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Ausbildung der 3D-Struktur und spezifische Wechselwirkung zwischen Genen und Enhancern stellen unabhängige Ebenen der Genregulation dar

8. August 2019
Aufgrund von Erkenntnissen bei der Untersuchung grundlegender Mechanismen der Genregulation und menschlicher Erbkrankheiten gingen Forschende bisher davon aus, dass die dreidimensionale Struktur der DNA für die Regulation von Genen essentiell ist. Durch Entfernung und Verlagerung von Bindungsstellen für CTCF, einen der Hauptakteure für die 3D-Faltung des Genoms, hat ein Team um Daniel Ibrahim und Stefan Mundlos am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik diesen Einfluss jetzt gezielt untersucht. Durch Entfernung der CTCF-Bindungsstellen verringerte sich die Genauigkeit, größere Änderungen der Genexpression ergaben sich aber nicht. Eine Fehlexpression konnte jedoch durch das „Umleiten“ regulatorischer Aktivität durch Inversionen oder Verlegung von CTCF-Bindungsstellen ausgelöst werden. In der aktuellen Ausgabe von Nature Genetics beschreiben die Forschenden, dass die räumliche Anordnung von Genen und ihren Regulatoren und die spezifische Wechselwirkung zwischen Regulatoren und Genen zwei voneinander unabhängige Ebenen der Genregulation darstellen. Diese stabilisieren sich gegenseitig, sind aber nicht voneinander abhängig.

Die DNA von Säugetieren einschließlich des Menschen faltet sich im Inneren des Zellkerns zu dreidimensionalen Funktionseinheiten, den sogenannten Topologically Associating Domains (TADs). Für die Bildung und Aufrechterhaltung dieser TADs ist unter anderem das Protein CTCF verantwortlich. Es bindet an spezifische Sequenzabschnitte innerhalb des DNA-Strangs, wodurch dieser Schlaufen ausbildet, aus denen die TADs geformt werden. In einer TAD befinden sich meist ein oder mehrere Gene und deren regulatorische Elemente, die sogenannten Enhancer. Dies sind Abschnitte im Genom, über die die Aktivität („Expression“) des zugehörigen Gens präzise gesteuert werden kann.

In den letzten Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Daniel Ibrahim und Stefan Mundlos vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik (MPIMG) den Einfluss von krankheitsverursachenden Mutationen auf die Ausbildung der TADs untersucht. Dabei konnten sie zeigen, dass Enhancer durch die räumliche Anordnung der TADs in die unmittelbare Nähe des Gens gelangen, welches sie regulieren. Die Forschenden vermuteten daher, dass die richtige Ausbildung einer TAD wesentlich für die korrekte Expression des enthaltenen Gens ist. Bestärkt wurde diese Interpretation durch die Untersuchung von Duplikationen (Verdopplungen) und Deletionen (Wegfall) unterschiedlich großer Genomabschnitte, die beim Menschen zu Fehlbildungen und angeborenen Erkrankungen führen. Die Duplikationen verursachten die Ausbildung neuartiger TADs, in denen Gene aus einer TAD mit den Enhancern einer anderen TAD kombiniert wurden, während Deletionen zu einer Fusion vorhandener TADs führten. Als Ergebnis der Umlagerungen gerieten Gene unter die Kontrolle von Enhancern, die zuvor ein anderes Gen reguliert hatten, was letztlich zu Fehlexpression und Krankheiten führte.

Systematische Studie zur Aufklärung scheinbar widersprüchlicher Forschungsergebnisse

Neuere Ergebnisse von anderen Forschungsgruppen wiesen allerdings darauf hin, dass die Struktur der TADs vielleicht doch nicht so entscheidend für die Genregulation sein könnte, wie bislang angenommen. Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzuklären, führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Ibrahim und Mundlos eine systematische Studie durch, in der sie die Funktion der TADs und des Faktors CTCF genauer untersuchten. Die Forschenden konzentrierten sich auf die bereits gut untersuchte Sox9-Region, in der sich zwei große TADs befinden. Eine enthält das Sox9-Gen und seine Enhancer, die andere das Kcnj2-Gen und dessen Enhancer. Die Grenze zwischen den TADs besteht aus vier Bindungsstellen für CTCF, weitere Bindungsstellen befinden sich innerhalb der Sox9-TAD und der Kcnj2-TAD. In einer Reihe von Experimenten wurden zunächst die Bindungsstellen an der Grenze zwischen den TADs entfernt, wodurch jedoch die dreidimensionale Struktur im Wesentlichen erhalten blieb. Erst nachdem zusätzlich die CTCF-Bindungsstellen innerhalb der TADs entfernt worden waren, löste sich die Struktur der Sox9-Region auf und die zwei TADs fusionierten zu einer. „Wir konnten zeigen, dass die Struktur einer TAD nicht nur über ihre Grenzen definiert wird“, erklärt Ibrahim. "Wie meistens in der Biologie ist nicht nur ein Faktor für die Funktion oder den Ausfall des Systems verantwortlich. Wir haben es vielmehr mit einem redundanten System zu tun, mit dem sichergestellt werden soll, dass einzelne Ausfälle, zum Beispiel durch Mutationen, nicht zu einem kompletten Funktionsverlust führen.“ Überraschenderweise führten der Verlust der TAD-Grenze und sogar die Fusion der beiden TADs aber nicht zu einer wesentlichen Veränderung der Genexpression. Es fanden sich aber geringe Veränderungen in Genexpression und der Genauigkeit, mit der die Gene aktiviert wurden.

