Schweifstern in der Dämmerung

Wenn Komet ISON die enge Sonnenpassage am 28. November übersteht, sollte er als helles Objekt am Morgenhimmel auftauchen

Bald nach seiner Entdeckung im Spätsommer vergangenen Jahres jubelten die Medien ISON zum Jahrtausend-Komet hoch. Zum Zeitpunkt der größten Sonnennähe am 28. November 2013 sollte er gar so hell glänzen wie der Vollmond. Auch wenn die Prognosen mittlerweile davon abgerückt sind: ISON könnte Anfang Dezember eine recht passable Lightshow ans Firmament zaubern.

Text: Helmut Hornung

Zunächst war da nur ein schwaches Lichtpünktchen, das die beiden Amateurastronomen Witalij Newskij aus Weißrussland und Artjom Nowitschonok aus Russland sahen. Es bildete sich auf einer Aufnahme ab, die sie mit einem 40-Zentimeter-Telekop des International Scientific Optical Network am 21. September 2012 angefertigt hatten. Dieses ISON genannte Verbundnetz wird von der Russischen Akademie der Wissenschaften betrieben, besteht aus Observatorien in zehn Ländern und soll neue Himmelsobjekte aufspüren. Das Lichtpünktchen vom 21. September entpuppte sich nicht als Asteroid, wie anfangs vermutet, sondern als Komet. Er erhielt schließlich die offizielle Bezeichnung C/2012 S1 (ISON).

Als ISON aufgespürt wurde, war er etwa eine Milliarde Kilometer von der Sonne entfernt, also jenseits der Bahn des Planeten Jupiter. Aus mehreren Positionen des Kometen berechneten die Astronomen seine Bahn. Dabei zeigte sich, dass ISON auf einer Hyperbel läuft, folglich aus den Tiefen des Weltraums ins Innere des Planetensystems katapultiert wurde und vielleicht sogar erstmals die Sonne umrundet.

Die Tatsache, dass ISON möglicherweise ein „Frischling“ ist, sollte letztlich Auswirkungen auf seine Form und Helligkeit haben, denn auf dem Kern sollten große Mengen unverbrauchten Materials lagern, das dann in Sonnennähe ausgast und entsprechend viel Licht reflektiert. Eine Besonderheit dieses Schweifsterns ist auf jeden Fall die geringe Distanz zum Tagesgestirn.

Denn am 28. November wird ISON in einer Entfernung von nur 1,8 Millionen Kilometern am Zentrum der Sonne vorbeirasen. Da diese einen Radius von knapp 700000 Kilometern besitzt, heißt das: Der Komet wird die brodelnde Oberfläche des Sterns in gut einer Million Kilometer Abstand passieren. Dabei ist sein Kern aus Eis und Gestein – die Forscher schätzen den Durchmesser zwischen zwei und fünf Kilometer – gigantischen Gezeitenkräften und höllischer Hitze ausgesetzt.

Auf diesen „Stresstest“ sollte der Komet ISON mit großer Aktivität reagieren, sollte sich die Oberfläche seines Kerns erwärmen und sollte eisiges Material sublimieren (vom festen sofort in den gasförmigen Zustand übergehen), in gewaltigen Fontänen ins All schießen und jede Menge Staub mitreißen. Das hätte, wie gesagt, Auswirkungen auf die Leuchtkraft. Über die rätseln die Astronomen derzeit ebenso wie über die Frage, ob ISON das feurige Rendezvous mit der Sonne überhaupt übersteht.

Noch vor einem Jahr hatten optimistische Prognosen am Tag des Perihels, also der größten Sonnenannäherung, eine Helligkeit vergleichbar der des Vollmonds angenommen. Derzeit gehen die Fachleute eher von der Strahlkraft der Venus aus, die in diesen Wochen als Abendstern am südwestlichen Firmament glänzt. Allerdings steht ISON am 28. November dicht neben der Sonne am Taghimmel – von der scheinbaren Leuchtkraft, wie stark sie auch immer sein mag, wird nicht viel zu sehen sein. Aber Laien werden den Kometen dann ohnehin nicht beobachten können.

Mitte August fotografierten erstmals versierte Amateurastronomen ISON in der Morgendämmerung. Um den 20. Oktober herum lief er im Sternbild Löwe dicht am Planeten Mars vorüber, neben dem er schon eine Weile herzog. Derzeit steht er, mittlerweile mit deutlich ausgeprägtem Schweif, in der Jungfrau. Der Komet erscheint jetzt bereits im lichtstarken Fernglas und sollte ab der Monatsmitte für das bloße Auge sichtbar werden. Rasch läuft er jetzt in Richtung Sonne. Am frühen Morgen des 24. und 25. Novembers begegnet ISON dem Kometen 2P/Encke, beide trennt am Himmel ein Abstand von lediglich drei Vollmonddurchmessern.

Die Beobachtung wird schwierig werden, denn das Firmament ist durch die Morgendämmerung aufgehellt. Dazu kommt der Vollmond, dessen Licht erheblich stört, weil es die Szenerie überstrahlen wird. Die Tage um das Perihel bleiben beobachtungstechnisch Fachleuten und Satelliten-Observatorien wie STEREO vorbehalten.

Falls ISON heil aus der Perihelpassage am 28. November herauskommt, zieht er steil nach Norden und ist vor Sonnenaufgang am Morgenhimmel dicht über dem Osthorizont zu sehen. Täglich vergrößert sich jetzt sein Abstand zur Sonne, sein Schweif sollte maximale Größe erreichen und über den Horizont ragen, noch ehe der Kometenkopf erscheint. Vom 1. bis zum 6. Dezember kann man gegen 7 Uhr morgens nach ISON Ausschau halten.

Ab Mitte Dezember zeigt sich der Komet auch am Abendhimmel nach Sonnenuntergang tief im Westen. Allerdings verläuft der Schweif sehr flach, nahezu parallel zum Horizont. Außerdem geht die Helligkeit nun immer weiter zurück. Einen eindrucksvollen Weihnachtsstern wird es vermutlich nicht geben, um Heiligabend wird ISON wohl erneut zum Fernglasobjekt – und das, obwohl der Komet am 27. Dezember seinen geringsten Abstand zur Erde erreicht und in 64 Millionen Kilometern an ihr vorbeirauscht. Pünktlich zum Jahresende ist der Auftritt des geschweiften Vagabunden aus dem All mehr oder weniger Geschichte.

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