eines Spurdetektors bestimmen wir über die Wechselwirkung der geladenen Teilchen mit den einzelnen Detektoreinheiten deren Weg, aus dem sich die ursprüngliche Energie und Richtung des Gammaphotons bestimmen lässt“, erklärt Gottfried Kanbach von der Garchinger Hochenergie-Astrophysikgruppe das Messprinzip.

GBM beherbergt 14 Kristalldetektoren, zwölf aus Natriumiodid (NaI), zwei aus Bismutgermanat (BGO). Dabei handelt es sich um Szintillationskristalle, das heißt: Bei der Wechselwirkung mit einem Gammaphoton leuchten sie kurz auf – sie „szintillieren“. Lichtempfindliche Elektronenröhren wandeln dieses Szintillationslicht in ein elektrisch verwertbares Signal um. Der zentrale GBM-Bordrechner destilliert daraus eine erste grobe Position. „Diese wird dann einerseits an das LAT übermittelt, andererseits zur Bodenstation gefunkt. Von dort aus wird der Burstalarm an viele Observatorien weltweit gemeldet“, sagt Max-Planck-Forscher Andreas von Kienlin. Ziel sei es, das Nachglühen eines Gammablitzes in allen möglichen Wellenlängenbereichen zu verfolgen.

Die alten Grenzen fallen

Eines dieser Fenster hat sich den Wissenschaftlern erst kürzlich geöffnet: „Endlich beobachten wir das Nachleuchten systematisch auch im Infrarotbereich“, sagt Jochen Greiner. „Das markiert meiner Meinung nach einen Durchbruch im Methodischen. Denn auf diese Weise lässt sich die Rotverschiebung unmittelbar am Gammablitz-Signal bestimmen – statt später an der dazugehörigen Galaxie, in der die Explosion stattfand.“ Außerdem erweitert sich damit der zugängliche Rotverschiebungsbereich zu früheren kosmischen Epochen. Quasare, junge Galaxienkerne in großer Distanz, markieren nicht länger die Grenzsteine.

Für die Erforschung von Gammablitzen ist die Bestimmung der Entfernung von entscheidender Bedeutung. In den vergangenen Jahren konnte man die Empfindlichkeit der Detektoren immer weiter verbessern. Bis vor Kurzem jedoch verfolgten die Wissenschaftler das Nachglühen hauptsächlich im visuellen Spektralbereich. Dazu nahmen sie zunächst Bilder von der entsprechenden Himmelsregion auf, um die genaue Position des Feuerballs aufzuspüren. Erst in der darauf folgenden Nacht wurde dann mittels eines Spektrographen die Rotverschiebung gemessen.

Der von Jochen Greiner entwickelte Detektor GROND hat die Situation grundlegend verbessert: „Das Instrument kombiniert das Aufspüren des Nachleuchtens mit einer groben Entfernungsbestimmung. Nun können wir innerhalb von Minuten, höchstens nach ein bis zwei Stunden, die Entfernung eines Gammablitzes auf etwa fünf Prozent genau ermitteln“, sagt der Forscher. Die erfolgreiche neue Strategie habe sich durchgesetzt: „In den vergangenen zwei Jahren haben wir mit GROND genauso viele Blitze bei einer Rotverschiebung größer als vier entdeckt wie in den zehn Jahren davor.“

GROND ist eine aus Tolkiens Werk Herr der Ringe entlehnte Abkürzung und steht für Gamma-Ray burst Optical and Near-infrared Detector. Im Grunde ist GROND eine Kamera, die sowohl im Optischen als auch im Infrarotbereich messen kann. Dazu spaltet das in Zusammenarbeit mit der Thüringer Landessternwarte Tautenburg entwickelte und gebaute Gerät mithilfe von sechs Strahlteilern das Licht in sieben Farbkanäle. Jeder Kanal hat seinen eigenen Detektor, das heißt, die sieben Kanäle werden gleichzeitig belichtet.

Vom Wasserstoff verschluckt

Die Distanz eines sehr fernen Objekts ergibt sich aus der kosmologischen Rotverschiebung. Ein wichtiger Marker ist die sogenannte Absorptionskante des intergalaktischen Wasserstoffs, die normalerweise bei einer Wellenlänge von 120 Nanometern liegt: Strahlung kleinerer Wellenlängen wird vom Wasserstoff verschluckt (absorbiert), und das Objekt verschwindet. Die kosmologische Rotverschiebung rückt diese Absorptionskante hin zu größeren Wellenlängen. Mit GROND lässt sich die Lage der verschobenen Kante bestimmen und daraus Fluchtgeschwindigkeit und Entfernung des Objekts ableiten.

