Gravitationswellen-Doppelgänger auseinanderhalten

Wie lassen sich Verschmelzungen zweier Schwarzer Löcher von denen eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch unterscheiden?

Mit zunehmender Zahl beobachteter Gravitationswellen ergeben sich viele Fragen. Eine davon wird immer wichtiger: Sie betrifft Gravitationswellen, die von der Verschmelzung leichter Objekte herrühren und kein zugehöriges elektromagnetisches Signal aufweisen. Wie lässt sich in diesem Fall unterscheiden, ob es sich um eine Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher handelt oder die Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch? Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut Hannover, AEI), der Leibniz Universität Hannover und der Radboud Universität haben diese Frage mit einer simulierten Suche nach solchen Gravitationswellensignalen beantwortet. Demnach werden Detektoren der dritten Generation wie Cosmic Explorer und das Einstein-Teleskop unter günstigen Umständen eine eindeutige Unterscheidung machen können. Die Ergebnisse zeigen, dass für eine Präzisionsastrophysik mit Gravitationswellen in Zukunft neue Instrumente notwendig sind.

Gravitationswellensignale ähneln Fingerabdrücken: Forschende können damit den Verursacher eines Signals ermitteln. Außerdem können sie aus der Welle auf viele Eigenschaften der Quelle schließen, die das Signal ausgesendet hat. Alle bisher von LIGO und Virgo beobachteten Signale stammen von Kollisionen kompakter Objekte, wie Schwarzen Löchern und Neutronensternen. Ihre Massen und Eigendrehungen (Spins) sowie das Wesen der verschmelzenden Objekte lassen sich aus der Gravitationswelle ableiten.

Einige Arten von Signalen können sich sehr ähnlich sein: „Wenn man nur die Massen der beteiligten Objekte betrachtet, kann eine Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher, bei der ein Schwarzes Loch sehr klein ist, schwer, wenn nicht gar unmöglich, von einer Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch zu unterscheiden sein. Wir kennen weder genau die Maximalmasse eines Neutronensterns noch die Minimalmasse eines Schwarzen Lochs“, sagt Stephanie Brown, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und an der Leibniz Universität Hannover und Erstautorin der Studie, die nun veröffentlicht wurde.

Wenn die Masse allein nicht ausreicht, um die beiden Verschmelzungsarten eindeutig zu unterscheiden, was dann? Neutronensterne bestehen – im Gegensatz zu Schwarzen Löchern – aus Materie. Damit ergeben sich zwei Möglichkeiten, einen Neutronenstern in der Verschmelzung nachzuweisen: die Beobachtung eines zugehörigen elektromagnetischen Signals oder die Auswirkung von Materieeffekten auf die Gravitationswelle selbst.

Gibt es ein zugehöriges elektromagnetisches Signal wie einen Gammastrahlenblitz, so muss es Materie in dem System geben, und eines der beiden verschmelzenden kompakten Objekte muss ein Neutronenstern sein. Dass sich bei solchen Ereignissen tatsächlich elektromagnetische Strahlung nachweisen lässt, ist jedoch eher unwahrscheinlich – entweder, weil die Entfernung groß und das Licht deswegen zu schwach ist oder weil es gar nicht in Richtung Erde abgestrahlt wird.

Die Fingerabdrücke verformter Neutronensterne

„Neutronensterne hinterlassen – unabhängig von einem flüchtigen Feuerwerk – noch weitere Spuren in den Gravitationswellen. Die enorme Anziehungskraft ihres Partnerobjekts, des Schwarzen Lochs, verformt sie lange vor der Verschmelzung“, sagt Collin Capano, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEI Hannover und Mitautor der Studie. „Diese sogenannten Gezeiteneffekte – ähnlich den Gezeiten, die der Mond auf der Erde verursacht – hinterlassen im Gravitationswellensignal charakteristische, aber schwache Fingerabdrücke. Schwarze Löcher hingegen haben gar keine Gezeiteneffekte“, ergänzt Capano.

Der Film zeigt die Simulation der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch (GW200115). Die Masse des Schwarzen Lochs beträgt 6,1 Sonnenmassen, die des Neutronensterns 1,4 Sonnenmassen. Beide Objekte haben keinen Eigendrehimpuls.

Simulation von GW200115
 

Der Film zeigt die Simulation der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch (GW200115). Die Masse des Schwarzen Lochs beträgt 6,1 Sonnenmassen, die des Neutronensterns 1,4 Sonnenmassen. Beide Objekte haben keinen Eigendrehimpuls.
https://www.youtube.com/watch?v=Rd3p3xPtWn4

Bislang ließen sich die Gezeiteneffekte von verformten Neutronensternen in keinem der von LIGO und Virgo beobachteten Signale eindeutig nachweisen. Das internationale Team unter der Leitung von Stephanie Brown ermittelte, wie schwierig diese Aufgabe ist. Die Forschenden simulierten Gravitationswellensignale der Verschmelzungen von Neutronensternen mit Schwarzen Löchern in verschiedenen Entfernungen zur Erde, sowohl für aktuelle als auch für zukünftige Detektoren. Aufbauend auf ihren früheren Arbeiten berechneten sie, wie stark ein Schwarzes Loch einen Neutronenstern durch Gezeitenkräfte verformt. Dazu verwendeten sie kernphysikalische Modelle, die das Verhalten der Materie im Inneren des Sterns beschreiben.

Sie betrachteten die derzeitigen LIGO- und Virgo-Detektoren bei ihren Design-Empfindlichkeiten, ihre in den nächsten Jahren geplanten Ausbaustufen (LIGO A+ und LIGO Voyager) sowie Cosmic Explorer, einen Detektor der dritten Generation. Dabei identifizierten sie diejenigen Fälle, in denen die Datenanalyse ihrer simulierten Suche entscheidende Hinweise auf das Vorhandensein von Gezeiteneffekten lieferte.

Detektoren der dritten Generation sind erforderlich

Ihre Ergebnisse: Nur wenn das Schwarze Loch relativ leicht war (viermal so schwer wie der Neutronenstern, das entspricht der fünffachen Masse unserer Sonne), besteht die Chance, Gezeiteneffekte im Gravitationswellensignal deutlich zu beobachten. Das liegt daran, dass die Gezeiteneffekte stärker sind, wenn die Masse des Schwarzen Lochs der des Neutronensterns ähnelt. Selbst bei Design-Empfindlichkeit sind das aktuelle Detektornetzwerk, LIGO A+, und sogar LIGO Voyager nicht in der Lage, basierend auf dem Nachweis oder Nichtnachweis von Gezeiteneffekten zwischen den beiden Arten von Verschmelzungssignalen zu unterscheiden.

Nach der Untersuchung wäre die nur mit Cosmic Explorer, einem Detektor der dritten Generation, möglich. Aber selbst mit diesem viel empfindlicheren Instrument wird wahrscheinlich ein Ereignis erforderlich sein, das sehr nah an der Erde stattfindet (130 Millionen Lichtjahre, so weit entfernt wie GW170817, die erste von LIGO und Virgo beobachtete Verschmelzung von zwei Neutronensternen).

„Nach unseren Ergebnissen können Detektoren der dritten Generation wie Cosmic Explorer Gezeiteneffekte aufspüren und dies nutzen, um zwischen Verschmelzungen zweier Schwarzer Löcher und denen eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch zu unterscheiden“, sagt Brown. „Das unterstreicht die Notwendigkeit von Detektoren der dritten Generation für präzise Astronomie und Astrophysik mit Gravitationswellen.“

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