Hunde können Gedanken lesen
„Ich sehe was, was du nicht siehst“ – für Kognitionsforscher ist dieser Zeitvertreib alles andere als ein Kinderspiel. Denn er setzt voraus, dass sich derjenige, der an der Reihe ist, vorstellen kann, was die anderen sehen können und was nicht. Aber gilt das auch für Tiere wie Affen oder gar Hunde? Am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erforschen Wissenschaftler die sozialen Erkenntnismöglichkeiten verschiedener Tierarten.
Text: Birgit Fenzel
Die Kunst des Gedankenlesens hat einen wissenschaftlichen Namen: Theory of Mind. Über sie begreifen Menschen andere Menschen als Individuen mit eigenen Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken und können sich danach vorstellen, was im anderen vorgeht. Für Forscher gehört die Theory of Mind zu den Grundlagen des Lernens und Lehrens und somit auch zur Entstehung von Kultur – man denke nur an die Rolle, die Nachahmung und Imitation, Zeigen und Vorführen für die Weitergabe von Wissen oder beim Spracherwerb spielen.
Lange Zeit ging man davon aus, dass die Theory of Mind eine originär menschliche Fähigkeit sei, die sich im Verlauf der Evolution entwickelt hat. Doch konnten Wissenschaftler um Michael Tomasello in der Abteilung für vergleichende und Entwicklungspsychologie am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie beobachten, dass auch Schimpansen einige Schlüsselaspekte dieser Fähigkeit, Perspektiven und Absichten anderer wahrzunehmen, vorweisen.
Um herauszufinden, was Affen über die Wahrnehmungen ihrer Gruppengenossen wissen, hatte der Psychologe Josep Call den ausgeprägten Futterneid der Bewohner des Affenhauses im Pongoland ausgenutzt und Obststückchen im Gehege verstecken lassen. Tatsächlich trauten sich die niedrigeren Ränge nur an die Extraportion, wenn sie zuvor gesehen hatten, dass das Alphamännchen weder das Verstecken mitbekommen noch das Futter im Blickfeld hatte.
Fingerzeige für die Evolutionsbiologen
Damit relativierte sich die bisherige Behauptung, die Theory of Mind sei eine einzigartig menschliche Fähigkeit. Aber wie weit reicht das Verständnis der Menschenaffen über den Wissenszustand anderer? Können sie möglicherweise auch in kommunikativen Kontexten Zeigegesten oder andere referentielle Hinweise nutzen? „Für uns sind solche Fragen enorm spannend“, sagt die Biologin Juliane Bräuer, die in Tomasellos Abteilung die sozialen Erkenntnismöglichkeiten verschiedener Tierarten erforscht. „Der Vergleich zwischen den verschiedenen Arten gibt uns Aufschlüsse über uns selbst, darüber, was sich im Lauf unserer Entwicklung verändert hat – denn letztlich ist ja eine unserer großen Fragen, wie sich die menschliche Kognition im Lauf der Evolution entwickelt hat.“
So ist die Fähigkeit, sich in die Wahrnehmungs- und Handlungsperspektive eines anderen hineinzuversetzen, Menschen in die Wiege gelegt und spielt eine wesentliche Rolle beim frühkindlichen Spracherwerb. Durch das Zeigen auf ein Objekt lernt das Kind von Mutter oder Vater die entsprechende Bezeichnung. Auch geht man inzwischen davon aus, dass Gesten an der Wurzel der Sprache überhaupt liegen: Die Laute und Worte kamen erst nach dem Fingerzeigen.
Doch wie Call und Kollegen bei ihren Studien im Primatenzentrum des Leipziger Zoos zu ihrer Verblüffung feststellten, würden Menschenaffen nicht mal einem Wink mit dem Zaunpfahl folgen: Fingerzeige, das hat eine Reihe von Versuchen mit versteckten Obststückchen gezeigt, funktionieren in der Mensch-Affe-Kommunikation nicht – die Affen verstehen offenbar nicht, was ihnen ihr menschlicher Versuchspartner mit der Geste auf einen bestimmten Behälter mitteilen will. Nach diesen Experimenten schien es so, als sei das Deuten kommunikativer Hinweise eine rein menschliche Gabe. Denn wenn schon die ontogenetisch nächste Verwandtschaft des Menschen keine Zeigegesten verstehen kann, wer dann? Die Antwort kam von unverhoffter Seite: „Mein Hund kann das aber“, behauptete der damalige Doktorand Brian Hare MaxPlanckForschung 1/2006, Seite 74 ff.).