Was so einfach klingt, hat seine technischen Tücken – und deshalb existiert auch bislang weltweit kein weiteres derartiges Gerät, das gleichzeitig im Optischen und im Nahinfraroten arbeitet. Zum Beispiel müssen die Infrarotdetektoren auf minus 210 Grad Celsius gekühlt werden. Dagegen dürfen die optischen Detektoren nicht kälter als minus 120 Grad Celsius sein, obwohl sie keine zehn Zentimeter von Ersteren entfernt stehen. Auch das vor den Infrarotempfängern platzierte Linsensystem muss auf minus 200 Grad gekühlt sein, um keine zusätzliche Hintergrundstrahlung zu erzeugen. Und schließlich dürfen Belichtungen im nahen Infrarot typischerweise nur etwa zehn Sekunden dauern – ansonsten wird der Detektor durch den hellen, stets vorhandenen Himmelshintergrund geblendet.

Um trotzdem Quellen, die schwächer glimmen als die übliche Himmelshelligkeit, im Nahinfrarot zu erfassen, wird gewöhnlich das Teleskop nach jeder der Zehn-Sekunden-Belichtungen ein Stück am Himmel verschoben. Im Falle von GROND geht das nicht, weil die Auslesezeit der optischen Detektoren mit 45 Sekunden viel länger ist: Man müsste also alle zehn Sekunden eine 45 Sekunden lange Pause einlegen – eine äußerst ineffiziente Beobachtungsmethode. „Das haben wir mit einem kleinen Trick umgangen“, sagt Greiner. „Ohne das Teleskop zu bewegen, verrücken wir das Bild intern mit einem Taumelspiegel, das heißt, wir schielen im Kreis wie beim Augenrollen.“

Installiert ist GROND als eines von drei Instrumenten am 2,2-Meter-Teleskop der Max-Planck-Gesellschaft und der Europäischen Südsternwarte auf dem chilenischen Andengipfel La Silla. Der Steuerrechner von GROND ist direkt mit der Bodenstation des Satelliten Swift verbunden. Spürt dieser während chilenischer Nachtzeit einen neuen Gammablitz auf, wird ohne menschliches Zutun GROND aktiviert: Innerhalb kurzer Zeit wird die laufende Beobachtung unterbrochen, das Teleskop auf die von Swift gesendete Position geschwenkt und ein Klappspiegel in den Strahlengang gebracht. Etwa zwei bis fünf Minuten nach der Alarmierung beginnt GROND mit der ersten Aufnahme. „Im Fall von GRB 090423 mussten wir allerdings 15 Stunden warten, weil das Objekt am Himmel über La Silla schon untergegangen war“, bedauert Greiner.

Dennoch war die Beobachtung des Blitzes vom 23. April ein voller Erfolg. Die Explosion eines massereichen Sterns mit einer Rotverschiebung von z = 8, also vor etwa 13 Milliarden Jahren, ist das am weitesten entfernte Objekt, das die Astronomen bisher zu Gesicht bekommen haben. Und da sie wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit mit zunehmender Entfernung in immer frühere Stadien des Universums vordringen, markiert GRB 090423 auch die früheste Existenz eines kosmischen Gebildes überhaupt.

Kreislauf der Elemente kommt in Schwung

Die erste Generation von Sternen, die wenige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall aus gigantischen Gaswolken geboren wurde, enthielt im Wesentlichen Wasserstoffgas, war also sehr metallarm. Erst die Fusionsreaktoren im Innern dieser sogenannten Population-III-Sterne erzeugten die ersten schwereren Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff und verstreuten sie bei ihren Detonationen wieder in die Weiten des Alls. „Daraus bildeten sich neue Generationen von Sternen, und der kosmische Kreislauf der Elemente mit stetiger Anreicherung schwerer Elemente kam in Schwung“, sagt Max-Planck-Forscher Roland Diehl. So gehört unsere Sonne als relativ metallreicher Stern einer solch späteren Generation an.

