Expedition zum Sonnenfeuer
Mit dem Start der Raumsonde Solar Orbiter am 10. Februar 2020 beginnt ein neues Kapitel in der Erforschung unseres Zentralgestirns
Am 10. Februar in der Früh ist die Sonnenmission Solar Orbiter ins All gestartet. Ausgerüstet mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten, wagt sich die Sonde der europäischen Raumfahrtagentur ESA in den kommenden Jahren bis auf 42 Millionen Kilometer an unser Zentralgestirn heran. Das ist nur wenig mehr als ein Viertel des Abstandes zwischen Sonne und Erde. Zudem verlässt Solar Orbiter die Bahnebene der Erde und blickt dabei erstmals auf die Pole des Sterns. Durch das Zusammenspiel aus neuartiger Flugbahn und leistungsstarker Instrumentierung wird der Späher den bisher umfassendsten Blick auf die Sonne werfen – vom Entstehungsort der Magnetfelder tief im Innern bis zum Sonnenwind, dem stetigen solaren Teilchenstrom. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung schickt Hardware für vier Instrumente mit auf die Reise zum Feuerball.
Text: Birgit Krummheuer
Die Sonne zeigt sich derzeit von ihrer unspektakulären Seite: Nur wenige Eruptionen schleudern geladene Teilchen und Strahlung ins All, kaum ein Fleck ist auf der Oberfläche unseres Sterns zu sehen. Diese solare Ödnis ist ein wiederkehrender Zustand. Im Mittel alle elf Jahre durchläuft der Gasball ein solches Aktivitätsminimum. Zwischen den Minima hingegen verwandelt sich die Sonne in einen Hexenkessel: Dann kommt es zu heftigen Gasausbrüchen, die Strahlungsleistung steigt an, zahlreiche und zum Teil gigantische Flecken überziehen die Oberfläche. Warum vollzieht sich dieser markante Wechsel im Mittel alle elf Jahre? Und warum kommt es immer wieder zu deutlichen Abweichungen von dieser sonst recht verlässlichen Faustregel?
Der Schlüssel zum Verständnis des unruhigen Wesens unseres Sterns liegt in seinen Magnetfeldern. Sie sind die Ursache für heftige Eruptionen, für spektakuläre bogenförmige Plasmaflüsse in der Sonnenatmosphäre, für überraschend hohe Temperaturen in der Korona – den äußeren solaren Gasschichten – und für alle sichtbaren Strukturen und Muster auf der Oberfläche (Photosphäre). Und nicht zuletzt für den etwa elfjährigen Sonnenzyklus.
Viele Rätsel ungeklärt
Doch trotz jahrzehntelangen Beobachtungen aus dem Weltraum sind viele grundsätzliche Fragen noch unbeantwortet: Wie entsteht das Magnetfeld der Sonne tief in ihrem Innern? Durch welche magnetischen Prozesse gelingt es der Sonne, die Korona auf unvorstellbare eine Million Grad zu heizen? Und wie katapultiert sie die Sonnenwindteilchen mit Geschwindigkeiten von teilweise mehr als 700 Kilometern pro Sekunde ins All? Antworten auf diese Fragen soll die Mission Solar Orbiter finden.
Der Startschuss ist am Montag, den 10. Februar um 5.03 Uhr Mitteleuropäischer Zeit am John F. Kennedy-Weltraumzentrum in Florida gefallen. Die US-amerikanische Raumfahrtagentur NASA war maßgeblich an der Mission beteiligt und übernahm unter anderem den Raketenstart. In den folgenden sieben Jahren soll Solar Orbiter einen bisher völlig neuen Blick auf unser Zentralgestirn werfen. Eine Verlängerung um weitere drei Jahre ist bereits geplant.
