Gefräßige Sternenembryonen
Gas von weit außen füttert Sterne während ihrer Entstehung
Laut der gängigen Vorstellung, entsteht ein neuer Stern, indem so viel Gas und Staub in kalten Molekülwolken auf engem Raum zusammenballen, bis der Klumpen unter seiner eigenen Schwerkraft kollabiert. Temperatur und Druck im Inneren sind dabei so hoch, dass die Kernfusion zündet und der Stern zu leuchten beginnt. Es ist zu erwarten, dass die Natur Überraschungen bereithält. Um diese Überraschungen in der Astronomie sichtbar zu machen, braucht es etwas Glück, aber vor allem geeignete Teleskope und ein Ziel, das sich lohnt.
Traditionell geht die Forschung davon aus, dass sich bei der Sternentstehung allmählich Material anhäuft und zwar innerhalb einer Geburtshülle, einer besonders kühlen und dichten Region in einer größeren Molekülwolke. Sobald die Dichte des Kerns eine bestimmte Grenze erreicht, kollabiert dieser und bildet einen Protostern. Während der Protostern weiterhin Material aus einer umliegenden Scheibe auf sich anhäuft, betrachtet man diese Kernregion im klassischen Bild als isolierte Einheit. In den letzten Jahren wurden jedoch vermehrt Streamer mit Längen von bis zu 10 000 astronomischen Einheiten entdeckt. Unser Sonnensystem misst nur etwa 50 astronomische Einheiten, wobei eine astronomische Einheit dem Abstand von der Erde zur Sonne entspricht. Die neu entdeckten Zuflüsse erstrecken sich also weit über die Grenze der Hülle der Kernregion hinaus und versorgen die Scheibe mit frischem Gas. Allerdings ist immer noch unklar, woher sie stammen. Forschende am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik haben eine dichte Molekülwolke namens Barnard 5 im Sternbild Perseus genauer untersucht und dort erstmals Hinweise auf eine dynamische Verbindung zwischen diesen Streamern und Filamenten in Sternentstehungsgebieten gefunden. Diese Ergebnisse eröffnen eine neue Perspektive auf die Geburt von Sternen.
In Barnard 5 beherbergen zwei Filamente einen einzelnen Protostern – allerdings nicht mehr lange: Es gibt drei weitere Verdichtungen an Gas, die in Zukunft ein gebundenes Mehrfachsternsystem bilden werden. Mit der Kombination von drei leistungsstarken Instrumenten – Alma in der chilenischen Wüste, Noema in den französischen Alpen und dem 30-Meter-Teleskop Iram in Pico Veleta, Spanien – verfolgte das Team am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik den Gasfluss auf verschiedenen Längenskalen. „Unser Ziel war es, den Weg des Gases von außerhalb des Filaments, das den Protostern enthält, bis hin zu der protostellaren Scheibe zu verfolgen, und so verschiedene Skalen der Sternentstehung zu überbrücken“, erklärt Teresa Valdivia-Mena, Doktorandin im Zentrum für Astrochemische Studien am Institut.
Auf größeren Skalen fanden die Forscher heraus, dass chemisch frisches, vom Sternentstehungsprozess unbeeinflusstes Gas aus der größeren Barnard-5-Region in die Filamente gelangt. Die Geschwindigkeit des Gases, die von Noema und dem 30-Meter-Teleskop Iram gemessen wurde, stimmt mit einem Einfall von außerhalb der beiden Filamente überein. Wenn das Gas die zentrale Achse der Filamente erreicht, biegt es in Richtung der drei Verdichtungen und des Protosterns ab. Beim Heranzoomen mit Alma fand das Team einen Streamer, der die protostellare Scheibe speist.
Auffallend bei diesen Beobachtungen ist, dass – trotz der unterschiedlichen Auflösungen – die Geschwindigkeit des chemisch frischen Gases von außerhalb der Filamente mit der Geschwindigkeit des Streamers übereinstimmt. Sowohl die Position als auch die Geschwindigkeit entlang des Streamers wurden mit einem theoretischen Modell für frei fallendes Material reproduziert und scheinen mit der Gasströmung auf größeren Skalen verbunden zu sein. Das bedeutet, dass das chemisch unverarbeitete Gas jenseits der Filamente den Protostern erreichen kann. Der Protostern hat somit Zugang zu einem größeren Reservoir an Materie und kann auch nach der Hauptakkretionsphase weiter wachsen.
„Diese Ergebnisse sind sehr spannend, denn sie zeigen, dass der Sternentstehungsprozess auf vielen Skalen abläuft“, betont Jaime Pineda, Zweitautor der Barnard-5-Studie. „Akkretionsströme und Streamer verbinden die jungen stellaren Objekte mit der elterlichen Wolke. Dieser dynamische Prozess, wie der junge Stern gefüttert wird, könnte sich sogar auf den gesamten Prozess der Scheiben- und Planetenbildung auswirken. Allerdings werden wir weitere Beobachtungen benötigen, um dies zu bestätigen.“ Darüber hinaus deuten diese Beobachtungen darauf hin, dass reine Materie aus der interstellaren Wolke ein wichtiger Bestandteil für das zukünftige Planetensystem sein kann. Die Zusammensetzung der neugeborenen Planeten und ihrer Atmosphären könnte daher von einer viel größeren Region beeinflusst werden als bisher angenommen.
Im Wesentlichen zeichnet diese Studie bereits ein anschauliches Bild des komplexen Tanzes der Gasströme von Filamenten zu Streamern und schließlich zu protostellaren Größenordnungen. „Unsere Forschung unterstreicht, wie eng die verschiedenen Skalen im Sternentstehungsprozess miteinander verbunden sind, und verdeutlicht den Einfluss dieser Strömungen auf die Entwicklung der entstehenden Sterne“, fasst Valdivia-Mena zusammen.