Zählte der Stern, dessen Gammablitz am 23. April registriert wurde, zur allerersten oder einer etwas späteren Generation von Sternen? Eine spannende Frage, die noch der Antwort harrt. Ebenso wie diese: Aus welchem Stoff bestand das frühe Universum? Weil sie ihre Umgebung beleuchten und die Materie in den Spektren in Form von Linien charakteristische Fingerabdrücke hinterlässt, spielen die Gammablitze eine wichtige Rolle bei der Klärung des Problems. Das Studium der Metallhäufigkeiten in sehr frühen Stadien des Kosmos erlaubt zudem wertvolle Rückschlüsse auf die Details der Sternentwicklung unter den damaligen, weitgehend unbekannten Bedingungen.

Jochen Greiner bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel: „Die Quelle eines Gammablitzes hängt unmittelbar mit der Entstehung eines schwarzen Lochs zusammen. Welche Strahlung entkommt gerade noch diesem sich aufbauenden extremen Gravitationsfeld? Welche Vorgänge lassen die Materie hinter dem Ereignishorizont eines solchen kompakten Objekts verschwinden?“ Gammalicht als energiereichste elektromagnetische Strahlungsform sei sehr gut geeignet, diese Vorgänge zu erhellen.

Wie geht es in der Gammablitz-Astronomie weiter? Der bisherige Rekordhalter lag bei einer Rotverschiebung von 6,7. Er wurde im September 2008 ebenfalls vom Satelliten Swift aufgespürt und die Entfernung zuerst mit GROND auf fünf Prozent genau gemessen. „Die relativ kurze Zeit von einem Rekord zum nächsten lässt uns hoffen, dass sich in naher Zukunft weitere Entfernungsrekorde einstellen“, sagt Greiner.

Die beobachtende Kosmologie steht am Scheideweg

Auf jeden Fall erkenne man jetzt die enorme Bedeutung der Gammablitze für die beobachtende Kosmologie. Denn der Blick in immer frühere Epochen des Universums sei eines ihrer großen Hauptziele. Umfangreiche Langzeitbeobachtungen, etwa mit dem Weltraumteleskop Hubble, sowie Hunderte von Nächten mit den Teleskopen der Acht- bis Zehn-Meter-Klasse wurden in den vergangenen Jahren auf Galaxien oder Kerne aktiver Galaxien verwendet, um die magische Grenze von Rotverschiebung sieben – entsprechend einem Weltalter von 780 Millionen Jahren – zu überwinden. Jetzt hat ein 2,2-Meter-Teleskop ausgereicht, um den Sprung zu schaffen. „Damit“, so Jochen Greiner „steht die beobachtende Kosmologie an einem Scheideweg.“

So etwa könnten die allerersten „Megastars“ noch weitere 400 bis 500 Millionen Jahre früher entstanden sein, bei Rotverschiebungen von 25 bis 30. Allerdings setzt die warme Erdatmosphäre bei einer Rotverschiebung von ungefähr 13, entsprechend einem Weltalter von 330 Millionen Jahren, eine mit derzeitigen Teleskopen schwer überwindbare Grenze. Um darüber hinauszuschauen, benötigt man entweder deutlich größere Teleskope oder eine neue Generation von Gammasatelliten. Eine solche Mission haben die Forscher des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik schon im Jahr 2007 der Europäischen Raumfahrtagentur und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt nahegelegt. Nun hoffen sie, dass die aktuellen Messungen an GRB 090423 diesem Vorschlag noch mehr Gewicht verleihen – und dass die Faszination der kosmischen Rekordjagd auch die Geldgeber ergreifen möge.

GLOSSAR

Kernfusion
Sterne sind nichts anderes als gigantische Reaktoren. Im Innern dieser Gasbälle laufen bei hohem Druck und Temperaturen von vielen Millionen bis Milliarden Grad Fusionsprozesse ab, bei denen Atomkerne miteinander verschmelzen. Sterne wie unsere Sonne fusionieren die meiste Zeit ihres Lebens Wasserstoff zu Helium.

Schwarzes Loch
Ein astronomisches Objekt, dessen Anziehungskraft so hoch ist, dass ihm keinerlei Strahlung entkommt. Schwarze Löcher treten in zwei „Gewichtsklassen“ auf: sternen-schwer und millionenfach schwerer. Stellare schwarze Löcher bilden sich am Ende der Entwicklung eines massereichen Sterns.