Mit dieser eher beiläufig dahingeworfenen Bemerkung handelte sich Hare gleich den Auftrag zu einer eigenen Studie ein. Tatsächlich stellte sich bald heraus, dass sein Hund offenbar nicht das einzige Kommunikationsgenie unter den Caniden war, das menschliche Fingerzeige zu deuten weiß. Wie zuvor im Affenhaus kam dabei der „Object-Choice-Test“ zum Einsatz. Dabei wurden die Hunde mit zwei identischen umgedrehten Bechern konfrontiert, wobei nur unter einem davon ein Leckerli lag. Unter welchem, konnte der Hund nicht wissen, weil er das Verstecken nicht gesehen hatte.
Dann zeigte sein menschlicher Testpartner auf den Becher mit dem interessanten Inhalt. Danach durfte der Hund wählen – die Tiere taten dies, indem sie mit der Schnauze oder Pfote den Becher ihrer Wahl berührten. War’s der Richtige, gab es die Belohnung, beim falschen Becher ging der Hund leer aus. Um sicherzugehen, dass sich die Hunde nicht von ihrer feinen Nase leiten ließen, gab es in einem Kontrollversuch überhaupt keine referentiellen Hinweise auf den richtigen Becher. „Wählte das Tier dabei mal richtig und mal falsch, war klar, dass es das Futter nicht riechen konnte“, erklärt Juliane Bräuer die Probe aufs Exempel.
Schon bei diesem Test zeigte sich, dass Brian Hare mit seiner Behauptung nicht zu viel versprochen hatte: Die Hunde entschieden sich bevorzugt für den Becher, auf den zuvor der Mensch gezeigt hatte – die stille Botschaft war offenbar angekommen. „Im Jahr 1998 erschien dann Hares Veröffentlichung über Hundekognition“, erzählt die 33-jährige Biologin Bräuer. Sie selbst ist seit 1999 am Max-Planck-Institut und schrieb dort 2002 ihre Diplomarbeit. Zur selben Zeit widmete sich damals in Budapest ebenfalls eine Gruppe von Forschern der Frage, welche menschlichen Hinweise Hunde nutzen können.
Vom Mängelexemplar zum Klassenprimus
Die Wissenschaftsgemeinde nahm die Studien in Leipzig und Budapest zunächst eher zurückhaltend auf. „Für Hunde interessierte sich einfach kaum jemand. Man hielt sie für ungeeignet, weil sie in einer unnatürlichen Umgebung leben, und die Ergebnisse solcher Versuche deshalb nicht ihre wahre Natur widerspiegeln würden“, so erklärt Bräuer, weshalb Hunde in den blinden Fleck der Forschung gerückt waren.
Zudem sei der Hund lange Zeit als „unvollständiger“ Wolf abgewertet worden, da er viele Fähigkeiten seiner in Freiheit lebenden Vorfahren nicht mehr besitzt. So sind etwa sein Geruchs- und Hörvermögen deutlich schlechter als die seiner sich selbst versorgenden wilden Verwandtschaft. Doch schon bei den ersten Verhaltensstudien in Leipzig überraschte der vermeintlich durch Domestizierung Degenerierte mit seinen kognitiven und sozialen Fähigkeiten und erwies sich bei vielen vergleichenden Studien als neuer Primus gegenüber den Primaten im Pongoland.
Doch woher kann ein Hund das? Hat er durch das nahe Zusammenleben mit dem Menschen die Zeichen als „Fremdsprache“ schon im Welpenalter erlernt? Oder ist dieses Vermögen etwa angeboren? Um das herauszufinden, führten die Doktorandin Julia Riedel und Kollegen den Objektwahltest mit jungen Hunden im Alter von sechs bis 16 Wochen durch. Um auszuschließen, dass die Welpen einfach bei dem Becher ihr Glück versuchten, der der Hand des Zeichengebers am nächsten stand – Hände sind für Hunde erfahrungsgemäß immer hochinteressant –, wurde als zusätzliche Bedingung für diesen Test eingeführt, dass sich die Welpen von der Hand wegbewegen mussten, um zu den Bechern zu kommen.
„Welpen aller Altersstufen nutzten die Zeigegeste als Hinweis auf das Futterversteck gleich gut und wählten den richtigen Becher aus“, fasst Riedel das Resultat zusammen. Dieses Ergebnis sei ein Hinweis darauf, dass die Fähigkeit, kommunikativen Gesten des Menschen zu folgen, von Hunden nicht erlernt werden müsse, sondern angeboren sei. „Das wiederum lässt den Schluss zu, dass bei ihrer Entstehung die jahrtausendelange Domestikation eine entscheidende Rolle gespielt hat.“ Dafür spreche auch die Erfahrung aus Studien mit von Hand aufgezogenen Wölfen, die – obschon ebenfalls an den Menschen und seine Ausdrucksformen gewöhnt – keine Fingerzeige verstehen.
