„Fische sind nicht dumm, sie sind anders!“
Alex Jordan ist Verhaltensökologe am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung in Konstanz. Sein Hauptinteresse: Er will wissen, warum Tiere tun, was sie tun. Fische sind seine besondere Leidenschaft. Er studiert sie sowohl in freier Wildbahn als auch in Gefangenschaft.
Vor ein paar Jahren haben Sie in einer aufsehenerregenden Studie die Reaktion von Putzerfischen – genauer gesagt von Blaustreifen-Putzerlippfischen – auf ihr Spiegelbild untersucht. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Wir haben Farbmarkierung auf den Körpern der Putzerfische angebracht, die sie nur in einem Spiegel sehen konnten. Die Fische versuchten daraufhin, die Markierungen zu entfernen. Außerdem haben wir verschiedene Tests durchgeführt, um sicher zu gehen, dass die Fische wirklich nur auf Markierungen reagierten, die sie im Spiegel an ihrem eigenen Körper sahen.
Ein bestandener Spiegeltest gilt unter Forschenden als Beleg für ein Ich-Bewusstsein. Nur wenige Arten schneiden darin positiv ab, darunter Menschenaffen, Rabenvögel, Delfine – und jetzt eben auch Putzerfische.
Was schließen Sie daraus? Sind sich die Fische ihrer selbst bewusst?
Nein, das glaube ich nicht. Ich vermute, die Tiere haben einfach gelernt, dass ein Spiegel ein Abbild von etwas erzeugt – in diesem Fall von ihnen selbst. Da dunkle Flecken auf Fischkörpern für sie von Natur aus ein wichtiges Signal sind – das sind nämlich in der Regel Parasiten, also ihre Nahrung – interessiert sie das natürlich besonders. Ein Ich-Bewusstsein oder gar ein Selbstbewusstsein besitzen sie aber vermutlich nicht.
Der Test demonstriert aber in jedem Fall, dass die Fische extrem lernfähig sind.
Wie aussagekräftig ist der Test überhaupt?
Meiner Meinung nach ist der Spiegeltest nicht dafür geeignet, Ich-Bewusstsein bei Tieren zu untersuchen. Wir haben den Test auch mit afrikanischen Buntbarschen aus dem Tanganjikasee gemacht. Sie haben sich nicht die Bohne für die Flecken auf ihrem Körper interessiert. Auch die Putzerfische bestanden den Test nur, wenn die Flecken braun waren. Flecken anderer Farben kümmerten sie nicht. Man darf nicht vergessen, dass auch andere hoch entwickelte Tiere wie Hunde oder Katzen den Test nicht bestehen.
Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Tier nicht auf die Flecken reagiert, deshalb ist der Test meiner Meinung nach nicht geeignet, die Frage nach dem Ich-Bewusstsein zu beantworten. Er ist von Menschen für Menschen entwickelt worden. Für die meisten Tiere passt er einfach nicht.
Wie kann man überhaupt herausfinden, was andere Organismen denken, fühlen, wahrnehmen?
Das ist prinzipiell sehr schwierig. Schon wir beide unterscheiden uns ja darin, wie wir Dinge wahrnehmen. Aber Sie können mir Ihre Geisteswelt in Worten beschreiben. Da wir aber mit Tieren kaum oder gar nicht kommunizieren können, können wir nur über Umwege erschließen, was sie fühlen, wollen, denken. Eine Restunsicherheit wird da immer bleiben, denn wir können gar nicht anders, als uns als Maß aller Dinge zu nehmen. Unsere menschliche Erfahrungswelt zu verlassen und sich in die eines Fisches hineinzuversetzen ist eben nicht gerade leicht.
Wie könnten wir trotzdem eine Ahnung davon bekommen, was in einem Fisch vor sich geht?
Wir wollen das mit einem ganz neuen Ansatz versuchen. Und zwar werden wir die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn messen, wenn Zebrafische auf Artgenossen reagieren oder wenn sie ihrem Spiegelbild gegenüber stehen. Sollten sich in beiden Fällen unterschiedliche Aktivierungsmuster im Gehirn zeigen, wäre dies ein Hinweis darauf, dass die Fische nicht einen Artgenossen, sondern sich selber sehen. Das wäre ein starker Hinweis darauf, dass die Fische über ein Ich-Bewusstsein verfügen.
