Wie bakterielle Toxine bei tödlichen Angriffen wirken
Kryo-EM- und Protein-NMR-3D-Schnappschüsse enthüllen den ausgeklügelten Wirkmechanismus des bakteriellen Tc-Toxins
Von Bakterien gebildete Toxine sind schädliche und oft tödliche Substanzen, die Funktionen der Wirtszellen manipulieren und lebenswichtige Zellprozesse stören. So treffen bakterielle Toxine die Wirtsorganismen dort, wo es am meisten weh tut, und fördern Infektionen und Krankheiten bei Tieren und Menschen. Um den Infektionsmechanismus insbesondere der Tc-Toxine im Detail zu entschlüsseln, haben Kryo-EM- und Protein-NMR-Experten aus den Gruppen um Stefan Raunser am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund und Hartmut Oschkinat vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie in Berlin Seite an Seite gearbeitet. Ihre Ergebnisse zeigen nicht nur, wie die tödliche Ladung des Tc-Toxins das Zytoskelett der Zelle kollabieren lässt, sondern liefern auch eine Erklärung für die hohe Effizienz des Toxins.
Nur ein Tausendstel Milligramm des bakteriellen Botulinumtoxins ist nötig, um einen lebenden Organismus zu töten. Das Toxin entfaltet seine tödliche Wirkung, indem es die Freisetzung von Neurotransmittern an der Verbindungsstelle von Nervenzellen und Muskeln verhindert und diese dadurch lähmt. So simpel dieser Vorgang auch erscheinen mag, handelt es sich hierbei jedoch um einen ausgeklügelten, mehrstufigen Prozess. Nicht weniger komplex und auch sehr wirkungsvoll ist der Vergiftungsprozess von Toxinkomplexen (Tc), den Virulenzfaktoren vieler insekten- und humanpathogener Bakterien.
Der Wirkmechanismus der Tc-Toxine ist erst in jüngster Zeit durch die strukturbiologischen Arbeiten der Arbeitsgruppe um Stefan Raunser am Max-Planck-Institut in Dortmund näher aufgeklärt worden. "Mittels Kryo-Elektronenmikroskopie konnten wir die Struktur der Tc-Toxin-Untereinheiten aufklären und zeigen, wie sich diese zusammensetzen. So konnten wir erstmals die Schlüsselschritte der Toxin-Aktivierung und der Membranpenetration verstehen", sagt Raunser. Die Forschenden konnten zeigen, dass die Untereinheiten des Tc-Toxin-Komplexes zusammen wie eine Spritze funktionieren. Sobald sich die Untereinheiten zusammensetzen, lösen strukturelle Veränderungen im Komplex die Öffnung eines Kokons aus, der ein giftiges Enzym enthält. In einem einzigartigen Injektionsmechanismus wird das Enzym über einen Kanal in die Wirtszelle geschleust. Dort entfaltet es seine tödliche Wirkung, indem es die Regulierung des Zytoskeletts der Zelle stört, ein Netzwerk von polymerisierten Aktinfilamenten (F-Aktin) mit vielen wichtigen zellulären Aufgaben.
Toxin legt sich seinen Gegner zurecht
"Lange Zeit ist uns ein vollständiges Bild des Vergiftungsprozesses verwehrt geblieben, da uns die Strukturdaten der injizierten Enzyme, zu denen auch TccC3 gehört, fehlten," sagt Raunser. Über TccC3 war bis vor kurzem nur bekannt, dass es eine ADP-Ribose-Gruppe auf Aktin überträgt und so dessen abnormale Polymerisation fördert, was wiederum die Aktinfilamente verklumpen lässt. "TccC3 ist aufgrund seiner Größe und hohen Flexibilität das, was wir ein "kompliziertes" System für Strukturuntersuchungen nennen", sagt Hartmut Oschkinat. "Nur durch den Einsatz von Protein-NMR in Lösung konnten wir diese Herausforderung meistern und erstmals die 3D-Struktur des Proteins sichtbar machen".
Durch die Zusammenführung zweier weiterer Kryo-EM-Aufnahmen von F-Aktin gebunden an TccC3 und vom modifizierten F-Aktin allein haben die Forschenden den einzigartigen Wirkmechanismus des Enzyms aufgedeckt. "TccC3 agiert wie ein Boxer, der sich seinem Gegner gegenüber so positioniert, dass dieser angreifbar wird", sagt Stefan Raunser. Im ersten Schritt bindet das Enzym an eine Region zwischen zwei aufeinanderfolgenden Aktin-Untereinheiten des F-Aktins. TccC3 öffnet dann ein Tor, sodass die im Molekül NAD+ enthaltene ADP-Ribose-Gruppe in Schlagdistanz zu einer reaktiven Stelle im Aktin gebracht werden kann. Sobald die sperrige ADP-Ribose-Gruppe auf das F-Aktin übertragen wurde, ist es für depolymerisierende Faktoren nicht mehr zugänglich, wodurch F-Aktin nicht mehr abgebaut werden kann und verklumpt.
Neben dieser Entdeckung haben die Wissenschaftler mit ihren Erkenntnissen auch eine Erklärung für die auffallend hohe Effizienz des Enzyms gefunden. Wenn sich das Enzym vom F-Aktin ablöst, verhindert sein Tor-Mechanismus eine Rückbindung an das bereits veränderte Aktin und so wird das Enzym für den nächsten Angriff vorbereitet. "Es ist erstaunlich, wie sich all diese Mechanismen entwickelt haben, um die Wirksamkeit des Giftes maximal zu steigern. Und die Natur hat ganze Arbeit geleistet, denn Botulinumtoxine, Ricin und andere Biotoxine gelten immer noch als die giftigsten Substanzen, die man kennt", fasst Raunser abschließend zusammen.