Nahaufnahmen von der Sonne

Solar Orbiter fängt Bilder des Tagesgestirns aus nur 77 Millionen Kilometer Entfernung ein

Wenige Monate nach ihrem Start ins All hat die ESA-Raumsonde Solar Orbiter Bilder der Sonne aus bisher unerreichter Nähe eingefangen. Darin zeigen sich unter anderem in der Sonnenatmosphäre Strukturen, die sich möglicherweise als sogenannte Nano-Flares, sehr kleine Strahlungsausbrüche, deuten lassen. Die Aufnahmen der insgesamt sechs abbildenden Instrumente, die heute veröffentlicht wurden, entstanden in den Tagen vor und nach dem 15. Juni, als die Raumsonde den sonnennächsten Punkt ihrer aktuellen Umlaufbahn erreichte. Nur 77 Millionen Kilometer trennten die Sonde von unserem Stern. Obwohl diese frühe Missionsphase in erster Linie der Inbetriebnahme der Instrumente dient, bieten die Daten bereits einen eindrucksvollen Beweis für Solar Orbiters einzigartig umfassenden Blick auf die Sonne - von den Magnetfeldern an der Oberfläche bis zu den Teilchen, die als Sonnenwind ins All strömen. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen ist ein wichtiger Partner der Mission und an vier der Instrumente maßgeblich beteiligt.

Eines dieser Instrumente ist der Extreme-Ultraviolet Imager (EUI), zu dem das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung eines von insgesamt drei Teleskopen beigesteuert hat. Das Instrument blickt in verschiedene Schichten der Korona, der heißen, äußeren Atmosphäre der Sonne, die in erster Linie ultraviolettes Licht abstrahlt. Da UV-Licht zum größten Teil in der Erdatmosphäre absorbiert wird, steht es selbst den leistungsstärksten und größten erdgebundenen Sonnenteleskopen nicht zur Verfügung. Schon jetzt bietet EUI deshalb den schärfsten Blick auf diese Sonnenregion.

Im besonders kurzwelligen UV-Licht finden sich in den Aufnahmen von EUI kleine, helle Flecken, kaum mehr als 700 Kilometer im Durchmesser. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten es für möglich, dass es sich um sogenannte Nano-Flares handelt - deutlich kleinere Versionen der gewaltigen Strahlungsausbrüche unseres Sterns, die weit ins All reichen und sich bis zur Erde auswirken können. „Die größeren dieser Mini-Ausbrüche kennen wir bereits aus den Aufnahmen anderer Raumsonden; die vielen, vielen kleineren sehen wir jetzt zum ersten Mal“, erklärt Max-Planck-Forscher Udo Schühle aus dem Führungsteam von EUI. Völlig überraschend war, wie häufig dieses Phänomen auftritt. „Die Korona ist offenbar voll von solchen Mini-Ausbrüchen“, so Schühle.

Gerade deshalb könnten Nano-Flares eine Erklärung bieten für die rätselhaft hohen Temperaturen in der Korona. Mit einer Million Grad liegen diese 200-fach über denen der darunterliegenden Photosphäre. Um zu verstehen, wodurch die Nano-Flares entstehen und wie sie die Korona mit Energie versorgen, ist ein Blick in tieferliegende Schichten nötig. Spuren der hellen Flecken finden sich auch in EUI-Aufnahmen der unteren Korona. Diese Region bildet das hochauflösende Teleskop von EUI ab, das am Göttinger Mac-Planck-Institut entwickelt und gebaut wurde.

Doch wie entstehen diese Phänomene? Welche Prozesse an der Oberfläche der Sonne sind ursächlich? Und welche Rolle spielen die Magnetfelder unseres Sterns? Solche Fragen zu beantworten, ist die Stärke von Solar Orbiter. Sechs abbildende Instrumente mit insgesamt zehn Teleskopen blicken in verschiedene Schichten der Sonne, von der sichtbaren Oberfläche über Photosphäre und Korona bis zur Übergangsregion von Sonnenatmosphäre und innerer Heliosphäre. Vier weitere Instrumente, die sogenannten in-situ Instrumente, vermessen den Sonnenwind, der die Raumsonde umströmt. Mehr als jede andere Mission zuvor ist Solar Orbiter in der Lage, all diese Regionen und Phänomene mit einander in Beziehung zu setzen und so einen einzigartig umfassenden Blick auf die Sonne als Ganzes zu ermöglichen.