Wie gut Hunde tatsächlich wissen, was andere sehen können und was nicht, zeigte sich in einer weiteren Studie, die Bräuer gemeinsam mit ihrer Kollegin Juliane Kaminski ausklügelte. Die Idee dazu hatte dabei Bräuers Hündin Mora geliefert. Mora hatte bei einem Spaziergang ein altes Wurstbrot entdeckt, das jemand achtlos weggeworfen hatte, und dieses als willkommene Ergänzung des Speiseplans betrachtet. Auf das Kommando „Aus“ ließ sie zwar brav die Beute fallen, wofür sie auch gelobt wurde. Doch kaum hatte sich Bräuer umgedreht, schnappte sich Mora sofort wieder das Brot und verschlang es schnell hinter dem Rücken ihrer Besitzerin.
„Die interessantesten Versuche sind immer die, die einen direkten Bezug zur Lebensweise des getesteten Tieres haben“, meint die Max-Planck-Forscherin. Was sie mit ihrer Hündin im Park erlebte, ist eine Bilderbuchszene aus dem ganz gewöhnlichen Hundealltag, wie wohl die meisten Hundehalter bestätigen können: Hund darf nicht aufs Sofa oder Bett und sitzt sofort darauf, sobald er sich unbeobachtet fühlt; Hund soll im Korb bleiben und ist sofort draußen, sobald sein Mensch den Raum verlassen hat; Hund darf nichts vom Tisch klauen, doch sobald er allein im Zimmer ist, gehört die Schokolade ihm.
Bravsein ist immer eine Frage des Blickwinkels
Der Versuchsaufbau für die Studie im Hundebungalow, mit dem Bräuer und Kaminski herausfinden wollten, ob Hunde wissen, was andere sehen können, war vergleichsweise einfach: Zu Beginn des Durchgangs wurde dem Hund ein Leckerli vor die Füße gelegt. Der Mensch verbot dem Hund das Fressen mit dem üblichen Kommando. Anschließend variierten die Menschen ihr Verhalten: Einmal drehte sich der Mensch einfach nur weg; dann verließ er ganz den Raum; und einmal saß er auf einem Stuhl und beschäftigte sich mit einem Gameboy-Spiel. „In jedem Fall war seine Aufmerksamkeit nicht auf den Hund gerichtet“, beschreibt Kaminski die wichtigste Bedingung in dieser Studie. Nur in der Kontrollbedingung schaute der Mensch den Hund an. Jeder Durchgang dauerte exakt drei Minuten.
„Zugegeben, das war kein besonders angenehmer Test für einen gut erzogenen Hund“, räumt Bräuer ein, „aber schließlich konnte er sich in der richtigen Situation über das Verbot hinwegsetzen. Genauso wie es mein Hund damals im Park getan hat.“ Tatsächlich verhielten sich Moras Artgenossen genauso. Statt also brav dazusitzen und den bloßen Ausblick auf das Leckerli zu genießen, klauten sie das Futter fast immer, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, und so gut wie nie, wenn der Mensch sie ansah.
„Aus diesen Versuchen können wir schließen, dass Hunde offensichtlich auseinanderhalten können, ob ein Mensch sie ansieht oder nicht, und dass sie sich entsprechend unterschiedlich verhalten“, sagt Juliane Bräuer. Besonders interessant sei aber, dass sie sogar zwischen offenen und geschlossenen Augen unterscheiden können – eine bemerkenswerte Fähigkeit.
Doch allein diese Ergebnisse wollten die beiden Forscherinnen noch nicht als Beweis dafür werten, dass Hunde in solchen Situationen tatsächlich verstehen, was ein Mensch sehen kann oder nicht. Schließlich könnte es ja auch sein, dass die Hunde einfach nur auf die Augen ihres Partners reagierten, weil sie gelernt haben, dass er immer dann aufmerksam ist, wenn seine Augen zu sehen sind. Um herauszufinden, ob Hunde nun diesen kognitiven Perspektivwechsel hinbekommen oder nicht, setzten die beiden Forscherinnen eine weitere Versuchsreihe an. Diesmal als Spielsituation mit zwei Spielzeugen, die sie auf den Boden zwischen Mensch und Hund platzierten. Vor jedes Spielzeug stellten sie je eine Barriere: eine undurchsichtige, die dem Menschen den Blick auf das Spielzeug versperrte; die andere war transparent, sodass er den Gegenstand sehen konnte. Für den Hund, der auf der anderen Seite saß, waren beide Objekte gleichermaßen sichtbar.
