Beobachtungen bestätigen wichtigen Schritt in der Sternentwicklung

17. Oktober 2023

Neue Beobachtungen haben einen entscheidenden Schritt im Prozess der Sternentstehung bestätigt: einen rotierenden "kosmischen Wind" aus Molekülen. Dieser Molekülwind ermöglicht, dass sich kollabierende Gaswolken überhaupt ausreichend dicht zusammenziehen können, um einen heißen, dichten jungen Stern zu bilden. Das Ergebnis wurde durch eine Analyse von radioastronomischen Beobachtungen des Materiestroms um einen jungen Stern in der Dunkelwolke CB26 erzielt.

Beobachtungen von Ralf Launhardt, einem Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Astronomie, und seinen Kollegen haben einen wichtigen Teil des Standardszenarios für die Entstehung neuer Sterne bestätigt: einen Mechanismus, der es Gaswolken erlaubt zu kollabieren und so einen neuen Stern hervorzubringen, ohne dabei von ihrer eigenen Rotation zerrissen zu werden.

Neue Sterne entstehen, wenn Gas in einer kosmischen Wasserstoffwolke unter seiner eigenen Schwerkraft kollabiert und die Gastemperatur dabei gehörig ansteigt. Ab einer bestimmten Dichte- und Temperaturschwelle setzt Kernfusion ein, bei der Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen. Dann ist ein neuer Stern entstanden. Zum Leuchten gebracht wird er durch die Energie, die bei der Kernfusion freigesetzt wird. Allerdings gibt es dabei eine Komplikation. Keine Gaswolke im Kosmos ist vollkommen unbewegt – alle Wolken rotieren zumindest ein wenig. Zieht sich das Gas zusammen, wird diese Rotation immer schneller. In der Physik heißt dieser Effekt Drehimpulserhaltung und erinnert an den Eiskunstlauf: eine Pirouette beginnt mit einer langsamen Drehung, bei der beide Arme und ein Bein vom Körper weggestreckt sind. Zieht die Person Arme und Beine nahe an den Körper, erhöht sich die Drehgeschwindigkeit beträchtlich.

Ein Problem und seine mögliche Lösung

Für die Sternentstehung ist das potenziell ein Problem. Schnelle Rotation erzeugt Zentrifugalkräfte, die Materie von der Drehachse wegschleudern. Bei einem Kettenkarussel ist das gewollt: Dreht sich das Karussell, werden die an Ketten befestigten Sitze der Mitfahrenden nach außen geschleudert. Für einen Protostern, also einen jungen Sternembryo hingegen könnten die Fliehkräfte fatal sein: Wird genügend viel Material herausgeschleudert, während die Wolke kollabiert und ihre Drehung dadurch immer weiter beschleunigt, bleibt möglicherweise nicht mehr genug übrig, um überhaupt einen Protostern entstehen zu lassen.

Dies wird als Drehimpulsproblem der Sternentstehung bezeichnet. Eine theoretische Lösung für einen großen Teil des Problems wurde in den 1980er Jahren gefunden. Fällt zusätzliche Materie auf den entstehenden zentralen Protostern, bildet sie eine so genannte Akkretionsscheibe: eine flache, rotierende Scheibe aus Gas und Staub, deren Materie allmählich auf spiralförmigen Bahnen in Richtung des jungen Zentralsterns strömt. Die Physik von Akkretionsscheiben ist dabei kompliziert: Ein Teil des Gases in der Scheibe wird zu Plasma, in dem sich Wasserstoffatome in jeweils ein Elektron und ein Proton aufspalten. Wird das Plasma in der Scheibe herumgewirbelt, erzeugt es ein Magnetfeld. Dieses Feld wiederum beeinflusst den Plasmastrom aus geladenen Teilchen und ein kleiner Teil des Plasmas driftet entlang der Magnetfeldlinien ab. Immer wieder stoßen die abdriftenden Plasmateilchen dabei mit (elektrisch neutralen) Molekülen zusammen und reißen so einen Teil des molekularen Gases mit. Jene wegfliegenden Moleküle steigen in einem Wind empor, welcher der Scheibe erhebliche Mengen an Drehimpuls entziehen kann. Der Verlust des Drehimpulses wiederum verlangsamt die Rotation, verringert die Zentrifugalkräfte und könnte so das Drehimpulsproblem des Protosterns lösen.

