Aus der Klimageschichte lernen

Erkenntnisse, wie sich Gesellschaften in früheren Zeiten an klimatische Veränderungen anpassten, können bei den aktuellen Herausforderungen helfen

Klimaveränderungen im Laufe der Geschichte, wie die Kleine Eiszeit während des 13. bis 19. Jahrhunderts, werden häufig mit Hungersnöten, Krisen und Kriegen in Verbindung gebracht. Doch es gibt auch viele Beispiele, wie Bevölkerung und Politik die veränderten Bedingungen zu ihrem Vorteil nutzen oder zumindest Stabilität wahren konnten. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte hat einen neuen Ansatz entwickelt, der die gesellschaftliche Resilienz in den Mittelpunkt stellt und dabei einen sorgfältigeren Umgang mit Klimadaten und historischen Fakten sicherstellt, als das bisher oft der Fall war.

Die Anzeichen des gegenwärtigen vom Menschen verursachten Klimawandels werden immer alarmierender. Damit wird auch die Frage immer dringlicher, wie Gesellschaften in der Vergangenheit auf natürliche Klimaveränderungen reagierten. Die Forschung zur Klima- und Gesellschaftsgeschichte hatte bisher oft den Fokus auf gesellschaftlichen Krisen oder gar dem Kollaps ganzer Gemeinwesen, die mit dem Wandel des Klimas in Zusammenhang gebracht wurden. Genauere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Auswirkungen von Klimaveränderungen in der Vergangenheit selten so unmittelbare und eindeutige gesellschaftliche Folgen hatten.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlers aus den Disziplinen Archäologie, Geographie, Geschichte und Paläoklimatologie haben deshalb einen neuen Ansatz erarbeitet, mit dem die Forschung validere Ergebnisse im Bereich der Klima- und Gesellschaftsgeschichte erzielen soll. Bei Untersuchungen in diesem Feld soll die Forschung gesicherte Erkenntnisse über die tatsächlichen Klimaveränderungen im untersuchten Zeitraum, über dessen regionale Auswirkungen und über die gesellschaftlichen Bedingungen vor Ort zusammenführen. Nur so lasse sich vermeiden, dass vorschnelle Urteile die Ergebnisse verzerren - wie es bislang in klima- und gesellschaftshistorischen Studien immer wieder der Fall gewesen sei.

Mithilfe ihres neuen Ansatzes führte das Team exemplarisch Fallstudien an zwei der am häufigsten untersuchten Perioden klimatischer Veränderungen durch: der spätantiken Kälteperiode im 6. Jahrhundert nach Christus und der sogenannten Kleinen Eiszeit im 13. bis 19. Jahrhundert. Obwohl in beiden Phasen der Geschichte viele Gesellschaften unter Druck kamen, zeigen die Fallstudien doch, dass sich die Bevölkerungen anpassen konnten. Die Forschenden identifizierten fünf Erfolgsstrategien, die Gesellschaften in früherer Zeiten anwendeten: neue sozioökonomischer Möglichkeiten ergreifen, robuste Energiesysteme nutzen, neue Ressourcen durch Handel generieren, politisch effektiv auf natürliche Extremereignisse reagieren oder in neue Umgebungen auswandern.

Antike Klimagewinner im östlichen Mittelmeerraum

Ein Beispiel für diese Widerstandsfähigkeit ist die Reaktion der Gesellschaft in der Spätantike auf den Klimawandel im östlichen Mittelmeerraum. Eine Rekonstruktion des dortigen Klimas anhand von See-Sedimenten, Mineralablagerungen etwa in Höhlen und weiteren relevanten Daten belegen erhöhte Winterniederschläge, die im fünften Jahrhundert begannen und bis in die Kälteperiode im 6. Jahrhundert andauerten. Pollendaten und archäologische Geländeuntersuchungen zeigen, dass Getreideanbau und Weideviehhaltung infolge der vermehrten Niederschläge florierten, wobei viele Siedlungen an Dichte und Fläche zunahmen. Das Besteuerungssystem des Oströmischen Reichs ermöglichte einen einfachen Warenaustausch zwischen feuchten und trockeneren Regionen, sodass die Verbraucher von den Vorteilen der erhöhten landwirtschaftlichen Produktion profitierten. Währenddessen investierten die Eliten in eine marktorientierte Landwirtschaft und finanzierten in eher trockenen Gebieten wie der Wüste Negev den Bau von Dämmen und anderer Infrastruktur, die den Landwirten ein effizientes Wassermanagement ermöglichten.

Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung der Niederlande während der Kleinen Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert. Damals wurde das Klima dort deutlich nässer als zuvor und es gab häufiger Hochwasser. Das half den Niederländern im Kampf um die Unabhängigkeit von der spanischen Krone: Die belagernden Armeen hatten es schwerer, die Städte mit behelfsmäßigen Befestigungen zu umgeben, und die Rebellen konnten gezielt Überschwemmungen zur Verteidigung einsetzten. 1581 ging aus der Rebellion die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen hervor, wodurch die Niederlande in der Folgezeit zu einer ökonomischen, kulturellen und politischen Großmacht aufstiegen.

Anpassung dank guter Organisation und Einfallsreichtum

„Diese Erfolgsgeschichten zeigen, dass ungünstige klimatische Bedingungen nicht zwangsläufig zu Zusammenbruch oder sozialer Not führen müssen. Diese gut organisierten und einfallsreichen Gesellschaften waren in der Lage, sich anzupassen und die neuen Möglichkeiten zu nutzen“, sagt Adam Izdebski vom Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, der als Historiker an dem Konzept und den Untersuchungen beteiligt war. „Angesichts der für das 21. Jahrhundert vorhergesagten zunehmenden Trockenheit in diesem Teil der Welt müssen die heute erforderlichen Anpassungsmaßnahmen natürlich anders und viel ehrgeiziger sein, was die Notwendigkeit unterstreicht, die CO2-Emissionen so schnell wie möglich massiv zu senken.“

Obwohl die Klimaveränderungen, mit denen historische Gesellschaften konfrontiert waren, weniger schwerwiegend waren als die Veränderungen, denen wir heute gegenüberstehen, zeigen diese Fallstudien doch, dass Gesellschaften häufig in der Lage waren, sich anzupassen und in Zeiten klimatischer Veränderungen zu bestehen. Dadurch dass der Forschungsansatz die sehr unterschiedlichen Auswirkungen vergangener Klimaveränderungen und die Herausforderungen bei der Interpretation historischer Quellen berücksichtigt, schafft er eine solide Basis für künftige Studien zur Geschichte von Klima und Gesellschaft. Bisher übersehene Beispiele von Resilienz in der Vergangenheit könnten damit in Zukunft gefunden werden – so die Hoffnung des Forschungsteams. Damit lassen sich auch die Bemühungen zur Anpassung an die beispiellose globale Erwärmung des 21. Jahrhunderts unterstützen.

Pressemitteilung in Kooperation mit der Georgetown University, dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas, Leipzig, der Universität Gießen und der Universität Freiburg

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