Rekordwortschatz mit über 200 Wörtern
Nun forderte der Mensch den Hund mit dem Kommando „Bring’s“ auf, ihm eines der Spielzeuge zu apportieren – allerdings ohne dieses genauer zu bezeichnen. Wenn die Hunde etwas über die Perspektive des Menschen verstehen und darüber, was er sehen kann, sollten sie das Spielzeug hinter der durchsichtigen Barriere bevorzugen. Denn nur dieses ist in seinem Sichtfeld, und demnach kann sich sein Befehl nur darauf beziehen. Wenn der Hund jedoch nur auf den Stimulus Auge reagiert, dürfte er keines der beiden Spielzeuge bevorzugen und sie gleich oft apportieren, weil er die Augen seines menschlichen Spielpartners in Verbindung mit beiden Spielzeugen wahrnimmt.
Tatsächlich entschieden sich die Hunde häufiger für den Gegenstand, der sich vor der transparenten Barriere befand. Nun kann es aber sein, dass der Hund einfach die durchsichtige Barriere bevorzugte – etwa, weil das Spielzeug da heller aussah oder weil er so den Menschen besser im Blick hatte, während er es apportierte. Deshalb wurden zwei weitere Kontrollrunden eingeführt, bei denen der Hund keine Präferenzen für eines der Spielzeuge zeigen sollte.
In der einen Runde sah der Mensch beide Objekte, weil er auf der Seite des Hundes saß; in der anderen konnte er keines sehen, weil er mit dem Rücken zum Spielgeschehen saß. Die Hunde zeigten zwar eine gewisse Vorliebe für die durchsichtige Barriere, wenn der Mensch ihnen abgewandt war, jedoch war ihre Präferenz am größten, wenn der Mensch ihnen gegenüber saß und wirklich nur das Spielzeug hinter der transparenten Barriere sah. „Dieses Ergebnis könnte bedeuten, dass Hunde tatsächlich ein gewisses Verständnis dafür haben, was der Mensch sehen kann“, sagt Juliane Kaminski.
Ob sich Hunde damit als optimaler Partner für das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ empfehlen, mag dahingestellt sein, doch die Grundausstattung dafür bringen sie auf jeden Fall mit. Selbst über die Affenforschung auf den Hund gekommen, ist Bräuer seit zwei Jahren wissenschaftliche Betreuerin der Hundeforschung und koordiniert mit Susanne Mauritz die laufenden Projekte. Mauritz sorgt mit Aufrufen in den Medien dafür, dass interessierte Hundebesitzer sich für die beobachtenden Studien anmelden können. „Die Leute kommen gern, weil sie neugierig sind, was ihr Hund eigentlich alles kann, und weil sie wissen, dass ihr Hund bei uns gut betreut und geistig gefordert wird“, erzählt Mauritz.
Was Hunde über den Menschen verraten
Im Lauf der Jahre haben die beiden Forscherinnen besonders talentierte Hunde kennengelernt. Diese sind nicht nur sehr gut im Interpretieren von menschlichen Gesten und Blicken, sondern verfügen auch über einen frappierenden passiven Wortschatz. „Manche sind in der Lage, mehrere hundert Objekte anhand ihres Namens zu unterscheiden“, so Kaminski. Ungeschlagener Meister dieser Disziplin war Rico, ein neunjähriger Border Collie. Er konnte mehr als 200 verschiedene Spielzeuge anhand ihres Namens erkennen und zuordnen.
In einer Studie untersuchten Kaminski und ihre Kollegen, ob Rico Namen für neue Spielzeuge über ein Ausschlussverfahren lernen könne. Dazu verteilten sie neue und bekannte Spielzeuge in einem Raum, während der Border Collie mit seiner Besitzerin im Nebenraum wartete. Nun wurde er aufgefordert, ein Spielzeug zu bringen, dessen Namen er noch nie gehört hatte und das er auch noch nicht kannte. Tatsächlich löste Rico auch diese Aufgabe auf Anhieb und wedelte damit ganz nebenbei eine weitere Alleinstellungstheorie vom Tisch. Denn auch diese Art, Begriffe zu lernen – das fast-mapping –, galt bis dato als exklusive Fähigkeit des Menschen.