Wenn jedoch der Verlust von CTCF zu einer Fusion zweier TADs führt, wie es ähnlich auch bei den oben erwähnten Deletionen geschah, warum werden dann in einem Fall Gene fehlexprimiert und im anderen nicht? Um die Auswirkungen von genomischen Umlagerungen (Rearrangements) auf die Bildung von TADs und die Expression von Genen weiter zu untersuchen, entwickelten Ibrahim und Mundlos eine Reihe von Experimenten, in denen sie unterschiedlich große Sequenzabschnitte aus der DNA herausschnitten und in umgekehrter Richtung wieder einsetzten (Inversionen). Dadurch wurden die CTCF-Bindungsstellen im Grenzbereich neu positioniert und ihre Ausrichtung geändert, was zu massiven Auswirkungen auf die Bildung der TADs und die Genexpression führte. Die Drehung von CTCF-Bindungsstellen und damit die Änderung ihrer Ausrichtung bewirkte, dass Sox9-Enhancer das benachbarte Kcnj2-Gen aktivieren und damit Krankheiten verursachen konnten Durch ein Verschieben der Grenze konnte Sox9 von seinen Enhancern getrennt und entsprechend nicht mehr aktiviert werden.

Durch das systematische Design ihrer Experimente konnte das Team um Ibrahim und Mundlos die unterschiedlichen Funktionen der CTCF-Bindungsstellen zwischen und innerhalb der TADs klar voneinander abgrenzen. Eine intakte TAD-Grenze war immer in der Lage, einzelne Funktionsbereiche voneinander zu trennen. Innerhalb der TADs hatten unterschiedliche Strukturveränderungen jedoch auch unterschiedliche Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Enhancern und Genen. „Tatsächlich ist die Spezifität der Enhancer für ihre Zielgene deutlich höher, als wir es bisher angenommen hatten“, berichtet Mundlos. „Wenn ihre Position im Genom erhalten bleibt, scheinen die Enhancer auch ohne den durch die TAD definierten Aktionsradius vor allem „ihre“ Gene zu aktivieren. Erst wenn sich die Bedingungen für eine Interaktion zwischen Gen und Enhancer verschlechtern, wie es zum Beispiel durch das Umdrehen von Genomabschnitten oder die Bildung neuer TADs der Fall ist, werden die Enhancer ihrem Gen „untreu“ und suchen sich andere Partner.“

Unabhängige Ebenen der Genregulation

Die Ergebnisse des Berliner Teams weisen darauf hin, dass die räumliche Trennung durch TADs und die spezifische Wechselwirkung zwischen Enhancer und Gen zwei voneinander unabhängige Ebenen der Genregulation darstellen. Sie stabilisieren sich gegenseitig, sind aber nicht voneinander abhängig. Außerdem erklären sie den scheinbaren Wider­spruch, dass die Entfernung von CTCF bzw. seiner Bindungsstellen nur geringe Auswirkungen auf die Genregulation hat, während bei angeborenen Erkrankungen, die mit einer Veränderung der TAD-Struktur einhergehen, dramatische Änderungen in der Regulation einzelner Gene beobachtet werden können. “Dies zeigt auch, wie wichtig systematische Untersuchungen und unterschiedliche Versuchsansätze für die Aufklärung von grundlegenden Sachverhalten sind“, so Ibrahim. „Mit den Ergebnissen der Einzelexperimente hätten wir zwei Aufsätze mit sich widersprechenden Schluss­folgerungen schreiben können. Erst durch die Zusammenführung der Ergebnisse und die Durchführung zusätzlicher Studien war es möglich zu verstehen, was diese gegensätzlichen Ergebnisse bedeuten.“

Hilfe bei der Interpretation von genomischen Veränderungen beim Menschen

Diese Ergebnisse haben direkte Auswirkungen auf die Diagnose und Interpretation von krankheitsverursachenden Mutationen beim Menschen. „Die Erkenntnisse helfen uns dabei vorhersagen, welche Auswirkungen eine Mutation im Genom haben und welche Krankheiten dies verursachen könnte“, erklärt Mundlos, der neben seiner Tätigkeit am MPIMG auch Leiter des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik an der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist. „Bei vielen Mutationen, die wir bei unseren Patientinnen und Patienten sehen, handelt es sich nicht um kleine Veränderungen des Genoms, sondern um große Verlagerungen von DNA-Abschnitten, die zu Änderungen der 3D-Struktur und Unterbrechungen der Wechselwirkung zwischen Genen und Enhancern führen können. Die jetzige Studie trägt wesentlich zu unserem Verständnis dieser Veränderungen bei.“

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