Auf Darwins Spuren

Leinen los: Eduardo Sampaio vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz segelte an Bord der Captain Darwin in den Gewässern vor den Kapverden. Er erzählt von einer vielfältigen, aber bedrohten Unterwasserwelt, vom Paarungsverhalten der Kraken und davon, wie sich auch mit Fischen trefflich Katz und Maus spielen lässt.

Es war die Cholera, die Charles Darwin im Januar 1832 auf die Kapverdischen Inseln führte: Der junge Naturforscher war kurz zuvor an Bord der HMS Beagle zu seiner Weltumsegelung aufgebrochen. Aus Furcht, die Besatzung könnte die Krankheit einschleppen, durfte das Schiff nicht wie geplant in Teneriffa anlanden. Kapitän Robert Fitzroy segelte daher weiter zu den Kapverden. In den Gezeitentümpeln am Strand stieß Darwin auf Tintenfische, die er mit großem Interesse beobachtete und in seinem Buch Die Fahrt der Beagle verewigte.

190 Jahre später war ich für zehn Tage an Bord der Captain Darwin zu Gast. Das 12-Meter-Segelboot ist im September 2021 für vier Jahre in See gestochen und nimmt dieselbe Route wie damals die HMS Beagle. Initiator des Projekts ist der französische Filmemacher Victor Rault. Er möchte herausfinden, wie sich Ökosysteme weltweit seit Darwins Zeiten verändert haben, und, wo möglich, einen Ausblick auf die Zukunft geben: Wohin bewegen wir uns angesichts des voranschreitenden Klimawandels? An den verschiedenen Stationen der Reise trifft Victor Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dort an denselben Organismen forschen wie einst Darwin. In einer Serie von Youtube-Videos dokumentiert er die gesamte Reise.

Die Tintenfische waren meine Eintrittskarte zu diesem exklusiven Segeltörn. Neben unserem Kapitän Victor waren Martin, ein routinierter Segler, und Nico, ein erfahrener Taucher, mit an Bord. Am ersten Tag war das Meer rau, und mein Magen machte mir zu schaffen. Doch schon am zweiten Tag hatte ich mich an das Geschaukel gewöhnt. Wir kreuzten vor den unbewohnten Ilhas Desertas in einem Meeresschutzgebiet, wo ich das Jagdverhalten des Octopus vulgaris, des Gemeinen Kraken, studieren wollte. Anderswo hatte ich bereits die erstaunliche Kooperation zwischen einem Kraken und mehreren Fischen beobachtet, die sich zur Jagd zusammentun: Die Fische machen die Beutetiere ausfindig, die der Oktopus dann mit seinen langen Armen selbst aus den engsten Felsspalten hervorzerrt. Wenn es dann ans Teilen geht, herrscht allerdings längst nicht immer Einigkeit – und so kommt es vor dass der Krake die gierigen Fische mit gezielten Hieben eines seiner langen Arme in Schach hält.

An Bord hatten wir Tauchflaschen und einen Kompressor dabei. Nico und ich machten zwei bis drei Tauchgänge am Tag. Doch wie so oft bei der Freilandarbeit lief alles anders als geplant: Wir bekamen keine jagenden Tintenfische zu Gesicht, dafür aber viele in Paarungsstimmung. Kurzerhand änderte ich meine Pläne und installierte Unterwasserkameras, um das bisher wenig erforschte Fortpflanzungsverhalten der Kraken zu filmen. Ganz nebenbei sind uns auch spannende Beobachtungen an Fischen gelungen: So haben wir entdeckt, dass Meerbarben auf die schnellen Bewegungen eines Laserpointers reagieren – bald war unter Wasser ein wildes Katz- und Mausspiel in Gang.

Die Stimmung an Bord der Captain Darwin war entspannt, und es gab viel zu lachen. Morgens um sechs mit einer Tasse Kaffee von Deck aus den Sonnenaufgang über dem Meer anzuschauen, hat mich jedes Mal aufs Neue begeistert. Nach getaner Arbeit haben wir dann das Videomaterial des Tages gesichtet oder bei einem Feierabendbier auf dem weiten Ozean über die Welt diskutiert. In meiner freien Zeit habe ich Darwins Buch Über die Entstehung der Arten gelesen, in das seine Erkenntnisse aus der Reise mit der Beagle eingeflossen sind. Wie hätte er wohl gestaunt, wenn er damals eine Tauchausrüstung gehabt hätte!

Denn während die Inseln karg und wüstenhaft sind, zeigt sich die Unterwasserwelt bunt und vielfältig. Auf den ersten Blick scheint sie intakt, und doch hat sie sich seit Darwins Zeiten bereits tiefgreifend verändert. Riesige Fangflotten aus Europa und China haben die Fischbestände vor der westafrikanischen Küste besorgniserregend dezimiert. Die Erderwärmung setzt auch dem Leben im Meer zu. Wie es hier in 200 Jahren aussehen wird? Alles hängt davon ab, ob wir es schaffen, den Fischfang zu regulieren und den Ausstoß von Treibhausgasen in den Griff zu bekommen.



 

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht