Das Universum auf die Probe gestellt

Neue Computersimulation des Universums als vielversprechendes Multitool

Kosmologische Simulationen helfen uns, tief ins Weltall zu schauen. Sie sind wie eine Art theoretisches Modell, mit dem wir das Universum vergleichen können, wie wir es von der Erde aus sehen. Die bisher größten Simulationen befassen sich entweder mit den riesigen netzartigen Strukturen aus Dunkler Materie im Universum oder mit den Details, etwa wie Galaxien und Galaxienhaufen entlang dieser Netze entstehen. In dieser neuen Arbeit haben Forschende vom Max-Planck-Institut für Astrophysik sowie von den Universitäten Harvard und Durham beides zusammengebracht. Ihre Simulation, die den Namen "MillenniumTNG" trägt, bildet eine theoretische Basis, um das bisherige kosmologische Modell auf die Probe zu stellen.

Der Großteil des Universums ist ein Rätsel

Die Kosmologie verleiht astronomischen Beobachtungen des Universums, das uns umgibt, einen Sinn, und zwar mit physikalischen Grundsätzen, die auf der Erde ebenso gelten wie im Rest des Universums. Diese „Lehre von der Welt“ (aus dem Altgriechischen) versucht, das Universum und seine Entstehung als Ganzes zu beschreiben – auch in solchen Entfernungen von der Erde, die für unsere Teleskope nicht mehr einzusehen sind. Die moderne Kosmologie weiß, dass die uns bekannte Materie nur mit maximal fünf Prozent zum kosmischen Gemisch beiträgt. Dazu gehören etwa alle Planeten und Sterne, die wiederum unzählige Galaxien füllen. Den Löwenanteil macht dagegen eine rätselhafte Materie aus, die man Dunkle Materie getauft hat. Indirekte Beobachtungen zeigen, dass es diese geben muss. Direkt nachgewiesen wurde sie jedoch noch nicht. Obendrein scheint ein seltsameres Feld aus Dunkler Energie als eine Art Anti-Schwerkraft zu wirken, die den Kosmos messbar expandieren lässt. Diese Erkenntnisse bilden das Standardmodell der Kosmologie. Es beschreibt erfolgreich die Vielzahl der Beobachtungsdaten, von der kosmischen Mikrowellenstrahlung – der Restwärme des heißen Urknalls – bis hin zum „kosmischen Netz“, in dem Galaxien und Galaxienhaufen entlang verschlungener Filamente aus Dunkler Materie angeordnet sind.

Vieles in Einem

Die tatsächliche physikalische Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie ist jedoch immer noch nicht verstanden, weshalb Forschende der Astrophysik nicht nur versuchen, die Dunkle Materie direkt nachzuweisen, sondern auch mögliche Lücken im bestehenden Standardmodell der Kosmologie aufzudecken. Wichtig dabei ist eine theoretische Modellierung aller Bestandteile des Universums „in einem Aufwasch“: von den kleinsten Strukturen, den Sternen und Galaxien, bis hin zu den größten zusammenhängenden Strukturen zwischen den Galaxienhaufen. Sollten sich dabei Widersprüche zu den Beobachtungsdaten der Teleskope ergeben, könnte dies die Wissenschaft auf die Spur des vielleicht größten Rätsels im Universum führen.

Forschende am Max-Planck-Institut für Astrophysik sind nun zusammen mit einem internationalen Team einen entscheidenden Schritt vorangekommen, um das Universum möglichst vollständig und genau im Computer zu simulieren. Sie knüpften dabei an ihre früheren Erfolge mit den Projekten „Millennium“ und „IllustrisTNG“ an und tauften die daraus entstandene Simulation „MillenniumTNG“. Diese zeichnet die Physik der Entstehung der größten kosmischen Strukturen mit wesentlich höherer Genauigkeit nach, als dies mit früheren Berechnungen möglich war. „MillenniumTNG berücksichtigt die jüngsten Fortschritte bei der Simulation der Galaxienentstehung und beschreibt, wie sich Galaxien mit dem Rückgrat der Dunklen Materie des Universums verbinden“, so Volker Springel, Leiter des Teams vom Max-Planck-Institut für Astrophysik.

Das Forschungsteam hat ein spezielles Computerprogramm namens Gadget-4 benutzt. Dieses Programm wurde am Max-Planck-Institut für Astrophysik entwickelt. Mithilfe von Gadget-4 können sie Dunkle Materie Netzwerke in einem sehr großen Bereich von zehn Milliarden Lichtjahren simulieren. Gleichzeitig können sie Details in dieser Region genau untersuchen. Sie haben auch einen anderen Computercode namens Arepo verwendet, um zu verstehen, wie Galaxien in der frühen Zeit des Universums entstanden. Sie können diese Modelle direkt mit Beobachtungen vergleichen, die das James Webb Weltraumteleskop gemacht hat.

Woraus besteht die Dunkle Materie?

Die Berechnungen, die im Rahmen des MillenniumTNG-Projekts durchgeführt wurden, liefern viele neue theoretische Vorhersagen. Diese Vorhersagen können dabei helfen, grundlegende Hypothesen zu überprüfen. Zum Beispiel: Besteht ein Teil der Dunklen Materie aus winzigen Teilchen namens Neutrinos? Neutrinos sind besondere Teilchen, die schwer nachzuweisen sind und fast kein Gewicht haben. Neutrinos sind im Universum sehr häufig und könnten so immerhin mit wenigen Prozent zur gesamten Dunklen Materie beitragen. Frühere Simulationen zum Universum haben dagegen der Einfachkeit halber oft keine Neutrinos berücksichtigt. Doch jetzt ist die Simulation groß genug, um sogar ihren Einfluss auf die Entwicklung des Universums zu messen. Forschende können diese Vorhersage prüfen, indem sie das Universum mit Teleskopen wie dem Euclid-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation vermessen. So könnten sie vielleicht sogar die Masse der Neutrinos bestimmen.

Das Universum im Supercomputer

Die Berechnungen des MillenniumTNG-Codes führte das Team auf zwei sehr leistungsstarken Supercomputern aus: dem SuperMUC-NG am Leibniz-Rechenzentrum in Garching bei München und den Cosma8-Rechner, der von der Durham Universität im Auftrag der britischen DiRAC-Hochleistungsrechenanlage betrieben wird. Mehr als 120 000 Rechnerkerne arbeiteten am SuperMUC-NG fast zwei Monate lang, um zu verfolgen, wie etwa 100 Millionen Galaxien in einer Region des Universums mit einem Durchmesser von etwa zwei Milliarden Lichtjahren entstehen.

Das Team hat mithilfe von Cosma8 Berechnungen für ein noch größeres Stück des Universums durchgeführt – groß genug, um zum ersten Mal wirklich für das gesamte Universum repräsentativ zu sein. In diesem Fall wäre es zu zeitaufwendig gewesen, gleichzeitig in kleinen Bereichen zu berechnen, wie Materie nach und nach Galaxien bildet. Daher haben die Forschenden einen Trick angewendet. Sie haben ihre Erkenntnisse aus den genauen Simulationen in einem kleineren Teil des Universums genommen und daraus vorausgesagt, wie sich Materie und Galaxien in sehr großen Bereichen des Universums verteilen.

Die MillenniumTNG-Simulationen lieferten mehr als 3 Petabyte an Simulationsdaten und bilden damit einen reichen Fundus für die weitere Forschung, die das Wissenschaftlerteam noch viele Jahre lang beschäftigen wird.

HH, TB

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht