Paviane zahlen für das Leben in Gruppen einen hohen Preis
Forschende messen erstmals mit der Fitbit-Technologie den Energiehaushalt bei wild lebenden Affen
Die Fortbewegung in einer Gruppe kann für Tiere von der Gewinnung wertvoller Informationen bis hin zum Schutz vor Raubtieren von Vorteil sein – aber zu welchem Preis? Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie haben einen seltenen Einblick in den physischen Preis gegeben, den Tiere dafür zahlen, dass sie sich als Gemeinschaft fortbewegen. Mit Hilfe von Beschleunigungsmessern – dem Äquivalent zu Schrittzählern oder Fitbits – hat das Wissenschaftlerteam das detaillierte Bewegungsverhalten und die damit verbundenen energetischen Kosten bei einer Gruppe von 25 Pavianen analysiert. Die Studie ist die erste, die ultrahochauflösende Daten zur Bewegung und zum Energiehaushalt einer Gruppe wild lebender Primaten liefert.
Paviane leben in Gruppen von bis zu 150 Individuen. Vom 30 Kilogramm schweren erwachsenen Männchen bis zum Säugling bewegen sie sich Individuen unterschiedlichen Alters gemeinsam fort. Die Ergebnisse zeigen, dass jedes Gruppenmitglied Kompromisse bei seiner bevorzugten Geschwindigkeit eingehen muss, damit die Gruppe zusammenbleibt. Die kleinsten Gruppenangehörigen sind allerdings gezwungen, sich am stärksten anzupassen. Sie wenden also am meisten Energie auf. „Paviangruppen mit ihren Mitgliedern unterschiedlichen Alters ähneln Menschengruppen. Jeder, der schon einmal mit einem Kleinkind spazieren gegangen ist, weiß, wie es ist, mit jemandem mit anderen körperlichen Fähigkeiten unterwegs zu sein. Nur mithilfe neuester Technologie können wir das jetzt auch bei Tieren untersuchen“, sagt Erstautor Roi Harel.
Meg Crofoot untersucht diese Paviangruppe seit 2012. „Die lokomotorische Fähigkeit bestimmt zwar eindeutig die Art und Weise, wie sich Tiergesellschaften fortbewegen, aber bisher konnte dies nur in Laborstudien untersucht werden“, sagt Crofoot, Direktorin der Abteilung Ökologie der Tiergesellschaften am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. „Nur dank neuester Messgeräte, die die Tiere direkt am Körper tragen können, können wir die Fortbewegung von Tieren auch in freier Wildbahn erforschen.“
Die Forschenden befestigten im Mpala Research Centre in Kenia GPS-Geräte und Beschleunigungsmesser an 25 wilden Pavianen und damit an fast allen Mitgliedern der Gruppe. Als Crofoot 2012 mit der Studie begann, war sie die erste, die eine Primatengruppe mittels GPS verfolgte. Die zehn Millionen Messpunkte umfassenden GPS-Daten der aktuellen Studie zeigen, wie sich die einzelnen Tiere bewegten. Die Beschleunigungsmesser mit ihren 120 Millionen Messwerte lieferten wiederum exakte Informationen über das Bewegungsverhalten, wie z. B. Geschwindigkeit und Anzahl der Schritte.
Geschwindigkeit hängt von Körpergröße ab
Das Team fand heraus, dass jedes Tier seine bevorzugte Fortbewegungsgeschwindigkeit hat, die von seiner Körpergröße abhängt: Ein großes Männchen mit längeren Beinen bewegt sich von Natur aus mit längeren Schritten und benötigt weniger Schritte, um die gleiche Strecke zurückzulegen wie beispielsweise ein Jungtier mit kürzeren Beinen. „Ein Bein ist wie ein schwingendes Pendel, das zu einer bevorzugten Gangart führt, die sich wiederum in einer bevorzugten Fortbewegungsgeschwindigkeit niederschlägt“, erklärt Harel.
Obwohl jedes Tier seine bevorzugte Geschwindigkeit hat, machen alle Paviane einen Kompromiss, um mit dem Tempo ihrer nächsten Nachbarn mitzuhalten – vor allem, wenn sich die Gruppe auseinander bewegt. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist dies ein Beleg für demokratische Prozesse in einer ansonsten höchst despotischen Tierart. „Das dominante Männchen übt in gegenüber anderen Einzeltieren Macht aus. Wenn es aber um die kollektive Fortbewegung geht, treibt offensichtlich ein gemeinsamer Entscheidungsprozess die Gruppe an,“ sagt Harel.
Doch obwohl alle Gruppenmitglieder ihre Bewegungsmuster anpassen, tun sie dies in unterschiedlichem Maße: Kleine Paviane bewegten sich schneller als ihnen lieb ist, sie legen längere Strecken zurück und verbrauchen mehr Energie als andere Größengruppen. Der Energieverbrauch wurde zwar nicht direkt gemessen, die Daten des Beschleunigungsmessers lieferten jedoch einen Näherungswert für den Energieverbrauch, der zum Vergleich des Energieaufwands unter den Pavianen verwendet werden konnte. „Kleine Individuen zahlen unverhältnismäßig hohe Kosten, damit die Gruppe zusammenbleiben kann. Das könnte daran liegen, dass sie auch am meisten von der Zugehörigkeit zur Gruppe profitieren“, sagt Harel.
Voraussetzung für Zusammenhalt
Aber halten diese Verhaltensänderungen die Gruppe tatsächlich zusammen? Um das herauszufinden, verwendete das Team Computersimulationen, um zu sehen, wie die Gruppe aussehen würde, wenn sich jedes Tier in seinem bevorzugten Tempo bewegen würde, im Vergleich dazu, wenn Einzelne ihre Geschwindigkeit als Reaktion auf andere anpassen würden. Die Ergebnisse zeigten, dass der Kompromiss eine Voraussetzung für den Zusammenhalt ist. „Unsere Simulationen zeigen, dass die virtuellen Mitglieder einer Gruppe ihre Bewegungsmuster anpassen müssen – abhängig davon, wer neben ihnen läuft, und wo sie sich in der Gruppe befinden. Nur dann hält die Gruppe genauso stark zusammen wie wilde Paviane“, erklärt Harel.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen, dass diese Studie zu einem besseren Verständnis der in Gruppen lebenden Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen führen wird. „Vielleicht setzen die unterschiedlichen Fortbewegungsmöglichkeiten der einzelnen Tiere der maximalen Gruppengröße Grenzen. Manche Individuen könnten gezwungen sein sich zusammenzuschließen, zum Beispiel Mütter, die sich um Kinder kümmern. Möglicherweise ist das die Triebkraft für eine komplexe Organisation“, meint Crofoot. „Jetzt können wir die Fortbewegung von Tieren in freier Wildbahn untersuchen und können wir dies in unsere Überlegungen zur Struktur von Tiergruppen einbeziehen.“