Smart-barn: Schwärme in der Scheune
In neuer Großforschungsanlage können Forschende das komplexe Verhalten von Tiergruppen sehr genau untersuchen
Zu einem hochmodernen Technologielabor für komplexe Verhaltensanalysen haben Forscherinnen und Forscher des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie eine historische Scheune umgebaut. Darin können sie nun das Verhalten von Tiergruppen detailliert untersuchen. Die Scheune diente auch als Prototyp für das größte Labor für Schwarmverhalten an der Universität Konstanz: dem Imaging Hangar.
Eine wesentliche Einschränkung in der Verhaltensforschung besteht darin, dass Forschende Tiere entweder unter stark kontrollierten, aber oft unrealistisch vereinfachten und kleinen Bedingungen im Labor untersuchen können oder unter weitgehend unkontrollierten Bedingungen in freier Wildbahn. Dadurch ist es nur sehr begrenzt möglich, die ganze Vielfalt des Tierverhaltens zu untersuchen, insbesondere das kollektive Verhalten, also Bewegungen und Interaktionen zwischen Tieren, die ihrem komplexen sozialen Leben zugrunde liegen. Was aber ist erforderlich, um dieses Problem zu lösen? Erstens: ein Ort mit viel Platz. Zweitens: hochmoderne Technologie.
Beides ist in einer Scheune aus dem 18. Jahrhundert am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Möggingen bei Konstanz gegeben und jetzt im Imaging Hangar, einer Halle von der Größe einer Turnhalle, an der Universität Konstanz. Beide Labore dienen dazu, das Gruppenverhalten von Tieren genau zu untersuchen. Um dies mehrdimensional zu erforschen, haben Forschende des Exzellenzclusters Forschungskolleg Kollektives Verhalten der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Tierverhalten ein Werkzeug namens „smart barn“ entwickelt.
„Smart-barn“ ist ein Akronym für eine skalierbare multimodale Arena für die Echtzeit-Verfolgung des Verhaltens von Tieren in großer Zahl (Scalable Multimodal Arena for Real-time Tracking Behaviour of Animals in large numbers). „Smart-barn ist ein neues Instrument, das die Untersuchung komplexer Verhaltensmerkmale eines Individuums oder von Interaktionen zwischen Tiergruppen wie Insekten, Vögeln oder Säugetieren ermöglicht“, sagt Hemal Naik. Gemeinsam mit Máté Nagy sowie Iain Couzin, Co-Sprecher des Clusters, entwickelten sie zusammen mit Kollegen und Kolleginnen Smart barn in einem interdisziplinären Team.
Máté Nagy erklärt das Tool näher: „Wir setzen Messverfahren mit hohem Durchsatz ein, wie z. B. optisches und akustisches Tracking, mit denen wir die genaue 3D-Position und -Haltung von Tieren untersuchen und ihr Sichtfeld berechnen können.“ Die Anlage bietet viel Flexibilität, da die Nutzenden verschiedene Versuchsparadigmen durchführen können, indem sie den modularen Charakter des Systems nutzen.
Warum der Maßstab wichtig ist
Smart-barn
"Smart barn wurde entwickelt, um den Maßstab typischer Verhaltensexperimente in Innenräumen in Bezug auf das Versuchsvolumen und die gemessenen Verhaltensmerkmale und Gruppengrößen zu vergrößern", sagt der Informatiker Hemal Naik und fügt hinzu: „Das bedeutet, dass Forschende ein bisher nicht gesehenes Verhaltensrepertoire messen können, weil die Tiere mehr Platz haben.“
Die Anlage kann – je nach Größe der Tiere – Hunderte von Tieren gleichzeitig beherbergen und die Möglichkeit von Experimenten mit neuen Arten erweitern, die normalerweise nicht in Innenräumen untersucht werden. „In der Tat haben wir die Anlage jetzt auf mehrere Tausend Tiere erweitert", fügt Couzin hinzu. „Wir haben kürzlich eine Studie im Imaging Hangar durchgeführt, bei der wir 10.000 Heuschrecken beobachtet haben. Das wäre ohne unsere Smart-barn-Technologie unmöglich gewesen.“
Wie SMART-BARN verwendet werden kann
Bislang wurde Smart-barn in verschiedenen experimentellen Anwendungsfällen mit unterschiedlichen Subjekten wie Tauben, Staren, Faltern, Fledermäusen und Menschen eingesetzt. Naik ist begeistert, denn: „Die Anlage ermöglicht wichtige neue interdisziplinäre Kooperationen.“ Er fährt fort: „Smart-barn bietet beispielsweise die Möglichkeit, den Blick und die Körperhaltung von Vögeln in einer Gruppe von zehn oder mehr Tieren in 3D zu verfolgen und dabei ihre Identität zu wahren. Diese Technik wird beispielsweise von Biologen eingesetzt, um die Rolle des Blicks bei der Entscheidungsfindung zu untersuchen. Dieselbe Technik wird von InformatikeIinnen verwendet, um neuartige Algorithmen auf der Grundlage von Computer Vision und KI zu entwickeln, die eine 3D-Verfolgung von Tieren ermöglichen, ohne sie mit Markern zu versehen. „Unsere Methode hat zu einem noch größeren System im Imaging Hangar der Universität Konstanz geführt, mit dem Schwärme von Robotern oder Tausende von Insekten verfolgt werden können“, sagt Iain Couzin.
Máté Nagy ergänzt: „Der Anwendungsbereich ist nur durch unsere Fähigkeit begrenzt, Ideen für Experimente zu entwickeln.“ Das Team wünscht sich, die Einrichtung als kollaborativen Raum zu nutzen, in dem alle interessierten Forschenden Verhaltensfragen untersuchen können. Daher lädt das Team WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt ein, Kontakt aufzunehmen und gemeinsam Experimente zu planen.