Die Besonderheit der Mission ist sozusagen Ansichtssache. Fast alle Raumsonden, die bisher Messdaten von der Sonne gesammelt haben, flogen in der Ebene, in der die Erde um die Sonne kreist. Ihnen bot sich somit im Prinzip derselbe Blick wie allen erdgebundenen Sonnenteleskopen – mitten auf den „Bauch“ der Sonne. Die Pole hingegen lassen sich aus dieser Perspektive nur schlecht untersuchen, selbst grundlegende Eigenschaften aus diesen Breiten sind noch unbekannt. Das betrifft etwa die Magnetfelder an der Oberfläche des heißen Plasmaballs oder seine Rotationsgeschwindigkeit.
„Die Pole sind mehr als ein Detail. Ohne das Puzzlestück, das uns an den Polen fehlt, lässt sich die Sonne in ihrer Gesamtheit nicht verstehen“, sagt Sami K. Solanki, Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und wissenschaftlicher Leiter des Solar-Orbiter-Instrumentes PHI (Polarimetric and Helioseismic Imager).
In den kommenden Jahren soll die Raumsonde deshalb die Bahnebene der Erde verlassen. Den nötigen Schwung dazu erhält sie durch Vorbeiflüge an Erde und Venus. Schritt für Schritt neigt sich dadurch die Umlaufbahn des Vehikels, bis es nach fünf Jahren zunächst Regionen von 25 Grad heliografischer Breite überfliegt, nach zehn Jahren sogar Regionen von 33 Grad. Zudem sind die Bahnen stark elliptisch geformt: Am sonnenfernsten Punkt bleibt Solar Orbiter auf Höhe der Umlaufbahn der Erde, am sonnennächsten Punkt nähert sich die Sonde ihrem Studienobjekt bis auf etwas mehr als ein Viertel des Abstandes zwischen Sonne und Erde.
Zehn wissenschaftliche Instrumente
„So können wir den Sonnenwind ganz in der Nähe seines Ursprungsorts untersuchen und gleichzeitig im Detail auf die Prozesse und Vorgänge auf der Sonne und in ihrer Atmosphäre blicken, die diesen Wind erzeugen“, sagt Max-Planck-Wissenschaftler Udo Schühle, der zum Leitungsteam des Instrumentes EUI (Extreme-Ultraviolet Imager) gehört. Zu diesem Zweck ist die Raumsonde mit zehn Instrumenten ausgestattet. Vier davon messen die Eigenschaften des Sonnenwindes. Sechs weitere – darunter EUI – blicken auf die Sonne selbst, auf ihre sichtbare Oberfläche und auf die Atmosphäre, die sie umgibt.
Noch weiter heran an das Sonnenfeuer wagt sich die Parker Solar Probe der NASA. Seit 2018 ist die Sonde im All unterwegs und hält schon jetzt den Rekord für den kürzesten Abstand zum Zentralgestirn. Im Jahr 2026 werden sogar knapp sechs Millionen Kilometer erreicht. „Beide Missionen haben verschiedene Zielsetzungen und Stärken“, sagt Hardi Peter, der am Göttinger Institut zum Leitungsteam des Instrumentes SPICE (Spectral Imaging of the Coronal Environment) zählt.
„Die Messdaten ergänzen sich. Und beide Teams arbeiten deshalb eng zusammen, um etwa gemeinsame Beobachtungskampagnen zu koordinieren“, sagt Peter. Zwar untersucht Parker Solar Probe den Sonnenwind näher an seinem Ursprungsort und somit unverfälschter, kann die Sonne selbst jedoch nicht abbilden. Solar Orbiter hingegen liefert einen umfassenden Blick auf alle Sonnenschichten.
Auf diese Weise kann Solar Orbiter nicht nur die Sonnenwindteilchen, sondern auch ihre Ursprungsorte in der Korona untersuchen. Die geladenen Partikel – überwiegend Elektronen, Wasserstoff- und Heliumatomkerne – strömen bis weit hinter die Umlaufbahn des Neptuns und hüllen so das gesamte Sonnensystem in ein dünnes Plasma, das uns vom interstellaren Medium trennt. Dieser gesamte Bereich wird als Heliosphäre bezeichnet.