Wie weitere Versuche zeigten, war Rico zwar ein sprachliches Supertalent, aber durchaus nicht der einzige Hund mit dieser Begabung. Auch andere Vertreter seiner Art kamen beinahe an seinen Wortschatz heran. Dass die besten Ergebnisse dabei von anderen Border Collies erzielt wurden, gibt den Forscherinnen zu denken. Ob diese besonders talentierten Hunde alle der Rasse der Border Collies angehören, ist eine spannende, jedoch noch offene Frage, sagt Susanne Mauritz. „Allerdings vermeiden wir den Begriff der Intelligenz, wenn wir über unsere Studien reden.“
Vielmehr geht es darum, herauszufinden, was eine Tierart an besonderen kognitiven Fähigkeiten mitbringt, die sie für ihr Überleben braucht. Und damit handelt es sich vor allem um Fragen der Spezialisierung und evolutionären Anpassung. Zum Beispiel zeigten in den Studien zur Mensch-Hund-Kommunikation die Hunde zwar meist bessere Resultate als andere Tierarten, taten sich aber dagegen vergleichsweise schwer bei Versuchen, bei denen soziales Lernen durch Nachahmung oder das Lösen von Problemen durch das Verständnis kausaler Zusammenhänge gefragt waren.
Gerade bei letzteren Versuchen schnitten die Menschenaffen wiederum sehr gut ab. Als die Forscher den Becher mit der Belohnung schüttelten, war den Affen sofort klar, dass da was drin sein musste. Dagegen konnten die Hunde nicht von dem Geräusch auf den Inhalt schließen. „Diese Ergebnisse lassen sich einfach erklären. Sie verdeutlichen, in welcher Umwelt die beiden Arten überleben müssen“, erklärt Juliane Bräuer. Wegen der in einer Affengruppe herrschenden großen Futterkonkurrenz würde es einem Affen nicht im Traum einfallen, einem anderen eine Futterquelle zu zeigen. Dagegen ist kausales Verständnis bei der Nahrungssuche im Urwald hilfreich. So können die Tiere durch Schütteln herausfinden, ob es sich lohnt, die Nuss zu knacken.
Hunde müssen sich wiederum um Nahrungssuche und ähnliche Probleme nicht kümmern. Sie leben mit dem Menschen zusammen und bekommen von ihm, was sie brauchen. Dazu ist es aber von Vorteil, sich möglichst gut mit ihm zu verstehen. Auf diese Weise haben sich Hunde in den vergangenen 15000 Jahren zu echten Kommunikationsprofis entwickelt.
Besonders interessieren sich die Leipziger Forscher jedoch für jene kognitiven Begabungen von Hunden, die man sonst nur beim Menschen findet – wie etwa das Verständnis von Zeigegesten. „Vielleicht können uns diese besonderen Fähigkeiten der Hunde sogar Auskunft über unsere eigene Entwicklung geben“, hofft Bräuer. „Etwa darüber, was bei uns Menschen die natürliche Selektion beeinflusst haben könnte. Wir haben höchstwahrscheinlich die freundlichen aufmerksamen Hunde gefördert, die mit uns Kontakt aufnahmen. Vielleicht haben sich auch bei der Entwicklung des Menschen die freundlichen Individuen durchgesetzt und somit die beim Menschen sehr ausgeprägte Kooperationsbereitschaft hervorgebracht.“
Noch sei es reine Spekulation, ob sich aus den Fähigkeiten der Hunde solche Schlussfolgerungen ziehen lassen. Vielleicht aber tragen die Arbeiten der Max-Planck-Wissenschaftler tatsächlich dazu bei, auch etwas über uns zu erfahren.
GLOSSAR
Kognition
Kognition bedeutet Erkenntnisvermögen. Sie bezeichnet mentale Prozesse eines Individuums wie Gedanken, Meinungen, Wünsche und Absichten, aber auch informationsverarbeitende Vorgänge wie Problemlösen und Sprache. Diese Vor-gänge befähigen ein Individuum etwa dazu, sein Verhalten flexibel anzupassen und aus der Auseinandersetzung mit der Umwelt zu lernen.
Ontogenese
Der Begriff beschreibt die Entwicklung des Individuums und seine Eigenschaften im biologischen und psychologischen Sinn. Er beschränkt sich jedoch nur auf die Entwicklung des einzelnen Individuums im Unterschied zur Phylogenese, die die Entstehung und Entwicklung einer Art bezeichnet.
Pongoland
Das Wolfgang-Köhler-Primaten-Forschungszentrum („Pongoland“) ist ein Projekt des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und in den Leipziger Zoo integriert. Die Forschung konzentriert sich in erster Linie auf Verhalten und Wahrnehmungsfähigkeit der vier Menschenaffenarten Schimpanse, Gorilla, Orang-Utan und Bonobo. Die Zoobesucher haben die Möglichkeit, die Tiere nicht nur in den Außen- und Innengehegen zu beobachten, sondern können außerdem einen Blick auf die Arbeit der Wissenschaftler werfen.