Fische werden gemeinhin als primitiv und wenig intelligent angesehen. Ist das gerechtfertigt?
Überhaupt nicht. Wir müssen aufhören, uns selbst als die Krone der Schöpfung zu sehen und andere Tiere in absteigender Reihenfolge darunter anzuordnen. Alle Organismen auf der Erde sind das Ergebnis von Millionen von Jahren Evolution. Sie und ihre Vorgänger haben es immer wieder geschafft, allen Widrigkeiten zu trotzen und sich anzupassen. So gesehen ist selbst ein Bakterium hoch entwickelt.
Fische sind folglich nicht dümmer oder schlechter als wir, sie sind nur anders!
Wie schlau sind denn Fische?
Manche Fische sind sehr raffiniert. Sie können spielen und Werkzeuge benutzen, sie können die Handlungen anderer vorhersagen und sie können sogar betrügen und sich versöhnen. Manche Arten besitzen damit mehr geistige Fähigkeiten als andere Wirbeltiere, möglicherweise sind sie gar nicht so weit von Menschenaffen und Menschen entfernt.
Genau wissen wir das noch nicht, aber es gibt definitiv Unterschiede zwischen den Arten. Fische, die in großen anonymen Schwärmen durch den Ozean ziehen, brauchen wahrscheinlich weniger höhere geistige Fähigkeiten, als solche, die zum Beispiel Territorien verteidigen. Von einem Tanganjika-Buntbarsch würde ich also mehr erwarten als von einer Makrele.
Von anderen Tiergruppen ist bekannt, dass Arten mit einem engen Nahrungsspektrum kognitiv weniger leistungsfähig sind als solche, die unterschiedliche Nahrung zu sich nehmen. Die Allesfresser unter den Fischen sollten also „schlauer“ sein als die Spezialisten.
Meeresfische zeigen häufig komplexere Verhaltensweisen als Süßwasserarten – einfach weil Binnengewässer nicht so lange existieren wie die Ozeane und sie deshalb weniger Zeit haben, solche Verhaltensweisen auszubilden.
Was können Fische?
Fische können zum Beispiel Menschen erkennen. Sie wissen, von wem sie Futter zu erwarten haben und von wem nicht, was viele Aquarienbesitzer bestätigen können. In unserem Forschungsgebiet im Tanganjikasee beispielsweise haben Raubfische von der Gattung Lepidiolamprologus gelernt, dass sie Beute machen können, wenn meine Kollegin und ich auf Tauchtour sind. Dabei folgen sie nicht mir, sondern ihr, weil sie die meisten Fische aufscheucht.
Und nicht nur das: Manche Arten können auch Artgenossen individuell voneinander unterscheiden. Riffbarsche zum Beispiel besitzen individuelle Farbmarkierungen im Gesicht, die nur im ultravioletten Licht sichtbar sind und anhand derer sie sich erkennen.
Ein weiteres faszinierendes Beispiel, das wir selbst untersuchen wollen, ist die Zusammenarbeit von Meerbarben und Lippfischen im Mittelmeer. Wenn eine Meerbarbe auf Nahrungssuche ist und dabei den Sand durchwühlt, wird sie häufig von einem Lippfisch begleitet, der sich über das aufgescheuchte Kleingetier hermacht. Das allein wäre noch nichts Besonderes, aber der Lippfisch berührt die Meerbarbe immer wieder – er streichelt sie regelrecht. Wahrscheinlich weiß die Barbe so, dass von oben keine Gefahr droht, während sie im Untergrund wühlt. Der „Masseur“ erreicht so, dass die Barbe in seinem Revier bleibt.
Was bedeuten diese Erkenntnisse darüber, wie wir mit Fischen heute umgehen?
Auch wenn wir vieles noch nicht wissen, eines ist klar: Fische können mehr, als wir ihnen bislang zugetraut haben. Sie sind empfindungsfähige Tiere, die in der Lage sind, sich kognitiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, einschließlich sozialer Interaktionen, Angst, Leiden und Freude.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Harald Rösch