Lüftung leicht gemacht

Eine einfache Anlage kann 90 Prozent potenziell Coronavirus-haltiger Aerosole aus der Raumluft entfernen

30. Oktober 2020
Die Luft in Klassenzimmern und anderen Räumen von infektiösen Aerosolen zu befreien, kann künftig deutlich einfacher werden. Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie haben eine Lüftungsanlage konstruiert, die sich mit Materialien aus dem Baumarkt nachbauen lässt. Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium prüft nun den Einsatz auch an anderen Schulen. Die Integrierte Gesamtschule Mainz-Bretzenheim testet die Anlage bereits. Ein Baubericht für den Nachbau ist online zu finden.

Schulen stehen während der Covid-19-Pandemie vor dem Problem, wie sie während des Unterrichts richtig lüften können. Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie haben nun gemeinsam mit der Integrierten Gesamtschule Mainz-Bretzenheim erfolgreich eine Abluftanlage getestet, die in Laborversuchen rund 90 Prozent künstlich erzeugter Aerosolpartikel aus den Klassenzimmern entfernen kann. Das Prinzip: Jeder Mensch produziert warme Luft, die nach oben steigt. Richtet man diesen Luftstrom nach draußen, nimmt er Aerosolpartikel und mögliche Coronaviren mit sich.

Die Konstruktion ist denkbar einfach und wurde mit Materialien aus dem Baumarkt im Wert von etwa 200 Euro umgesetzt: Über jedem Tisch hängt in etwa zwei Meter Höhe ein breiter Schirm, der mit einem Rohr verbunden ist. Alle Rohre führen in ein zentrales Rohr, das wiederum durch ein gekipptes Fenster nach draußen führt. Ein Ventilator am Ende des Rohrs sorgt dafür, dass die Luft aktiv nach außen transportiert wird.

Aerosole werden über jedem Tisch eingesammelt

Erdacht hat sich die Konstruktion Frank Helleis, dessen Frau Lehrerin in Mainz ist. Über sie kam auch der Kontakt zur Schule zustande. „Es hörte sich so einfach und überzeugend an, dass wir uns sofort entschlossen haben, mitzumachen,“ sagt Roland Wollowski, Schulleiter an der Integrierten Gesamtschule Mainz-Bretzenheim. So entstand schnell ein Prototyp, den Helleis mit seinen Kollegen bereits im Sommer in einem Klassenraum mit Dummies montierte und seit dieser Zeit testet. Als Dummies nutzte er Kartons mit Wärme- und Aerosolquellen. Derzeit läuft die Validierung der Anlage im realen Schulbetrieb.

„Unsere Messungen haben gezeigt, dass das Abluftsystem mit den Hauben unter Laborbedingungen über 90 Prozent der Aerosole kontinuierlich entfernt“, sagt Helleis. Zwar funktioniert die simple Anlage auch ohne die trichterförmigen Hauben über den einzelnen Tischen, diese sammeln die Aerosole dort aber gezielt ein. Dies hat der Physiker mit Aerosolspektrometern und künstlich erzeugten Aerosolen nachgewiesen. Ausgehend von den bisherigen Messergebnissen ist zu erwarten, dass auch unter realen Unterrichtsbedingungen ein wesentlicher Anteil der potentiell infektiösen Aerosolpartikel aus der Atemluft entfernt werden kann.

Helleis hat die Anlage bewusst für den praktischen Einsatz konzipiert: Wegen der geringen Material- und Betriebskosten könnte sie eine clevere Alternative zum Stoßlüften und zu teuren Filteranlagen bieten. Da zudem die Anforderungen an den Raum niedrig sind – es braucht nur eine Steckdose, und ein kippbares Fenster oder Oberlicht –, ist das modulare System beispielsweise auch in Turnhallen geeignet. Ob die Anlage auch an anderen Schulen in Rheinland-Pfalz eingesetzt werden kann, diskutieren derzeit Mitarbeiter des Bildungsministeriums Rheinland-Pfalz, die die Funktionalität der Konstruktion bereits vor Ort geprüft haben. „Auch unseren Schulträger, die Stadt Mainz, konnten wir für das Projekt begeistern und erfahren hierbei konstruktive Unterstützung“, berichtet Wollowski. „Wir freuen uns sehr über die hervorragende Zusammenarbeit mit dem MPIC und haben uns vorgenommen, in den kommenden Wochen möglichst viele Unterrichtsräume mit der tatkräftigen Hilfe der gesamten Schulgemeinschaft auszustatten. Darüber hinaus werden auch die lüftungsbedingten Energieverluste verringert, was wiederum dem Klima zu Gute kommt.“

Anleitung und Kontaktformular auf der Webseite des Instituts

Derzeit braucht es noch etwas handwerkliches Geschick, da die Einzelteile individuell zusammengebaut und montiert werden müssen. Dazu erstellten Helleis und Kollegen einen Baubericht, um die Hürde für den Nachbau möglichst niedrig zu halten. Die Mainzer Forscher stehen zudem in Kontakt mit Unternehmen, die einzelne Formteile für die Konstruktion fertigen könnten – das würde den Nachbau noch leichter machen.

Frank Helleis, bekannt als kreativer Tüftler am Mainzer Max-Planck-Institut, ist überzeugt, dass die Anlage auch nach der Pandemie im Einsatz bleiben wird. „Unser System löst auch das lange bekannte CO2-Problem in Klassenräumen. Denn sie befördert nicht nur Aerosole nach draußen, sondern reduziert auch die CO2-Anreicherung, so dass sich die Schüler besser auf den Unterricht konzentrieren können.“

Professionelle Lüftungssysteme sind dazu selbstverständlich auch in der Lage und sollten bei geeigneter Konstruktion und Dimensionierung noch bessere Eigenschaften aufweisen, stehen bisher aber in vielen Schulen nicht zur Verfügung. In der aktuellen Pandemie und Ausnahmesituation bemühen sich zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen aktiv um einen Beitrag zur Lösung anstehender Probleme. Die hier vorgestellte behelfsmäßige Lüftungsanlage entstand aus einem konkreten Bedarf an kurzfristig und einfach umsetzbaren Maßnahmen zur Verringerung von C0vid-19-Infektionsrisiken durch Aerosolübertragung in Schulen vor Ort. Aufgrund des großen Anklangs und zunehmender Nachfrage wurde der Baubericht veröffentlicht. Auch darin wird darauf hingewiesen, dass die Dokumentation einen vorläufigen Charakter hat und nach Bedarf weiter ergänzt wird.

Die Pressemeldung wurde am 29.11.2020 ergänzt, um potentielle Fehlinterpretationen und Missverständnisse zu vermeiden.

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