Birkenspanner sehen mit der Haut
Die Raupen des kleinen Nachtfalters erkennen die Farbe des Untergrunds mit ihrer Haut und passen ihre Körperfarbe daran an
Raupen des Birkenspanners sind nur schwer von einem Zweig zu unterscheiden. Dabei ahmen sie nicht nur die Form eines Asts nach, sondern auch dessen Farbe. Wissenschaftler von der Universität Liverpool und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben herausgefunden, dass die Raupen die Farbe der Zweige mit der Haut wahrnehmen. Bei den Tieren sind für das Sehen erforderliche Gene nicht nur in den Augen der Raupen aktiv, sondern auch in der Haut.
Tintenfische, Chamäleons und einige Fische sind dafür bekannt, dass sie ihre Farbe an ihre Umgebung anpassen können, um sich zu tarnen. Dazu besitzen sie ein System, um Licht und Farbe unabhängig von den Augen wahrzunehmen. Manche Insekten wie die Raupen des Birkenspanners (Biston betularia) passen auch ihre Körperfarbe an die Farbe ihrer Futterpflanze an, obwohl dieser Farbwechsel verglichen mit anderen Tieren eher langsam erfolgt.
Bis jetzt war Forschern aber kein Insekt bekannt, das Farbe in seiner Umgebung wahrnehmen kann, und wie der Farbwechsel erfolgt. So könnte der Farbwechsel beispielsweise durch die Nahrung verursacht werden. Oder das Tier kann die Farbe des Untergrunds sehen. Da einige Insekten dafür bekannt sind, dass sie Licht – aber keine Farbe – über die Haut wahrnehmen können, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Liverpool und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie nun drei unterschiedliche Ansätze verfolgt, um das Rätsel zu lösen, wie Birkenspannerraupen ihre Farbe der Umgebung anpassen.
Blinde Raupen verfärben sich
Zunächst wollten die Forscher herausfinden, ob Raupen, deren Augen mit Acrylfarbe schwarz übermalt waren, dennoch ihre Farbe dem Untergrund anpassen können. Sie zogen die „erblindeten“ Raupen auf weißen, grünen, braunen oder schwarzen Zweigen auf und beobachteten ihre Farbe. Auch ohne mit den Augen sehen zu können, verfärbten sich die Raupen entsprechend ihres Untergrunds. Die Färbung war genauso intensiv wie bei Raupen, deren Augen nicht geschwärzt waren. „Es war für mich völlig überraschend, dass „blinde“ Raupen immer noch in der Lage sind, ihre Körperfarbe dem Untergrund anzupassen“, sagt Amy Eacock, eine der Hauptautorinnen der neuen Studie und derzeit Postdoc am Max-Planck-Institut in Jena. Besaßen die Raupen mit geschwärzten Augen die Wahl zwischen unterschiedlich gefärbten Zweigen, setzten sie sich auf den Zweig, der ihrer Körperfarbe am ähnlichsten war.
Die Wissenschaftler untersuchten darüber hinaus, in welchen Körperteilen Seh-Gene aktiv sind. Solche Gene haben die Forscher nicht nur im Kopf der Raupen, sondern auch in der Haut aller Körpersegmente entdeckt. Ein Seh-Gen wurde sogar in der Haut stärker abgelesen als in den Köpfen der Raupen. „Wir gehen davon aus, dass dieses Gen an der Wahrnehmung durch die Haut beteiligt ist“, bemerkt Hannah Rowland, weitere Hauptautorin der Studie und Leiterin der Max Planck Forschungsgruppe Räuber und giftige Beute.
„Farbänderung ermöglicht Tieren, sich an ihre Umgebung anzupassen und reduziert sehr wahrscheinlich das Risiko gefressen zu werden“, fasst Hannah Rowland die ökologische Bedeutung der Studie zusammen. Amy Eacock ergänzt: „Wir haben ein Computermodell entwickelt, das so wie Vögel „sehen“ kann. Es zeigt uns, dass sich Anpassungen wie Farbänderung, Nachahmung eines Zweigs, Aufsuchen eines farblich passenden Untergrunds über lange Zeiträume entwickelt haben. Raupen mit besserer Farbwahrnehmung werden wahrscheinlich seltener von Räubern gefressen, während Vögel mit verbessertem Sehvermögen mehr Raupen fressen, so dass sich das evolutionäre Wettrüsten zwischen Räuber und Beute fortsetzt.“