Warum Fische beim Schwimmen nicht abdriften
Neu entdeckte Nervenzelltypen im Gehirn der Tiere helfen, Eigenbewegungen zu verrechnen
Mit unseren Augen können wir nicht nur Objekte erkennen. Sie informieren uns auch kontinuierlich ĂŒber unsere eigenen Bewegungen. Ob wir laufen, uns drehen, fallen oder in einem Fahrzeug sitzen â die Welt gleitet an uns vorbei und hinterlĂ€sst eine charakteristische Bewegungsspur auf der Netzhaut. Aus diesem "optischen Fluss" berechnet das Gehirn scheinbar mĂŒhelos die eigenen Bewegungen, um sie gegebenenfalls zu kompensieren. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut fĂŒr Neurobiologie in Martinsried bei MĂŒnchen beschreiben nun gemeinsam mit Biologen der UniversitĂ€t Freiburg eine ganze Reihe neuer Nervenzelltypen, mit deren Hilfe das Gehirn von Zebrafischen Eigenbewegungen wahrnehmen und ausgleichen kann.

Wenn wir durch den Wald joggen, bewegt sich das Bild der BĂ€ume scheinbar rĂŒckwĂ€rts ĂŒber unsere Netzhaut. Dies geschieht fĂŒr beide Augen in die gleiche Richtung. Drehen wir uns dagegen um die eigene Achse, dann rotieren die BĂ€ume scheinbar um uns herum. FĂŒr das eine Auge erfolgt diese Rotation von auĂen nach innen, fĂŒr das andere Auge von innen nach auĂen. Unser Gehirn verarbeitet solche groĂflĂ€chigen Bewegungen der visuellen Umwelt, den "optischen Fluss", sodass wir zum Beispiel beim Joggen unsere Geschwindigkeit richtig einschĂ€tzen und nicht andauernd stolpern.
NatĂŒrlich kann nicht nur das menschliche Gehirn den optischen Fluss wahrnehmen. Fische, die in flieĂendem GewĂ€sser zuhause sind, nutzen die FĂ€higkeit zum Beispiel, um ihr Abdriften in der Strömung zu verhindern. Basierend auf dem optischen Fluss korrigiert der Fisch seine passive Verschiebung durch eigenes Schwimmen. Wie und wo das Fischgehirn diese Berechnungen durchfĂŒhrt, das war bislang unbekannt.
Ein transparentes Gehirn im Einsatz
âWir wollten wissen, wo und von welchen Nervenzellen die Ausgleichsbewegungen ausgelöst werdenâ, erklĂ€rt Herwig Baier. Zusammen mit seiner Abteilung am Max-Planck-Institut fĂŒr Neurobiologie sucht und beschreibt er im Gehirn von Zebrafisch-Larven die Nervennetzwerke, die bestimmte Verhaltensweisen steuern. Keine leichte Aufgabe, denn das Gehirn der rund fĂŒnf Millimeter groĂen Fischlarven ist zwar winzig, besteht aber aus mehreren hunderttausend Nervenzellen. Ein Vorteil ist jedoch, dass das Gehirn der Fischlarven beinahe durchsichtig ist. So können Nervenzellen ohne Eingriff direkt unter dem Mikroskop beobachtet werden.
FĂŒr ihre Untersuchungen setzten die Wissenschaftler die Fischlaven in runde, weiĂe Container, auf deren WĂ€nden sich schwarze Streifenmuster bewegten. Je nach Bewegungsmuster reagieren die Tiere unterschiedlich: Bewegen sich die Streifen fĂŒr beiden Augen nach vorne oder hinten, dann schwimmt der Fisch nach vorne oder versucht umzudrehen. Werden die Streifen jedoch entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn um den Fisch herumbewegt, dann drehen sich die beiden Augen mit der wahrgenommenen Rotationsrichtung. Die Ausgleichsbewegungen des ganzen Körpers (optomotorisches Verhalten) oder nur der Augen (optokinetisches Verhalten) sollen das Bewegungssignal auf der Netzhaut so klein wie möglich machen â der Fisch hĂ€lt seine Position.
