Der Tanz massereicher Sternenpaare

Astronomen finden Hinweise darauf, dass sich Sterne junger Doppelsternsysteme innerhalb der ersten Millionen Jahre einander annähern

Die meisten massereichen Sterne treten in engen Paaren auf, in denen beide Sterne das gemeinsame Massenzentrum umkreisen. Wir wissen jedoch noch nicht, wie sich solche Doppelsternsysteme bilden. Eine Gruppe von Astronomen um María Claudia Ramírez-Tannus vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg hat nun Hinweise darauf gefunden, dass die Umlaufbahnen massereicher Doppelsterne schnell schrumpfen und sich beide Sterne einander nähern. Die Forscher schlossen dies aus einer Verschiebung der Geschwindigkeitsverteilung der massereichen Sterne zu größeren Werten, je älter der Sternhaufen wird. Sie führen diesen Effekt auf eine Verringerung der Bahnradien der massereichen Doppelsterne zurück.

Sterne entstehen meist in Haufen innerhalb von Wolken aus Gas und Staub. Ein relativ kleiner Teil von ihnen hat eine Masse von mehr als dem Achtfachen der Sonne und gilt daher als massereich. Aus noch unbekannten Gründen bilden sie oft Doppelsternsysteme mit geringen Abständen zwischen den einzelnen Sternen. Eine Gruppe um María Claudia Ramírez-Tannus vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg hat nun entdeckt, dass die Geschwindigkeitsdispersion massereicher Sterne mit dem Alter der Haufen, zu denen sie gehören, rasch zunimmt. Das Team führt den Effekt auf die Zunahme der Bahngeschwindigkeiten der massereichen Doppelsterne zurück, da die Sterne allmählich näher zusammenrücken und ihre Bahnen schrumpfen.

Für ideale Situationen ist dieser Effekt als Drehimpulserhaltungssatz bekannt. Das Gesetz besagt, dass die Geschwindigkeit einer Rotation zunimmt, wenn sich die Masse zum Zentrum der Kreisbewegung bewegt. Wir sehen dies zum Beispiel bei den Pirouetten von Eiskunstläufern, die ihre Arme zum Körper bringen, um sich schneller zu drehen. Obwohl Doppelsterne diesem Gesetz nicht vollständig entsprechen, ist die Analogie qualitativ dennoch passend.

In den letzten Jahren hatten die Forschenden mehrere junge Sternentstehungsgebiete beobachtet. Sie maßen die Geschwindigkeit einzelner massereicher Sterne und bestimmten deren Leuchtkraft und Oberflächentemperatur. Dazu nutzten sie verschiedene Spektrografen, die am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in der chilenischen Atacamawüste installiert sind. Ähnlich wie ein Prisma spalten diese Instrumente das Licht in seine Farbkomponenten auf, was Physiker als Spektrum bezeichnen. Die Spektrografen erfassen die Spektrallinien der chemischen Elemente in den Sternatmosphären und bemerken selbst kleinste Wellenlängenverschiebungen. Mit dieser Eigenschaft hat das Team nun die Geschwindigkeiten abgeleitet, mit denen sich die Sterne entlang der Sichtlinie bewegen, die sogenannte Radialgeschwindigkeit. Dazu ergänzten die Wissenschaftler ihren Datensatz mit bereits veröffentlichten Ergebnissen. Als die Astronomen all diese Geschwindigkeiten kombinierten, erhielten sie die Geschwindigkeitsdispersion der massereichen Sterne, die ein statistisches Maß für die Streuung der Radialgeschwindigkeiten ist.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich massereiche Doppelsterne zunächst auf großen Bahnen bilden und sich innerhalb kurzer Zeit zu engen Doppelsternsystemen entwickeln“, sagt Ramírez-Tannus. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, die hilft, die Modelle der Entstehungsmechanismen einzugrenzen.“ In der Tat neigen massereiche Doppelsterne in älteren Sternhaufen dazu, enge Bahnen mit Umlaufperioden zwischen einigen Tagen und Wochen zu haben.

