Leseproben aus dem Jahrbuch 2015
Das Jahrbuch 2015 bündelt Berichte über Forschungsarbeiten der Max-Planck-Institute und vermittelt anschaulich die Vielfalt an Themen und Projekten. Wir haben fünf Beiträge ausgewählt. Wer sich für die detaillierten Forschungsberichte interessiert, kann diese direkt im Jahrbuch nachlesen.
Spurensuche im Blätterwald
Auch wenn Herbarien bisweilen den Ruf haben, verstaubt zu sein – für Forscher am MPI für Entwicklungsbiologie gehören sie zu den spannendsten Studienobjekten überhaupt. Hernán A. Burbano und seine Kollegen nutzen modernste DNA-Analysemethoden, um teils jahrhundertealten gepressten Pflanzenteilen, die weltweit in Museen lagern, ihre Geheimnisse zu entlocken. Den Wissenschaftlern ist es bereits gelungen, anhand von Herbariumsmaterial mehrere Genome des Kartoffelfäuleerregers Phytophthora infestans zu rekonstruieren. Der gefürchtete Erreger war für die große irische Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts verantwortlich, bei der rund eine Million Menschen starben. Die Max-Planck-Forscher konnten nicht nur die historische Dynamik des Erregerstamms rekonstruieren, sondern auch Veränderungen von Genen nachverfolgen, die eine Schlüsselrolle im Infektionsprozess spielen. Die Erkenntnisse könnten dabei helfen, sich gegen künftige Epidemien zu wappnen.
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Günstige Gene im Sammelpack
Stichlinge sind Meister der Anpassung: Durch adaptive Radiation haben die ursprünglichen Meeresfische vielerorts wiederholt Süßwasserformen hervorgebracht, und das in nur wenigen Tausend Jahren. Welche molekularen Veränderungen die Anpassung an neue Lebensräume ermöglichen und wie dadurch letztlich neue Arten entstehen, untersucht die Arbeitsgruppe von Felicity Jones am Friedrich-Miescher-Laboratorium. Dabei haben die Forscher eine überraschende Entdeckung gemacht: Süß- und Salzwasserformen unterscheiden sich durch die komplette Umkehrung von drei riesigen Genstücken, sogenannte Inversionen. Diese Kassetten von Genen werden bei der Fortpflanzung nicht durchmischt, so dass vorteilhafte Mutationen in gebündelter Form weitergegeben werden. Im Zuge der Anpassung an eine neue Umwelt können die Nachkommen dadurch auf bereits bewährte Genkombinationen zurückgreifen − eine Evolutionsstrategie, die etwa auch bei Schmetterlingen vorkommt.
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Atome als Glühwendel
Licht zeigt viele Wechselwirkungen mit Materie; viele Gebiete der Technik beruhen darauf. Am MPI für die Physik des Lichts befassen sich Wissenschaftler um die Markus Sondermann, Peter Banzer und Gerd Leuchs damit, Licht so „maßzuschneidern“, dass ein einzelnes Atom es effizient aufnimmt. Zu diesem Zweck geben sie dem Licht dieselben Eigenschaften, die das vom Atom ausgestrahlte Licht aufweist. Licht mit der entsprechenden Wellenlänge, der Form und dem Polarisationsmuster, also der Verteilung der Schwingungsrichtungen, fokussieren sie dann auf das Atom, genauer gesagt ein Ytterbium-Ion, das sie mit elektrischen Feldern im Brennpunkt eines tiefen Parabolspiegels festhalten. Mit einem solchen Spiegel haben die Forscher Licht aber nicht nur sehr genau auf das Ytterbium-Ion fokussiert, sondern das von ihm emittierte Licht auch mit einer Effizienz von 54 Prozent eingesammelt. Die Apparatur wird so zu einer Art Scheinwerfer mit einem einzelnen Ion als Glühwendel.
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Landung auf dem Kometen
2014 gab es zwei Ereignisse, die einen enormen Schub für die europäische Weltraumfahrt bedeuteten: Die Raumsonde Rosetta erreichte den Kometen Churyumov-Gerasimenko („Tschuri“), im November 2014 setzte ihre Landeeinheit Philae auf der Oberfläche des Kometen auf. Da unter anderem die Landeharpunen nicht funktionierten wie geplant, startete Philae zu einer „taumelnden Hüpf-Exkursion“ über den Kometen und kam erst nach zwei Stunden zur Ruhe. An Bord des Landers – wie auch an Bord der Raumsonde – befinden sich mehrere Instrumente, die vom MPI für Sonnensystemforschung gebaut worden sind. Messungen mit dem Massenspektrometer ROSINA, zu dem das MPI für Sonnensystemforschung beigetragen hat, ergaben unter anderem, dass das Wasser auf der Erde nicht komplett von Kometen stammen kann.
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Im Süden lebt es sich heute länger
In Süddeutschland werden die Menschen heute erheblich älter als im Norden. Früher war das noch umgekehrt: Um 1910 verzeichnete Norddeutschland die höhere Lebenserwartung, während der Süden nicht so viele Jahre versprach. Woran liegt dieser Wandel? Spielen kulturelle Unterschiede etwa bei Ess- und Trinkgewohnheiten eine Rolle? Dieser Frage gehen Wissenschaftler am MPI für demografische Forschung um Sebastian Klüsener nach. Ein Grund für den Wandel ist die Umkehrung der wirtschaftlichen Entwicklung: Während der Norden vor hundert Jahren noch deutlich wohlhabender war als der Süden, kehrte sich dieses Verhältnis ab etwa 1950 um – und analog dazu entwickelte sich die Sterblichkeit. Ein weiterer deutlicher Grund für die geringere Lebenserwartung in Süddeutschland war der Brauch, Babys nicht zu stillen, sondern mit Mehlbrei zu füttern. Wegen der mangelnden Hygiene starben dadurch viele Säuglinge an Durchfallerkrankungen.
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Krimkrise und Völkerrecht
Die Annexion der Krim durch die Russische Föderation wirft auch für Völkerrechtler eine Reihe von Fragen auf. Das Bestreben nach einer rechtlichen Einordnung der Ereignisse auf der Krim steht vor der Herausforderung, dass die akademische Welt entlang geopolitischer Lager gespalten ist. So erachten russische Juristen die Abspaltung der Krim, die auf einem kurzfristig anberaumten Referendum basierte, für völkerrechtsgemäß. Dagegen sehen westliche Wissenschaftler in dem nach einer militärischen Okkupation abgehaltenen Referendum nahezu einhellig einen Missbrauch dieses Instruments. Diese Spaltung unterminiert letztlich eine Wissenschaft, die eine universale und globale Ordnung beschreiben will. Um einen Austausch der verschiedenen Positionen zu ermöglichen, organisierten Wissenschaftler des MPI für Völkerrecht um Anne Peters, Christian Marxsen und Matthias Hartwig im September 2014 eine Konferenz, in der Wissenschaftler aus Russland, der Ukraine, Zentral- und Westeuropa teilnahmen und ihre divergierenden Einschätzungen zur Diskussion stellten.