Von der Hypothese zur Beobachtung

Zunächst war dieses Szenario nicht mehr als eine plausible Hypothese. Akkretionsscheiben sind vergleichsweise kleine Strukturen. Selbst für die erdnächsten Sterne waren die Beobachtungsmethoden lange Zeit nicht gut genug, um sie zu untersuchen. Deshalb dauerte es mehr als 20 Jahre, bis Forschende erste Belege für diese Hypothese fanden: Im Jahr 2009 beobachtete ein Team um Ralf Launhardt am Max-Planck-Institut für Astronomie solche Ausflüsse in der Nähe eines jungen Sterns in einer kleinen Wasserstoffwolke mit der Bezeichnung CB26. Mit einer Entfernung von weniger als 460 Lichtjahren von der Erde ist CB26 eines der nächsten bekannten Scheibensysteme um einen Protostern.

Die fraglichen Beobachtungen werden mit Radioteleskopen durchgeführt, die bei Millimeterwellenlängen arbeiten, in diesem Fall am Observatorium Plateau de Bure Interferometer. Die Signale mehrerer Antennen werden dabei auf geschickte Weise so kombiniert, dass sie wie eine einzige, deutlich größere Radioantenne wirken. Radioteleskopnetzwerke sind in der Lage Strahlung nachzuweisen, die für verschiedene Arten von Molekülen – hier Kohlenmonoxid (CO) ­– charakteristisch ist. Bewegen sich Moleküle auf die Antenne zu oder von ihr weg, verschiebt sich die Frequenz der gemessenen Radiostrahlung entsprechend zu etwas kürzeren oder längeren Wellenlängen. Dieser Dopplereffekt ermöglicht es Astronominnen und Astronomen, die Gasbewegung entlang der Sichtlinie zu erfassen.

Die Beobachtungen von 2009 zeigten, dass der Gasausfluss des jungen Sterns tatsächlich in einer Weise in Bewegung war, wie man es von einem rotierenden Scheibenwind erwarten würde, der Drehimpuls abgibt. Für genauere Aussagen darüber, wo der Wind entspringt und wie viel Drehimpuls er abtransportiert, reiche die Qualität der Daten zu der Zeit jedoch nicht.

Rotierende Scheibenwinde beobachten

Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse jedoch lassen genauere Schlüsse zu. Launhardt und das Team verbesserten die Auflösung des Radioteleskopnetzwerks auf dem Plateau de Bure, indem sie die Abstände der Teleskope zueinander vergrößerten. Außerdem half ihnen ein physikalisch-chemisches Modell der Akkretionsscheibe dabei, die Scheibenstruktur von der des Windes in den Beobachtungen zu unterscheiden. Auch die Dimension des kegelförmigen Ausflusses ließ sich direkt aus den rekonstruierten Bildern bestimmen. In der Nähe der Scheibe hat das untere Ende des Kegels einen Radius von etwa dem 1,5-fachen der Erde-Neptun-Entfernung.

Ein Scheibenwind, wie er hier beobachtet wurde, ist in der Lage Drehimpuls nach außen abzuleiten und schafft damit einen Erklärungsansatz für das Drehimpulsproblem bei Protosternen. Vergleiche mit neun anderen jungen Stern-Scheiben-Systemen unterschiedlichen Alters zeigen einen deutlichen Trend: Im Laufe der Zeit wächst der durchschnittliche Radius des Scheibenbereichs, von dem aus der Scheibenwind ausströmt. Während der ersten Zehntausende von Jahren, gibt es hoch konzentrierte Scheibenwinde, während die Scheibenwinde nach etwa einer Million Jahren ungleich diffuser sind.

Nächste Schritte

Die Astronominnen und Astronomen planen bereits ihre nächsten Beobachtungen des hier vorgestellten Systems. In der Zwischenzeit, nämlich, wurde das Plateau de Bure Interferometer aufgerüstet: Das neue Observatorium mit dem Namen Noema verfügt über zwölf statt der bisherigen sechs Antennen und ermöglicht Konfigurationen, mit denen noch feinere Details beobachtbar sind.

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