Katalyseforschung
"Katalyse" beschreibt ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das chemische Reaktionen in einer Vielzahl von Anwendungsbereichen zu optimieren versucht. Die Erkenntnisse brachten große Fortschritte im Energiesektor, in der Landwirtschaft, Materialforschung, Medizin sowie beim Umweltschutz. Innovationen in der Spektroskopie, beim computergestützten Design und bei der gerichteten Evolution von Enzymen werden Chemikern zu immer wirksameren Katalysatoren verhelfen.
Die unerschöpfliche Kraft des Sonnenlichts bildet die wichtigste Energiequelle unseres Planeten. Sie steht nicht nur am Anfang aller Nahrungsketten, sondern hat im Lauf von Jahrmillionen auch sämtliche Treibstoffe auf Kohlenstoffbasis hervorgebracht. Denn ohne Sonnenlicht gäbe es keine Photosynthese – jenen biochemischen Prozess in Pflanzen, der zum Aufbau organischer Materie führt. Eine entscheidende Rolle bei der Photosynthese aber spielt die Katalyse.
Katalysatoren beschleunigen chemische Reaktionen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Traditionell unterscheidet man zwei Arten katalytischer Prozesse: homogene, bei denen der Katalysator in derselben Phase – gasförmig, flüssig oder fest – vorliegt wie die miteinander reagierenden Stoffe, sowie heterogene, wenn dies nicht der Fall ist. Viele natürliche Katalyseprozesse sind homogen. So beschleunigen gasförmige Chlorradikale die Zersetzung von Ozon in der Stratosphäre. Heterogene Vorgänge, bei denen etwa ein metallischer Feststoff mit Gasen wechselwirkt, dienen hingegen unter anderem zur Produktion von Düngemitteln oder zur Abgasreinigung.
War Katalyseforschung früher auf das Prinzip von Versuch und Irrtum angewiesen, so ermöglichen es ausgefeilte Analyseinstrumente und leistungsfähige Rechnersysteme heute, die Wirkungsweise eines Katalysators unter realen Bedingungen zu simulieren und so im Detail zu verstehen. Die Grenzen zwischen homogenen, heterogenen sowie Biokatalysatoren verwischen dabei immer mehr. Gleichwohl lassen sich nur wenige katalytische Systeme bis hinunter auf das Molekülniveau exakt beschreiben. Insbesondere Reaktionsgeschwindigkeiten sind schwer theoretisch vorherzusagen; schon kleinste Unterschiede in den Geschwindigkeiten konkurrierender Prozesse entscheiden darüber, ob eine Folge chemischer Reaktionen das gewünschte Produkt liefert. Zudem verstehen wir immer noch nicht genau, welche Rolle etwa Lösungsmittelmoleküle bei Katalysen in homogener flüssiger Phase spielen. Auch über die dynamischen Eigenschaften der Katalysatoren selbst ist bislang noch zu wenig bekannt.
Biologie als Inspiration
Computergestützte Verfahren, mit denen sich Struktur und Eigenschaften von Molekülen auf quantenmechanischer Basis berechnen lassen, können Abhilfe schaffen. Ausgeklügelte numerische Methoden erlauben die Simulation einer Fülle von Reaktionen auf unterschiedlichen Zeit- und Größenskalen. Solche Ansätze werden uns in Zukunft helfen, die Eigenschaften neuer, mutmaßlich katalytisch wirkender Substanzen vorherzusagen.
Auch neue experimentelle Methoden werden die Katalyse entscheidend voranbringen: Ultrakurzzeitlaser emittieren Lichtpulse, die kürzer dauern als eine Atombewegung. Damit lassen sich katalytische Vorgänge in Echtzeit verfolgen. Mit diesen und anderen spektroskopischen Techniken gelingt es, flüchtige Übergangszustände auf dem Weg von den Reaktionspartnern zu den Produkten zu identifizieren. Das ist bei der Suche nach effizienteren Katalysatoren von großem Nutzen. Hinzu kommt die zunehmende Automatisierung: Bei der »kombinatorischen Synthese« beispielsweise testen Laborroboter die Aktivität vieler unterschiedlicher Katalysatoren, was die Trefferquote drastisch erhöht.