Spektrograph
Das Instrument – im einfachsten Fall ein Prisma, mit dem schon Isaac Newton im 17. Jahrhundert experimentierte – zerlegt das Licht in unterschiedliche Wellenlängen. In diesem Farbspektrum treten je nach Quelle dunkle Absorptionslinien auf, die sich bestimmten Elementen zuordnen lassen.

Sternpopulation
Eine von Walter Baade 1944 eingeführte Bezeichnung von Sternen, die sich in ihrer Zusammensetzung („Metallizität“), in ihrer räumlichen Verteilung sowie dem Alter nach ähneln. Man unterscheidet drei Populationen: Die ersten Sterne bilden die Population III, relativ früh in der Galaxien­entwicklung entstandene die Population II, und jüngere Sterne – wie die Sonne – zählen zur Population I.


Wie Rosinen im Hefeteig

Die kosmologische Rotverschiebung ist ein Maß für die Entfernung eines Objekts. So schwimmen die Galaxien gleichsam in der Raumzeit, die sich aufgrund der Expansion des Weltalls ausdehnt.

Die Milchstraßensysteme werden darin mitbewegt wie die Rosinen in einem aufgehenden Hefeteig. Einer elektromagnetischen Welle, die durch das Universum eilt, wird diese Bewegung aufgeprägt: Wächst die Raumzeit­ während der Laufzeit um einen bestimmten Faktor, spiegelt sich das in einer entsprechenden Vergrößerung der Wellenlänge wider – was eine Verschiebung in den roten Bereich des Spektrums bedeutet.

Diese Rotverschiebung (genannt z) ist definiert als das Verhältnis der gemessenen Wellenlänge zur Ruhewellenlänge im Labor. Aus der Rotverschiebung schließen die Astronomen auf die Distanz des Objekts und damit auf das Alter des Alls, zu dem das Objekt seine Strahlung aussandte. So bedeutet etwa z = 1 eine Distanz von 5,9 Milliarden Lichtjahren; das Universum hatte demnach nicht ganz die Hälfte seines heutigen Alters von 13,7 Milliarden Jahren.

Das blaue Leuchten

Den Gammahimmel im Visier haben auch zwei Teleskopanlagen, an denen die Max-Planck-Gesellschaft über ihre Institute für Kernphysik in Heidelberg und Physik in München beteiligt ist: H.E.S.S. und MAGIC. Beide sehen die Gammastrahlen aber nicht direkt; die Erdatmosphäre ist für dieses extrem energiereiche Licht – zum Glück für das Leben – undurchlässig. Vielmehr registrieren die Antennen die sogenannte Cherenkov-Strahlung. Sie entsteht, wenn die Gammas hoch über dem Erdboden mit Luftmolekülen zusammenprallen und daraus Paare aus geladenen Teilchen entstehen.

Diese Paare – ein Elektron und sein Antiteilchen namens Positron – dringen in tiefere Schichten der Atmosphäre ein und werden in den elektrischen Feldern weiterer Atomkerne abgebremst. Hierbei entsteht wieder ein Gammaquant, das bei seiner nächsten Passage an einem Atomkern ein neues Elektron-Positron-Paar erzeugt. Auf diese Weise baut sich eine Teilchen-Kaskade auf, die in ungefähr acht Kilo­meter Höhe für einige Milliardstelsekunden blaues Licht aussendet – die Cherenkov-Strahlung. Und genau dieses blaue Leuchten registrieren H.E.S.S. (High Energy Stereoscopic System) und MAGIC (Major Atmospheric Gamma-Ray Imaging Cherenkov Telescope).

Zu den Zielen der Anlagen gehören unter anderem das Zentrum der Milchstraße, rasch rotierende Neutronen­sterne (Pulsare) oder die Überreste von Supernovae. Die beiden MAGIC-Teleskope auf der Kanareninsel La Palma (Bild) fahnden mit dem „Stereoblick“ ihrer 17-Meter-Spiegel aber auch gezielt nach Gammablitzen; H.E.S.S. in Südafrika schaut mit vier Spiegeln ebenfalls nach solchen Ereignissen, wenn ein Satellit Alarm schlägt und das Gesichtsfeld der Anlage getroffen scheint. 

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht