Doppelter Stress verlangsamt Evolution

Bakterien werden langsamer gegen Antibiotika resistent, wenn sie sich zusätzlich auch noch gegen Fressfeinde wehren müssen

Wie andere Organismen auch müssen sich Bakterien ständig unter ungünstigen Lebensbedingungen bewähren. Forscher des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön haben zusammen mit Kollegen aus Finnland herausgefunden, dass sich Bakteriengemeinschaften langsamer und weniger effizient an ihre Umwelt anpassen, sobald sie zwei Stressfaktoren anstatt nur einem ausgesetzt sind. Grund dafür sind Mutationen in verschiedenen Genen. Die langsamere Evolution führt dazu, dass sich weniger Bakterien entwickeln. Die Evolution kann also unterschiedliche Wege einschlagen, wenn mehrere Stressfaktoren einen Organismus belasten.

Bakterien leben selten alleine, sie sind vielmehr meist Teil einer Artengemeinschaft, die unterschiedlichen Stressfaktoren ausgesetzt ist. Als Reaktion auf diese Faktoren können sie sich oft erstaunlich schnell an neue Umweltbedingungen anpassen. So können Antibiotika, die über Abwässer in Gewässer und Böden gelangen und sich dort in geringen Konzentrationen anreichern, bei Bakterien Resistenzen auslösen – und das, obwohl die niedrigen Konzentrationen das Wachstum von Bakterien nicht oder nur wenig hemmen. Bakterien haben jedoch nicht nur mit Antibiotika zu kämpfen, sie müssen sich auch mit Fressfeinden auseinandersetzen. Sie wachsen deshalb beispielsweise in großen Verbänden, die von den Räubern nicht gefressen werden können.

In der Regel untersuchen Wissenschaftler nur die Auswirkungen eines einzigen solchen Stressfaktors auf einen Organismus. Forscher des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön und der Universitäten in Helsinki und Jyväskylä, Finnland, sind nun der Frage nachgegangen, wie sich Mikroorganismen verhalten, wenn sie mit mehr als einem Stressfaktor konfrontiert werden. „Wir haben die natürlichen Umweltbedingungen im Labor simuliert und Bakteriengemeinschaften sowohl Fressfeinden als auch Antibiotika ausgesetzt. So können wir beispielsweise abschätzen, ob und wie häufig Antibiotikaresistenzen im Freiland zu erwarten sind“, erklärt der Leiter dieser Studie Lutz Becks.

Antibiotika und Fressfeinde

Im Labor der Wissenschaftler musste das Bakterium Pseudomonas fluorescence mit dem räuberischen Einzeller Tetrahymena thermophila als Fressfeind und mit Antibiotika zurechtkommen. Schon nach kurzer Zeit beobachtete das Wissenschaftlerteam, dass sich die Bakterienpopulationen veränderten: Die Bakterien entwickelten Resistenzen und Schutz vor dem Gefressen werden deutlich langsamer und weniger effektiv als Artgenossen, die nur einem dieser Umweltfaktoren ausgesetzt waren. Resistenzen gegen die Antibiotika traten zudem seltener auf. „Die Bakterien können beide Eigenschaften offenbar nicht gleichzeitig optimieren“, sagt Becks.

Als nächstes haben die Wissenschaftler die genetischen Grundlagen dieser Anpassungen analysiert. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Mutationen für verbesserten Fraßschutz in gleicher Anzahl und an gleichen Stellen im Erbgut der Bakterien auftreten, wenn nur die räuberischen Einzeller anwesend sind. Gleiches gilt für Mutationen für Antibiotikaresistenz. Sobald aber die beiden Stressfaktoren die Bakteriengemeinschaften beeinflussen und die Bakterien sowohl Fressfeind als auch Antibiotikum bekämpfen müssen, entstehen andere Mutationen. Dies führt dazu, dass Schutz vor Fressfeinen und Resistenz gegen Antibiotika gleichzeitig nicht so effizient sind und sich langsamer entwickeln.

Schlechtere Feindabwehr

Weil sich die Bakterien schlechter vor ihren Räubern schützen können, wenn sie gleichzeitig mit räuberischen Einzellern und Antibiotika konfrontiert sind, kommen sie in geringerer Zahl vor, als wenn sie sich nur gegen die Räuber wehren müssen. Mehrere Stressfaktoren scheinen also einen starken Einfluss darauf zu haben, ob und wie häufig sich Antibiotikaresistenz entwickeln und wie groß die Anzahl von Bakterien werden kann.

„Mikrobielle Gemeinschaften – sei es in einem See oder in einem Verdauungstrakt – sind komplexe Gemeinschaften, in denen viele Arten miteinander um Ressourcen konkurrieren. Die verschiedenen Stressfaktoren, denen die Mikroben dabei ausgesetzt sind, wirken sich massiv auf ihre Entwicklung und Überlebensrate aus. Bis wir das Zusammenspiel all dieser Faktoren und den Einfluss von Antibiotika und Pestiziden gänzlich verstehen, wird es noch eine Zeitlang dauern“, erklärt Becks.“  

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