Der Verdauungsapparat des Massemonsters M87

Neue Beobachtungen enthüllen, wie ein Materiejet in der Umgebung eines Schwarzen Lochs entsteht

Vor wenigen Jahren sorgte das Bild eines orange leuchtenden Donuts für Aufsehen. Forschende haben erstmals ein Bild der unmittelbaren Umgebung eines supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 aufgenommen. Diese Galaxie ist bekannt für einen Jet, der mit Hilfe des Schwarzen Lochs Materie in einem dünnen Strahl weit aus der Galaxie hinaus beschleunigt. Wie genau der Jet in der Umgebung des Schwarzen Lochs verankert ist und wie die Materie in den Jet gelangt, ist noch nicht vollständig geklärt. Astronominnen und Astronomen liefern nun unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie neue Antworten. Mit einem Netzwerk von Radioteleskopen, das fast so groß ist wie die Erde selbst, machen sie am Beispiel von M87 erstmals die Materieströme im extremen Zentrum einer Galaxie sichtbar.

Man geht davon aus, dass die enorme Helligkeit und Aktivität im Zentrum einer Galaxie wie M87 dadurch zustande kommt, dass Materie aus der Umgebung in das Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie hineinfällt. Ein Teil der Materie wird aber auch über einen Jet aus dieser Region heraus kanalisiert. Im Fall der Galaxie M87 gab es bereits getrennte Aufnahmen der innersten Materiescheibe um das zentrale Schwarze Loch und des Jets. Ungeklärt war bisher jedoch, wie der Materiestrahl, der seine gebündelte Form bis in die Randbereiche der Galaxie beibehält, in der Umgebung des Schwarzen Lochs entsteht und nach außen beschleunigt wird. Die jetzt gewonnene Aufnahme stellt erstmals den Zusammenhang her. „Wir sehen, wie der Jet aus dem Ring um das Schwarze Loch austritt, und gewinnen neue Einblicke in die physikalischen Prozesse, die den Jet entstehen lassen“, sagt Thomas Krichbaum vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie.

Ein Riesenteleskop macht Detailarbeit

Die Aufnahme gelang dem internationalen Forschungsteam, indem es das Radiolicht bei einer Wellenlänge von 3,5 Millimetern beobachtete. Dies erlaubt einen nahezu ungehinderten Blick auf die im Radiolicht strahlenden Materieströme, die das zentrale Schwarze Loch im Inneren der Galaxie M87 umgeben, und auf den Ursprung des Jets. Dieser innere Bereich erscheint von der Erde aus gesehen nur in etwa so groß wie ein Konzertscheinwerfer auf dem Mond, was einem Winkeldurchmesser von 64 Mikrobogensekunden entspricht. Bei einer Entfernung der Galaxie von etwa 55 Millionen Lichtjahren, entspricht dies einem Vielfachen der Größe unseres Sonnensystems. Um diese von der Erde aus gesehen winzigen Strukturen bildlich aufzulösen, verwenden die Forschenden einen Verbund vieler Radioteleskope. Je größer der Verbund und je weiter die einzelnen Teleskope voneinander entfernt sind, desto kleinere Strukturen lassen sich damit abbilden. Aber auch die Wellenlänge der Strahlung, auf die die Teleskope getrimmt sind, bestimmt die Detailschärfe des Bildes. Je kürzer die Wellenlänge, desto feinere Strukturen lassen sich abbilden. Die zentrale Komponente ist das Global Millimetre VLBI Array (GMVA), das sich mit mehr als einem Dutzend Einzelteleskopen über Europa sowie Nord- und Südamerika erstreckt. Um die Aufnahmequalität zu verbessern, hat das Team auch das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (Alma) und das Greenland Telescope hinzugezogen.

Nur durch die spezielle Anordnung der Teleskope und die Wahl der Wellenlänge von 3,5 Millimetern, bei der das Teleskopnetzwerk M87 beobachtete, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die innerste Kraftmaschine der Galaxie abbilden, also sichtbar machen, wie Materie in das Schwarze Loch hineinströmt und in einem Jet nach außen beschleunigt wird. Sie beobachteten den Kern der Galaxie bereits im April 2018 und brauchten Jahre, um die Daten zu interpretieren und das Bild zu rekonstruieren. „Das spektakuläre Bild des Jets und des Rings in M87 ist ein wichtiger Meilenstein und krönt die jahrelangen gemeinsamen Bemühungen“, sagt Eduardo Ros, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Das Bild des Kerns von M87, das Astronominnen und Astronomen wenige Jahre zuvor mit einer anderen Teleskopkonfiguration, dem Event Horizon Telescope bei einer Wellenlänge von 1,3 Millimetern gelungen war, zeichnet sich durch einen noch stärkeren Zoomfaktor aus. Es zeigt vor allem Materie in einem vergleichsweise schmalen Ring in unmittelbarer Nähe des Schwarzen Lochs. Dieses Donut-ähnliche Bild markierte zum ersten Mal das Schwarze Loch selbst.  

Auf den Spuren der Grenzen der Physik

Für J. Anton Zensus, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, zeigen diese Erfolge, dass sich die jahrelange Entwicklung und der kontinuierliche Ausbau der Technik dieser globalen Radioteleskop-Netzwerke gelohnt haben. Die Grenzen dieser hochauflösenden Beobachtungstechnik sind aber noch nicht erreicht. Neue, noch empfindlichere Radioempfänger des GMVA-Teleskops sollen dem Forschungsteam weitere Detailmessungen ermöglichen. Neben der Lichtintensität, die für die hier vorgestellten Messungen analysiert wurde, lassen sich auch andere Eigenschaften des Lichts nutzen. Die Polarisation beispielsweise wird den Forschenden Aufschluss über die Struktur und Stärke des zugrundeliegenden Magnetfelds geben, das das Schwarze Loch umgibt und den Jet formt. Entlang dieser unsichtbaren Magnetfeldlinien bewegt sich auch die Materie, die im neu gewonnenen Bild über ihre Radiostrahlung zu sehen ist. Diese und andere Messtechniken ermöglichen es, die physikalischen Prozesse in der unmittelbaren Nähe eines Schwarzen Lochs zu untersuchen, das milliardenfach schwerer ist als die Sonne und die Grenzen der Physik verkörpert.

NJ/TB

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