Eine große Inspirationsquelle für die Katalyseforschung stellt die Biologie dar3. Die Natur reguliert biochemische Vorgänge mittels katalytischer Netzwerke, die verschiedene Reaktionspfade nach Bedarf an- oder abschalten. Technische Katalysatoren zu solch komplexen Systemen zu vereinen, ist noch immer schwierig. Eine Möglichkeit, die Natur nachzuahmen, besteht in der gerichteten Evolution von Biokatalysatoren im Reagenzglas. Durch wiederholte Zyklen von Mutation, Screening und Selektion lassen sich aus DNA-Sequenzen, die für ein Enzym kodieren, Biokatalysatoren gewinnen, die bestimmte Aufgaben wie die selektive Oxidation von Kohlenwasserstoffketten erfüllen.
Eine Alternative zu natürlichen katalytischen Systemen eröffnet das junge Gebiet der Organokatalyse. Die Rolle langer Proteinketten übernehmen dabei kleine organische Moleküle, welche die aktiven Zentren und das Netz der Wasserstoffbrücken in Enzymen nachahmen. Biokatalysatoren haben jedoch noch weitere Fähigkeiten wie das molekulare An- und Abschalten. Ob kleine organische Moleküle auch dazu im Stande sein werden, bleibt abzuwarten.
Weil gute Katalysatoren viele Reaktionszyklen überstehen müssen, enthalten sie oft stabile Edelmetalle wie Ruthenium und Gold. Die Natur aber hat höchst selektive Katalysatoren ohne Edelmetalle entwickelt. Preiswerte und technisch einsetzbare Alternativen zu den knapper werdenden Edelmetallen für die industrielle Katalyse zu finden, gehört deshalb zu den großen Herausforderungen der Forschung.
Eine zentrale Rolle bei der heterogenen Katalyse spielen Absorptions-, Aktivie-rungs- und Desorptionsvorgänge auf der Oberfläche von Metallen oder Metalloxiden. Um sie im Detail zu ergründen, bietet sich die Rastertunnelmikroskopie an. Jüngste Untersuchungen ergaben zum Beispiel, dass ein dünner Eisenoxidbelag die katalytischen Eigenschaften von Platin verstärkt (Bild 2)8,9. Solche unerwarteten Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung verbesserter Analyseinstrumente für die gezielte Entwicklung von Katalysatoren.
Was die Zukunft bringt
Heutige technische Katalysatoren sind überwiegend auf petrochemische Grundstoffe zugeschnitten. Der zunehmende Bedarf an Polymeren oder anderen Hochleistungsmaterialien wird sich nur mit neuartigen Katalysatoren decken lassen, die auf erneuerbare Rohmaterialien mit ihrem Übermaß an funktionellen Gruppen abgestimmt sind. Die sich ändernde Rohstoffbasis erfordert ebenso die Entwicklung neuer, kleiner dimensionierter Reaktoren, die dezentral in der Nähe dieser Rohstoffquellen betrieben werden können.
Bei der Arzneimittelherstellung fällt pro Kilogramm Wirkstoff mehr Abfall an als in der petrochemischen Industrie. Hier gibt es folglich noch viel Potenzial für den Einsatz von Katalysatoren. Die Herstellung eines Wirkstoffs beinhaltet dabei meist mehrere Reaktionsschritte. Solange nicht jeder davon katalytisch abläuft, ist die Synthese häufig suboptimal, was ihre Effizienz und Umweltfreundlichkeit betrifft.
Zu den Herausforderungen der kommenden Jahre gehört, dass Katalysatoren auch überaus reaktionsträge Moleküle wirksamer als bisher aktivieren sollen. Hier birgt die moderne Chemie große Chancen mit möglicherweise enormen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dazu zählen innovative Möglichkeiten, Luftstickstoff zu fixieren, Kohlendioxid aufzubrechen, Wasser zu spalten und Kohlenwasserstoffbindungen selektiv zu aktivieren. Die Katalyseforschung eröffnet somit neue Wege, Energie einzusparen, Abfälle zu reduzieren und das Nachhaltigkeitsproblem zu lösen. Die ökonomischen und ökologischen Anforderungen im 21. Jahrhundert verheißen ihr daher eine große Zukunft.
Wie klein kann ein Enzym sein, bis es seine Eigenschaften als Biokatalysator verliert? Um diese und ähnliche Fragen geht es in dem noch neuen, aber rasant wachsenden Gebiet der »Organokatalyse«. Es dürfte schon bald die etablierten Bereiche der organometallischen und heterogenen Katalyse sowie der Biokatalyse ergänzen. Wesentlich geprägt wird die Organokatalyse von den Forschern des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung (List, B. et al., Science 313, 1584, 2006).