Tanz ums Herz der Milchstraße

Der Stern S2 umrundet das supermassereiche schwarze Loch auf einer Rosettenbahn und bestätigt Einsteins Theorie

Tief in der Milchstraße lauert vermutlich ein mächtiges schwarzes Loch. Auf dessen Existenz schließen die Astronomen unter anderem aus der Bewegung des Sterns S2, der dieses Massemonster mit hoher Geschwindigkeit umrundet. Dabei bleibt die Sternenbahn aber nicht ortsfest im Raum, sondern sie schreitet gleichsam voran, sodass mehrere Umläufe von S2 eine Rosette ergeben. Diesen Effekt hat Albert Einstein in seiner allgemeinen Relativitätstheorie prophezeit, und er erklärt etwa die schon lange bekannte Drehung der Merkurbahn. Jetzt haben Forschende unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik diese Schwarzschild-Präzession erstmals nahe am galaktischen Zentrum beobachtet. Sie nutzten dazu das Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile.

„Die allgemeine Relativitätstheorie von Einstein sagt voraus, dass die gebundenen Bahnen eines Objekts, das um ein anderes kreist, nicht geschlossen sind, wie von Newton vorhergesagt, sondern sich in der Bahnebene vorwärts bewegen“, sagt Reinhard Genzel, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Genzel ist so etwas wie der Architekt des 30-jährigen Programms, das diese Schwarzschild-Präzession nun in der Bewegung eines Sterns entdeckt hat; er umkreist die kompakte Radioquelle Sagittarius A* im galaktischen Zentrum. „Das stärkt unsere Überzeugung, dass sich dort tatsächlich ein schwarzes Loch mit vier Millionen Sonnenmassen verbirgt“, sagt der Max-Planck-Forscher.

Rund 26.000 Lichtjahre von der Sonne entfernt, bieten Sagittarius A* und der dichte Sternhaufen darum herum ein einzigartiges Labor, um die physikalischen Gesetze in dem ansonsten unerforschten Bereich extremer Gravitationsfelder zu untersuchen. Einer dieser Sterne namens S2 kommt dem supermassereichen schwarzen Loch sehr nahe, bis zu einer Entfernung von weniger als 20 Milliarden Kilometern. Diese vergleichsweise geringe Distanz – sie entspricht dem 120-fachen Abstand zwischen Sonne und Erde – macht ihn zu einem der nächstgelegenen Sterne, die je auf einer Umlaufbahn um das schwarze Loch gefunden wurden.

S2 rast nahe dem Massemonster mit fast drei Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch den Raum und vollendet alle 16 Jahre einen Umlauf. „Nachdem wir den Stern über zweieinhalb Jahrzehnte in seiner Bahn verfolgt haben, können wir mit unseren Messungen nun die Schwarzschild-Präzession von S2 auf seinem Weg um Sagittarius A* sicher nachweisen“, sagt Stefan Gillessen vom Garchinger Max-Planck-Institut, der die Analyse der Messungen leitete.

Die meisten Sterne und Planeten haben keine kreisförmige Bahn und sind deshalb mal näher, mal weiter entfernt von dem Objekt, das sie umlaufen. Im Fall von S2 ändert sich die Lage des nächstgelegenen Punkts zum schwarzen Loch mit jeder Umdrehung – dieser Punkt selbst bewegt sich auf einer Kreisbahn. Dadurch erhält die Umlaufbahn die Form einer Rosette. Die allgemeine Relativitätstheorie sagt präzise vorher, wie stark sich die Bahn ändert. Tatsächlich stimmen die Messungen genau mit der Theorie überein. Dieser Effekt wurde noch nie zuvor für einen Stern um ein supermassereiches schwarzes Loch beobachtet.

Der Stern S2 umläuft das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße nicht auf einer geschlossenen Ellipse, die ortsfest im Raum liegt. Vielmehr schreitet die Bahn gleichsam voran, wobei sich mit der Zeit die Form einer Rosette ergibt.

Kosmische Blüte

Der Stern S2 umläuft das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße nicht auf einer geschlossenen Ellipse, die ortsfest im Raum liegt. Vielmehr schreitet die Bahn gleichsam voran, wobei sich mit der Zeit die Form einer Rosette ergibt.
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Die Studie hilft den Wissenschaftlern auch, mehr über die Umgebung der Schwerkraftfalle im Zentrum unserer Galaxis zu erfahren. „Da die S2-Messungen der allgemeinen Relativitätstheorie so gut folgen, können wir strenge Grenzen setzen, wie viel unsichtbares Material, etwa verteilte dunkle Materie oder weitere kleinere schwarze Löcher, um Sagittarius A* herum vorhanden ist,“ so Guy Perrin und Karine Perraut, die leitenden Wissenschaftler des Projekts in Frankreich. Dies sei von großem Interesse für das Verständnis der Entstehung und Entwicklung von schwergewichtigen schwarzen Löchern.

Das Ergebnis ist der Höhepunkt von 27 Jahren Beobachtungen des S2-Sterns mit diversen Instrumenten, vor allem am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO). Die Anzahl der Datenpunkte über Position und Geschwindigkeit des Sterns zeugt von der Gründlichkeit und Genauigkeit der Beobachtung: Das Team führte insgesamt mehr als 330 Messungen mit den Instrumenten Gravity, Sinfoni und Naco aus. Da S2 mehrere Jahre braucht, um Sagittarius A* zu umkreisen, mussten die Astronomen den Stern fast drei Jahrzehnte lang verfolgen, um die Feinheiten seiner Bahnbewegung zu entschlüsseln.

Die entscheidenden Messungen nahmen Forschende aus Frankreich, Portugal, Deutschland und der ESO unter der Leitung von Frank Eisenhauer vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik vor. Das Team bildet die Gravity-Kollaboration, benannt nach dem von ihr entwickelten Instrument für das VLT-Interferometer, welches das Licht aller vier Acht-Meter-Teleskope zu einem virtuellen Fernrohr mit einem Durchmesser von 130 Metern kombiniert.

Dieselbe Gruppe beobachtete im Jahr 2018 einen weiteren Effekt, den die allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt: die Gravitations-Rotverschiebung. Dabei wurde das Licht von S2 zu größeren Wellenlängen gedehnt, als der Stern nahe an Sagittarius A* vorbeizog. „Dieses Ergebnis hatte gezeigt, dass das vom Stern ausgestrahlte Licht die allgemeine Relativitätstheorie wahrnimmt. Jetzt haben wir gesehen, dass der Stern selbst die Auswirkungen der allgemeinen Relativitätstheorie bemerkt“, sagt Paulo Garcia, Wissenschaftler an Portugals Zentrum für Astrophysik und Gravitation und Mitglied des Gravity-Projekts.

Die Wissenschaftler hoffen, mit dem im Bau befindlichen Extremely Large Telescope der ESO noch viel schwächere Sterne zu sehen, die näher am schwarzen Loch kreisen. „Wenn wir Glück haben, könnten wir Sterne einfangen, die so nah sind, dass sie die Rotation – den Spin des Massemonsters – tatsächlich spüren“, sagt Andreas Eckart von der Universität Köln. Damit wären die Astronomen in der Lage, die beiden Größen zu messen, die das schwarze Loch Sagittarius A* charakterisieren: Spin und Masse. „Das wäre eine noch höhere Messlatte, an der wir die Relativitätstheorie überprüfen möchten“, sagt Eckart.

HAE / HOR

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