Leuchtende Nervenzellen im "IMAX-Kino"
Die Neurobiologen wollten nun die Nervenzellen im Gehirn eines aktiven Fisches finden, die Eigenbewegung verarbeiten und diese optomotorischen und optokinetischen Ausgleichsbewegungen auslösen. âDas war wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen zu findenâ, erzĂ€hlt Fumi Kubo, die Erstautorin der Studie. âSo etwas war noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar.â FĂŒr ihre Studie zog Fumi Kubo in Kollaboration mit Aristides Arrenberg vom Institut fĂŒr Biologie I der UniversitĂ€t Freiburg und Wissenschaftlern vom Freiburger Exzellenzcluster BIOSS Centre for Biological Signalling Studies daher eine ganz neue wissenschaftliche Methode heran: die Abbildung des gesamten Gehirns. Dank neuester Fluoreszenzfarbstoffe und genetischer Finessen ist es seit Kurzem möglich, die Umrisse aller Nervenzellen in einem Fischgehirn sichtbar zu machen. Das Besondere ist jedoch, dass die Farbstoffe ihre Farbe Ă€ndern, wenn eine Nervenzelle aktiv wird.
WÀhrend des Versuchs wurde der Kopf der Fische mit dem gefÀrbten Nervensystem in ein Gel eingebettet. Die bewegten Streifenmuster auf den WÀnden des Containers gaukelten den Tieren, Àhnlich wie in einem IMAX-Kino, eine Eigenbewegung vor. Je nachdem, ob sich die Tiere scheinbar geradeaus oder um eine bestimmte Achse drehten, verfolgten sie die Muster mit den Augen oder schlugen mit dem Schwanz. Durch ein Zwei-Photonen-Mikroskop konnten die Wissenschaftler wÀhrenddessen beobachteten, welche Nervenzellen auf die Bewegungsrichtung des jeweils gesehenen Musters reagierten.
Nervenzellschaltplan im Fischgehirn
Bisher waren vier richtungsselektive Zelltypen in der Netzhaut bekannt. Wissenschaftler gingen bisher davon aus, dass diese Zelltypen und die nachgeschalteten Nervenzellen im visuellen Gehirn die Augenbewegungen verarbeiten und die Befehle zum Halten der Position des Fisches weitergeben. Jetzt konnten die Neurobiologen in der Tat solche, vergleichsweise einfachen Nervenverbindungen nachweisen. ZusĂ€tzlich fanden sie jedoch sieben weitere, bislang unbekannte Zelltypen mit komplexeren Antworten auf die EingĂ€nge beider Augen. Ein Zelltyp wurde zum Beispiel aktiv, wenn beide Augen eine Geradeausbewegung wahrnahmen, aber nicht eine Drehung rechtsherum. Ein interessantes Ergebnis, denn in beiden FĂ€llen sollte das linke Auge eine Bewegung von auĂen nach innen sehen. âWir haben somit nicht nur neue Zelltypen gefunden, sondern auch eine mögliche ErklĂ€rung dafĂŒr, wie das Gehirn der Fische zwischen geraden und gedrehten Bewegungen unterscheidetâ, freut sich Fumi Kubo.
WĂ€hrend die Fische wieder frei in ihren Becken schwammen, erstellten die Wissenschaftler aus den erfassten Aufgaben der neuen Nervenzelltypen und ihrer Lage im Gehirn einen Verbindungsschaltplan der Zellen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, die Verarbeitung von Bewegungen im Wirbeltiergehirn besser zu verstehen. Fumi Kubo denkt jedoch bereits an den nĂ€chsten Schritt: âDie nĂ€chste Herausforderung wird nun sein, die angenommenen Verbindungen im Gehirn nachzuweisen.â
SM