Wer profitiert, wenn der Staat Steuerschlupflöcher schließt

Eine Studie zeigt, dass auch die Top Player unter den Steuerexperten einen Nutzen haben können, wenn Steuersparmodelle meldepflichtig werden

Ob Pandora Papers oder Lux-Leaks  – Steuerflucht und Steuervermeidung kosten EU-Staaten jährlich Milliarden und erregen die Gemüter, auch wenn viele der aufgedeckten oder verborgen laufenden Aktivitäten nicht illegal sind. Daher haben die EU-Staaten vergangenen Sommer eine Meldepflicht für Steuersparmodelle eingeführt – zum Ärger der Steuerberatungsbranche. Doch eine Studie des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen zeigt, dass nicht nur Staaten sondern auch die Top Player unter den Steuerexperten von der Neuregelung profitieren können.

Eine wichtige Rolle bei der Steuervermeidung spielen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften, Steuerberater und Rechtsanwälte als Architekten von Steuersparmodellen für wohlbetuchte Menschen oder große Konzerne. Eine Studie von Kai A. Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen analysierte den Markt für Steuergestaltung und zeigt, dass die Großen und Innovativen der Beratungsbranche profitieren können, wenn die Steuerverwaltung besser über Gesetzeslücken informiert ist, die bereits seit längerem für Steueroptimierung genutzt werden.

Gerade multinationale Konzerne können angesichts komplexer Steuergesetze, die sich mit internationalen Abkommen zu einem mal dichteren und mal löchrigeren Netz aus Regelungen und Rahmenbedingungen verweben, ihre Steuerlast ganz legal und systematisch klein rechnen. Dabei nutzen sie Gesetzeslücken und die ihnen zivilrechtlich gewährte Freiheit, ihre Angelegenheiten für die Steuerlast vorteilhaft zu arrangieren.

Bei der „Optimierung der Steuersituation“ helfen häufig externe Steuerfachleute. Manche unter ihnen sind besonders findig und entwickeln innovative Steuerprodukte mit schillernden Namen wie „Goldfinger“ oder „Double Irish with a Dutch Sandwich“ die sie mit mehr oder weniger geringem Aufwand für verschiedene Unternehmen anpassen können. Sie konkurrieren dabei mit anderen Dienstleistern, die mitunter die von ihnen entwickelten Steuersparmodelle imitieren und selbst weiterverkaufen. Nach einer gewissen Zeit haben die innovativen unter den Steuertricksern so viele Nachahmer gefunden, dass sich das Geschäft nicht mehr sonderlich lohnt.

EU-weite Anzeigepflicht für Steuergestaltung

Die Rolle des Gesetzgebers auf dem Markt für Steuergestaltung ist, unerwünschte Gesetzeslücken zu schließen, so dass bestehende Modelle nicht länger umsetzbar sind. Um diesen Prozess zu beschleunigen, wurde zum 1. Juli 2020 eine EU-weit geltende Pflicht zur Meldung „grenzüberschreitender Steuergestaltung“ eingeführt. Im Vorfeld kritisierte die Steuerberatungsbranche das Gesetzesvorhaben stark.

Die spieltheoretische Analyse Kai Konrads zeigt jedoch, dass das schnellere Schließen von Gesetzeslücken nicht nur im Interesse des Steuerstaates liegt, sondern auch den besonders innovativen Steuerberatungen zugutekommt. Denn mit dem Stopfen alter Steuerschlupflöcher sind neue, einfallsreichere Steuergestaltungsmodelle gefragt. Aufgrund fehlender Alternativen können diese zunächst teuer verkauft werden. Für die Spitzenberater ist das exklusive Geschäft lukrativer, als alte Steuersparmodelle auf einem hoch kompetitiven Markt zu verkaufen.

Und wie sich zeigt, profitiert auch der Fiskus von der neuen Situation. Da die neuen Steuersparmodelle teurer sind als die alten, werden sie von weniger Unternehmen gekauft. Solange es keine kostengünstigen Nachahmerprodukte gibt, ist es für manche Firmen vorteilhafter, ihre Steuern zu bezahlen, als innovative, aber teure Steuerexperten mit der Beratung zu beauftragen. Ein scheinbarer Interessenskonflikt zwischen dem Steuerstaat und Steuerberatungen, die mit Steuersparmodellen Geld verdienen, löst sich auf diese Weise für die Branchenspitze auf. Das steht im Einklang mit anekdotischer Evidenz sowie Studien, die berichten, dass einige der großen Gesellschaften immer wieder Vertretern der politischen Parteien oder der Finanzverwaltung großzügig ihren Rat und ihr Fachwissen in Steuerrechtsfragen zur Verfügung stellen.

Welche Strategien wenden die Marktteilnehmer an?

Kai A. Konrad untersuchte die für die einzelnen Player auf dem Markt für Steuergestaltung optimalen Verhaltensstrategien unter bestimmten Bedingungen und stellte fest: Ein entscheidender Faktor für das Marktgleichgewicht ist das Verhältnis zwischen der Zeit, die die Steuerverwaltung aufwenden muss, um Steuerlücken zu schließen, und der Zeit, die es für die Entwicklung neuer innovativer Steuergestaltungsmodelle braucht.

Aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive optimal – wenn auch unrealistisch – wäre eine Situation, in der die Steuerverwaltung sofort auf neue Steuervermeidungsprodukte reagieren und diese unterbinden kann, noch ehe sie eingesetzt werden. Eine Monopolsituation, in der einzelne innovative Firmen neue Steuersparmodelle entwickeln und verkaufen, der Gesetzgeber aber eingreifen kann, ehe sich Nachahmer für die Produkte gefunden haben, ist für den Steuerstaat besser, als eine Wettbewerbssituation, in der viele Dienstleister mit etablierten Steuervermeidungsprodukten auf den Markt drängen. Und auch die Top-Beratungen profitieren von der Monopolsituation, da sie dann am meisten verdienen können. Als profitorientierte Unternehmen ziehen sie es vor, wenn die von ihnen entwickelten Steuerplanungslösungen lange genug bestehen, so dass sie ihre Innovationsrenten erzielen können, aber wiederum kurz genug, um den Beratungsmarkt nicht durch den Eintritt von Nachahmern zu verderben. Kommt es jedoch zu einer Wettbewerbssituation – so zeigen die Berechnungen – wechseln sich Perioden mit innovativen Steuerplanungsprodukten auf einem Monopolmarkt ab mit Perioden, in denen viele Firmen Steuervermeidungsprodukte auf einem Wettbewerbsmarkt anbieten. Dies läge im Interesse der weniger innovativen Firmen, ist aber nicht im Sinne der Steuerverwaltung und unvorteilhaft für Spitzenberatungen.

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