Einige der Sonnenwindteilchen verlassen den Stern zum Teil mit Geschwindigkeiten von 750 Kilometern pro Sekunde. Wie ist das möglich? Wie gelingt es der Sonne, die Teilchen auf solch hohe Geschwindigkeiten zu beschleunigen? Klar ist, dass magnetische Phänomene eine Rolle spielen. Denn je nach Aktivität des solaren Gasballs fällt der Teilchenstrom mal stärker, mal schwächer aus. Besonders schnelle Sonnenwindteilchen treten vor allem im Aktivitätsminimum auf. Ihr Ausgangspunkt sind dunkle Strukturen in der polnahen Korona, die Solar Orbiter erstmals genau untersuchen soll.
Doch der einzigartige Blick auf die Sonne hat ihren Preis: Der technische Aufwand, ein Observatorium in solcher Nähe zu dem Glutball zu betreiben, ist immens. An der sonnenzugewandten Seite der Sonde werden Temperaturen von mehr als 500 Grad erwartet. Kein Wunder, dass Solar Orbiter auf dieser Seite einem fliegenden Schutzschild gleicht. Die Sonnenwind-Instrumente reisen im Schatten des Hitzeschildes gut geschützt. Die anderen Messgeräte, die freie Sicht auf die Sonne brauchen, sind ebenfalls hinter dem Hitzeschild angebracht, verfügen aber über verschließbare Gucklöcher.
Durch solche Öffnungen blicken drei der Instrumente, zu denen das Göttinger Max-Planck-Institut Hardware beigetragen hat, auf die Korona. Während EUI (Extreme-Ultraviolet Imager) Aufnahmen dieser äußeren Sonnenatmosphäre im Sekundentakt liefert, zerlegt SPICE das Licht aus dieser Region in seine einzelnen Wellenlängen. Der Koronograf Metis schließlich deckt die Sonnenscheibe ab und kann so auf die Übergangsregion zwischen der Korona und der innersten Heliosphäre blicken.
Seltsames Temperaturgefälle
Die Korona ist eine Schlüsselregion der Sonnenforschung. Denn auch dort verbirgt sich ein ungelöstes Rätsel: Mit etwa eine Million Grad ist sie geradezu unvorstellbar heiß, deutlich heißer als die darunter gelegene Gasschicht mit etwa 7000 Grad. Verschiedene Erklärungsversuche für dieses „verdrehte“ Temperaturgefälle identifizieren Stoßwellen, magnetohydrodynamische Wellen, lang gezogene Plasmafinger und andere magnetische Phänomene als Energielieferanten. Eine umfassende Theorie steht aber noch aus.
Auf und unter die „Haut“ der Sonne schaut das Instrument PHI, das unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung entstanden ist. Das Instrument bestimmt nicht nur Stärke und Richtung der Magnetfelder in der Photosphäre. Auf indirektem Weg erschließt das Instrument auch tieferliegende Schichten. Denn die Vorgänge im Innern unseres Sterns führen zu Schwingungen, die sich an der Oberfläche zeigen, und die PHI messen kann.
„Auf diese Weise hat Solar Orbiter Zugang zu der Region, in der die Magnetfelder der Sonne vermutlich entstehen“, sagt PHI-Projektmanager Joachim Woch. Dort, an der äußeren Grenze der Strahlungszone, steigen – angetrieben von der Hitze im Innern des Sterns – gewaltige Ströme elektrisch geladenen Plasmas auf, kühlen sich ab und sinken wieder in die Tiefe. Durch die Drehung der Sonne entstehen auf diese Weise in einer Art Dynamoprozess die solaren Magnetfelder.
Von dort werden die magnetischen Strukturen an die sichtbare Oberfläche geschwemmt, durchbrechen sie, setzen sich bis in die Atmosphäre fort und werden vom Sonnenwind, dem nie abreißenden solaren Teilchenstrom, bis ans Ende des Planetensystems getragen. Noch fehlen Puzzleteile, um diese Vorgänge genau zu verstehen. Einige wichtige davon soll Solar Orbiter liefern.
Aktualisiert am 10. Februar 2020.