Um zu verstehen, was die Sterne dazu veranlasst, sich einander anzunähern, schlagen Wissenschaftler zwei Szenarien vor. Sterne bilden sich aus dichten Ansammlungen in großen Wolken aus Gas und Staub. Während der Sternentstehung wird diese Verdichtung durch Rotation zu einer Scheibe abgeflacht, während im Zentrum der Stern entsteht. Bilden sich bereits massereiche Doppelsterne als Paar, durchdringen ihre Bahnen die Restscheibe. Durch Reibung mit dem Scheibenmaterial schrumpfen die Bahnen, und die Bahngeschwindigkeit nimmt zu.

Der zweite Mechanismus tritt in Systemen mit einem dritten, massearmen Stern auf. Dessen Gravitationskraft lenkt die massereicheren Begleiter in elliptische Bahnen, die sich im Laufe der Zeit immer kleineren und kreisförmigen Bahnen annähern. Die reduzierten Bahnradien führen wiederum zu höheren Geschwindigkeiten. In einigen Fällen wird der massearme Stern aus dem System herausgeschleudert.

Durch die zufällige Bewegung der Sterne in einem Haufen ergibt sich ein enger Geschwindigkeitsbereich, der zu einer Streuung von nur wenigen Kilometern pro Sekunde führt. Befinden sich jedoch genügend enge massereiche Doppelsterne im Haufen, verschieben deren schnelle Bahngeschwindigkeiten die Streuung zu höheren Werten.

Die Messung der Sternleuchtkräfte und Oberflächentemperaturen aus den Spektren stellt den Zusammenhang mit dem Alter der Haufen her. Abhängig von ihrer Masse haben Sterne eine charakteristische Kombination aus Leuchtkraft und Temperatur, die sich mit dem Alter ändert. Durch die Messung der stellaren Eigenschaften der Sterne können die Astronomen daher das Alter der Haufen bestimmen.

Durch die Kombination der Ergebnisse fanden die Wissenschaftler um Ramírez-Tannus eine Korrelation zwischen der Geschwindigkeitsdispersion massereicher Sterne in Haufen und deren Alter. Dies spricht dafür, dass die Dispersion innerhalb weniger Millionen Jahre schnell zunimmt. Daraus lässt sich schließen, dass die Bahngeschwindigkeiten der Doppelsterne steigen - und die Bahnen entsprechend kleiner werden.

Die Geschwindigkeitsdispersionen selbst geben jedoch nur einen eingeschränkten Blick auf die Vorgänge im Innern der einzelnen Doppelsternsysteme. Deshalb hat Co-Autor Frank Backs von der Universität Amsterdam mithilfe von Simulationen Informationen über die Umlaufzeiten der Doppelsterne gewonnen, die mit den gemessenen Geschwindigkeitsdispersionen übereinstimmen.

„Ich habe viele Sternhaufen simuliert, indem ich die Verteilung der Bahnperioden ihrer Doppelsternsysteme variiert habe. Auf diese Weise konnte ich berechnen, welche davon zu den beobachteten Geschwindigkeitsdispersionen führen würden“, sagt Backs. Und: „Wir benötigten viele Simulationen, weil wir die genauen Eigenschaften der Systeme, wie zum Beispiel ihre Orientierung, nicht kennen, die die beobachteten Dispersionen beeinflussen.“

Insgesamt hat die Studie einen klaren Trend ergeben, bei dem die kleinsten Umlaufzeiten innerhalb von etwa 1,6 Millionen Jahren von Monaten auf wenige Tage abnehmen. „Trotz der teilweise großen Unsicherheiten der einzelnen Messungen ist der Trend eindeutig“, sagt María Claudia Ramírez-Tannus. „Obwohl die Zeitskala noch nicht sehr genau bestimmt wurde, können wir daraus schließen, dass die Bahnen massereicher Doppelsterne nach astronomischen Maßstäben schnell schrumpfen.“

MN

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