Ist Evolution vorhersagbar?

Ein evolutionäres Wettrüsten kann zwar zu den gleichen Eigenschaften führen, die zugehörigen Gene entwickeln sich jedoch unterschiedlich

3. Mai 2018

Wenn die einzellige Alge Chloralla variabilis und ihr für sie tödlicher Kontrahent, das Chlorovirus, miteinander ringen, kommt in verschiedenen identischen Versuchen immer wieder das Gleiche raus: Nach wiederholten Phasen des Zusammenbruchs und der Wiederbesiedelung sind die meisten Algenzellen in jedem Versuch gegen den Erreger resistent. Forschern am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön zufolge kann Evolution bei den gleichen Startbedingungen ähnlich verlaufen und dieselben Eigenschaften hervorbringen. Ganz anders das Erbgut: In jeder Wiederholung tragen die Algen unterschiedliche Mutationen. Die Wissenschaftler zeigen damit, dass die Evolution neuer Eigenschaften parallel verlaufen kann, selbst wenn sich die zugrundeliegenden Gene unterschiedlich entwickeln.

Die Wissenschaftler haben eine Population genetisch identischer Chloralla variabilis auf mehrere Zellkulturflaschen verteilt und 90 Tage lang beobachtet, wie sich die Algen entwickeln. Drei der Populationen infizierten die Forscher mit dem Chlorovirus PBCV-1, andere konnte sich ohne den Gegner vermehren und diente als Vergleichsansatz. In den Versuchsansätzen mit Viren lief nun ein evolutionärer Rüstungswettlauf ab, in dem Alge und Parasit immer neue Abwehr- und Angriffswerkzeuge entwickelten. Wirt und Parasit durchlaufen also eine sogenannte Ko-Evolution. Dabei wäre es nicht überraschend, wenn die Evolution in jeder Kolonie unterschiedliche Wege einschlagen würde.

Aus früheren Versuchen wussten die Wissenschaftler bereits, dass sich eine kleine Chloralla variabilis-Population alleine so lange vermehrt, bis sie die maximale Dichte erreicht, die ihr Lebensraum beherbergen kann. Ganz anders eine Population, die sich dem Virus erwehren muss und mit diesem ko-evolviert: „Nach einem steilen Anstieg in den ersten 15 Tagen bricht sie massiv ein. Parallel dazu steigt die Virusanzahl stark an“, erklärt Lutz Becks vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.

Nach einem erneuten Wachstum kommt es um den Tag 20 herum zu einem erneuten Einbruch der Algenzahl. Danach steigt ihre Zahl wieder kontinuierlich bis zum Ende des Experiments an. Die Viruspopulation entwickelt sich genau entgegengesetzt: Sie nimmt nach den beiden Wachstumsexplosionen in den ersten drei Wochen ab, ohne jedoch ganz auszusterben. Bemerkenswerterweise ähnelt sich die Entwicklung der Algen-Virus-Kolonien. „Alle drei Populationen weisen einen vergleichbaren zeitlichen Verlauf auf. Offenbar verläuft die Ko-Evolution zwischen Wirt und Parasit jedes Mal ähnlich“, sagt Becks.

Fast nur noch resistente Zellen

Am Ende des Experiments besteht jede der Algenpopulationen fast völlig aus Algenzellen, die gegen das Virus resistent sind. Sie können dabei nicht nur die Viren der eigenen Population abwehren, sondern auch die der anderen Populationen – und das, obwohl dort eine unabhängige Koevolution abgelaufen ist. „In allen drei Fällen müssen sich Algen und Viren ähnlich gut aneinander angepasst haben, anders ist dieser Befund nicht zu erklären“, so Becks.

Schon nach 45 Tagen haben Wirt und Parasit ihre Angriffs- und Abwehrmaßnahmen so perfektioniert, dass keiner mehr einen Vorteil gegenüber dem anderen gewinnen kann. Zu diesem Zeitpunkt sind die Algen sogar resistent gegen Viren, die erst später entstehen. Neben den resistenten bleiben jedoch immer auch nicht-resistente Algen erhalten – vermutlich profitieren sie davon, dass sie sich den Aufwand für Abwehrmaßnahmen sparen. Deshalb sterben auch die Viren nicht aus.

Unterschiedliche Mutationen mit gleichem Effekt

Eine Analyse des Erbguts der Algen ergab, dass die resistenten Zellen eine Region ihres Genoms dupliziert hatten. Eine solche Verdopplung scheint ein gängiger Weg zu sein, wie Organismen neue Anpassungen entwickeln. „Die duplizierte Region macht die Zellen zwar wahrscheinlich nicht direkt und alleine Virus-resistent, aber sie verringert möglicherweise die Kosten für die Algen, wenn diese gegen die Erreger resistent werden“, erklärt Becks. Zusätzlich zu dieser Duplikation spielen den Ergebnissen zufolge auch Punktmutationen eine wichtige Rolle. Allerdings geht die Evolution hier offenbar unterschiedliche Wege, denn während alle resistenten Zellen dieselbe duplizierte Region aufweisen, tragen sie unterschiedliche Punktmutationen in ihrem Erbgut. 

Die Experimente zeigen, dass Evolution unter denselben Bedingungen immer wieder dieselben Eigenschaften, sprich Resistenzen, hervorbringen und zu ähnlichen Populationsverläufen führen kann. Anders sieht es auf der Ebene einzelner Gene aus: Hier findet die Evolution jedes Mal einen neuen Weg, Anpassungen hervorzubringen. „Mutationen treten rein zufällig auf. Dazu kommt, dass die Populationseinbrüche einen Teil davon wieder eliminieren. Beides zusammen führt dazu, dass sich Evolution auf genetischer Ebene nur schwer vorhersagen lässt“, so Becks.

HR

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