Auf die Sonnenoberfläche blickt der am Göttinger Max-Planck Institut entwickelte und gebaute Polarimetric und Helioseismic Imager (PHI). „Die magnetischen Strukturen an der Oberfläche der Sonne, die PHI sichtbar macht, sind die treibende Kraft hinter allen Prozessen, die Solar Orbiter in den äußeren Sonnenschichten beobachtet“, sagt Direktor Sami K. Solanki, wissenschaftlicher Leiter von PHI. Aus der Stärke und Richtung der Magnetfelder an der Sonnenoberfläche können die Forscherinnen und Forscher berechnen, wie sich die Magnetfelder in die weiter außenliegenden Schichten fortsetzen. Erste Rechnungen dieser Art liegen bereits vor und können helfen, die beobachteten Vorgänge in Photosphäre und Korona zu erklären.

In den Aufnahmen von PHI findet sich zudem eine aktive Region auf der Oberfläche der Sonne. Solche eng benachbarten Regionen entgegengesetzter magnetischer Polarisation sind oftmals Ausgangspunkte für Sonnenflecken. Anders als die meisten Sonnenspäher im All, die aus der Nähe der Erde auf die Sonne blicken, hatte Solar Orbiter zu diesem Zeitpunkt bereits eine völlig neuartige Perspektive. Etwa 70 Grad trennten die Sonde von der Sichtlinie zwischen Sonne und Erde. „Von der Erde aus betrachtet war diese aktive Region nicht sichtbar“, sagt Solanki.

Trotz dieser ersten Erkenntnisse und Erfolge sind die aktuellen Aufnahmen noch nicht Teil der wissenschaftlichen Messkampagne von Solar Orbiter. Für die abbildenden Instrumente beginnt diese erst 2022 in deutlich geringerer Entfernung von der Sonne. „In den vergangenen Wochen ging es vor allem darum zu testen, wie sich unsere Instrumente unter realen Weltraumbedingungen verhalten“, erklärt Johann Hirzberger aus dem PHI-Team. Neben PHI und EUI haben sich dabei auch die beiden anderen Instrumente mit Max-Planck-Beteiligung bewährt. Der Spectral Imager of the Coronal Environment (SPICE) und der Koronagraf Metis blicken ebenfalls in die heiße, äußere Hülle der Sonne und liefern weitere Puzzlestücke zum Gesamtbild der Sonne.

„SPICE rastert die Korona Stück für Stück ab und zerlegt das eingefangene UV-Licht in seine einzelnen Wellenlängen“,sagt Max-Planck-Wissenschaftler Hardi Peter aus dem Leitungsteam von SPICE. Daraus lässt sich auf die Häufigkeit bestimmter Elemente in der Korona schließen. Auch bei diesen Untersuchungen zeigt sich die Stärke von Solar Orbiter. Das in-situ Instrument Solar Wind Analyzer (SWA) analysiert die Häufigkeit derselben Elemente im Sonnenwind. „So können wir verstehen, was mit den Teilchen auf ihrem Weg von der Korona ins All geschieht“, so Peter.

Der Koronagraf Metis macht die Übergangsregion zwischen Korona und innerer Heliosphäre sichtbar. Anders als bei anderen Koronograf im Weltall erzeugt das Instrument die entsprechenden Ansichten innerhalb weniger Minuten und kann so auch dynamische Prozesse sichtbar machen. „Auch die räumliche Auflösung übertrifft schon jetzt die anderer Koronographen im Weltall“, sagt Luca Teriaca aus dem Metis-Leitungsteam und Forscher am Göttinger Max-Planck-Institut.

Allen Instrumenten zeigt sich die Sonne derzeit von ihrer ruhigen Seite. Erst in den nächsten Jahren, wenn sie ihr aktuelles Aktivitätsminimum verlassen hat, dürfte es auf der Sonne wieder dynamischer zugehen. Die abbildenden Instrumente von Solar Orbiter beginnen dann ihre Messkampange – und haben dann einen einzigartigen Blick auf das Sonnenfeuer.

BK / HOR

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Solar Orbiter startete am 10. Februar dieses Jahres von Cape Canaveral ins All. Die ESA-Mission, zu der auch die NASA beiträgt, ist mit insgesamt zehn wissenschaftlichen Instrumenten ausgerüstet. Während vier davon den Sonnenwind untersuchen, blicken sechs mit abbildenden Instrumenten auf die Sonne selbst. Im Laufe der Mission wird sich die Raumsonde der Sonne auf 42 Millionen Kilometer annähern, ein Abstand, der nur von der Parker Solar Probe der NASA unterboten wird, die jedoch nicht auf die Sonne schaut.  Zudem wird Solar Orbiter die Bahnebene, in der die Erde und die anderen Planeten um die Sonne kreisen, verlassen und so erstmals auf die Pole der Sonne schauen können.  
Das MPS hat zu vier der Instrumente beigetragen. Unter Leitung des MPS entstand der Polarimetric und Helioseismic Imager (PHI). Zudem hat das Institut maßgeblich beigetragen zum Extreme-Ultraviolet Imager (EUI), zum Spectral Imager of the Coronal Environment (SPICE) und zum Koronagraphen Metis.

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