Das seltsame Nachglühen eines Gammablitzes
Mit dem H.E.S.S.-Observatorium beobachten Forschende bei GRB 190829A ungewöhnliche Eigenschaften, welche die Modelle herausfordern
Mit dem H.E.S.S.-Teleskop in Namibia haben Forschende das Nachleuchten eines ultraschnellen Gammablitzes mit Energien bis zu 3,3 Teraelektronvolt nachgewiesen. Dass sich GRB 190829A mit einer Entfernung von etwa einer Milliarde Lichtjahre in kosmischer Nachbarschaft befindet, ist dabei nicht die einzige Besonderheit. Überraschenderweise ähnelt das aufgezeichnete Gammaspektrum dem viel energierärmeren Röntgenspektrum. Auch das Abklingen über drei Tage verläuft in beiden Spektralbereichen parallel. Diese Ergebnisse stellen die gängigen Emissionsmodelle in Frage.
Gammastrahlenausbrüche (englisch gamma ray bursts, GRBs) sind helle, am Himmel beobachtete ultraenergiereiche Ausbrüche von Röntgen- und Gammastrahlen. Sie stammen von weit entfernten Quellen außerhalb unserer Milchstraße und setzen innerhalb von wenigen Sekunden soviel Energie frei wie unsere Sonne in Milliarden von Jahren. Als Ursache werden das Entstehen oder Verschmelzen von Neutronensternen oder schwarzen Löchern vermutet. Bei einem solchen Gammablitz erreicht die ausgeschleuderte Materie eine Geschwindigkeit, die nahe an die des Lichts heranreicht.
Auf die anfänglichen Blitze folgt eine Nachglühphase, die sich im Röntgenbereich mehrere Tage, im optischen Licht und bei Radiowellen sogar Wochen oder gar Monate nachweisen lässt. Es war dieses Nachleuchten, das den extragalaktischen Ursprung der GRBs erstmals bestätigt hat. Das Nachglühen im Röntgenlicht wird von beschleunigten Elektronen erzeugt, die mit dem Magnetfeld der Druckwelle wechselwirken und dabei Energie verlieren. Diese wird in Form von sogenannter Synchrotronstrahlung emittiert.
Das Nachglühen von GRBs gilt aufgrund der Einfachheit der zugrundeliegenden Physik als exzellentes Labor zur Untersuchung der Beschleunigung kosmischer Teilchen. Im Gegensatz dazu ist die anfängliche Phase des Ausbruchs extrem komplex. Viele Aspekte des Nachglühens sind im Röntgenbereich gut bekannt, aber die Emission bei sehr hoher Energie – sie liegt sechs Größenordnungen über jener der Röntgenstrahlung – war bisher ein fehlendes Teil des Multi-Wellenlängen-Puzzles. Im Bereich der energiereichsten (VHE-)Gammastrahlung sind Beobachtungen besonders schwierig: Das ferne Universum ist für diese Strahlung undurchsichtig, weil sie vom kosmischen Hintergrundlicht verschluckt wird.
In den vergangenen Jahren kamen die Forschenden dem Verständnis von GRBs bei sehr energiereicher Gammastrahlung einen Schritt näher: Es gelangen zwei Beobachtungen - eine zehn Stunden nach Beginn des Nachglühens und eine sogar innerhalb der ersten Stunde. Beide Ereignisse ließen sich nicht länger als zwei Stunden nachweisen und ereigneten sich in mäßig großer kosmologischer Entfernung, was die beobachtbare Energie nach oben begrenzte. Der für die energiereichste Emission verantwortliche Prozess blieb jedoch unklar.
Nun hat ein internationales Team mit H.E.S.S., dem High Energy Stereoscopic System aus Tscherenkow-Teleskopen, einen dritten Gammablitz entdeckt: GRB 190829A, so seine Bezeichnung, ist nur eine Milliarde Lichtjahre (Rotverschiebung z = 0,0785) von der Erde entfernt und liegt damit deutlich näher als die anderen beiden beobachteten. „Ein Gammastrahlenausbruch, der sich wie dieser quasi in unserem kosmischen Hinterhof ereignet, ist ein sehr seltenes Ereignis und eine fantastische Gelegenheit zu verstehen, was bei den höchsten Energien vor sich geht“, sagt Jim Hinton, Direktor am Heidelberger Max-Planck-Insititut für Kernphysik.
Am 29. August 2019 entdeckten und lokalisierten zwei Satelliten, das Fermi Gamma-Ray Burst Monitor und das Swift Burst Alert Telescope, den Ausbruch. Daraufhin richteten sich bodengebundene Observatorien einschließlich H.E.S.S. schnellstens auf diese Position, um GRB 190829A möglichst lange und über einen sehr großen Wellenlängenbereich zu verfolgen. Die Beobachtungen mit H.E.S.S. begannen vier Stunden nach dem Burst, als die Quelle für die Teleskope sichtbar wurde. „Wir waren in der Lage, den GRB bis 56 Stunden nach der ersten Explosion zu erfassen und seine Emission sehr genau zu messen“, sagt Edna Ruiz Velasco, Doktorandin am Heidelberger Institut und eine der Hauptautorinnen der Studie. Und ihr Kollege Dmitry Khangulyan von der Rikkyo Universität in Japan fügt hinzu: „Dieses Ergebnis liefert einzigartige Beobachtungserkenntnisse über das Nachglühen von GRBs."
Eine Kombination aus der guten Empfindlichkeit des Instruments und der zufälligen Nähe des GRB ermöglichte die genaue Bestimmung des Spektrums über mehr als eine Größenordnung der Energie, von 0,18 bis 3,3 Teraelektronvolt (TeV) und deckt einen ausgedehnten zeitlichen Bereich von mehreren Tagen ab. Diese genauen Messungen über einen breiten Energiebereich erlaubten es zum ersten Mal, das Gammaspektrum zuverlässig zu analysieren. „Es zeigten sich verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Röntgen- und Gammastrahlenemission“, sagt Carlo Romoli, PostDoc am Max-Planck-Institut für Kernphysik.
Dies passe nicht zur Standardtheorie, die einen separaten Ursprung für die VHE-Komponente annimmt. In dieser Theorie ist Synchrotronemission bis hin zur VHE-Gammastrahlung nicht möglich, da die Energie der Elektronen auf einen Maximalwert begrenzt ist. Die Beobachtungen von H.E.S.S. lassen sich jedoch erklären, wenn die Elektronen über diese Grenze hinaus beschleunigt werden. „Die weitreichende Bedeutung dieser Möglichkeit unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen des energiereichen Nachglühens“, sagt Felix Aharonian, auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Heidelberger Max-Planck-Instituts.
Nach den Worten von Andrew Taylor vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen „warten wir Astrophysiker gespannt auf die nächste Generation von Observatorien." Nach jahrzehntelanger Suche sei nun ein Verständnis der Prozesse, die dieses extrem energiereiche Phänomen steuern, endlich in Sicht.
GH / HOR