Ein unmöglicher Planet?
Wie ein Exoplanet das Aufbäumen seines Heimatsterns überlebte
Wenn Sterne wie die Sonne das Ende ihres Lebens erreicht haben, blähen sie sich zu roten Riesensternen auf. Die Sonne etwa hätte dann einen mehr als hundert-Mal größeren Durchmesser als heute. Ob die Erde dieses Endstadium ihres Heimatsterns überleben wird, ist ungewiss. Der Planet „Halla“, der einen sonnenähnlichen Stern in der Nähe des Polarsterns umreist, hatte dagegen Glück.
Im Sternbild des Kleinen Bären findet sich ein Planet, den es eigentlich nicht geben dürfte. In viel zu geringem Abstand kreist Halla um den roten Riesenstern Baekdu. In seinem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, müsste sich Baekdu aufgebläht und dabei einen solch nahen Begleiter eigentlich „verschluckt“ haben. Andere Planeten, die ähnlich nah um einen roten Riesen kreisen, sind nicht bekannt. Ein internationales, 42-köpfiges Forschungsteam unter Leitung der Universität von Hawaii untersuchte das ungewöhnliche Paar und präsentiert nun eine Erklärung in der Fachzeitschrift Nature, die seine Existenz rechtfertigen soll. Dem zu Grunde liegen Berechnungen, zu denen auch ein Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen beigetragen hat. Am wahrscheinlichsten scheint, dass Baekdu als Teil eines Doppelsternsystems geboren wurde, sich dadurch nie so stark aufblähte wie es für einen Einzelstern seiner Klasse der Fall wäre und Halla so nie in Gefahr war.
Der Exoplanet war bei seiner Entdeckung vor acht Jahren durch ein südkoreanisches Forscherteam zunächst nicht aufgefallen. Die damaligen Messungen am Bohyunsan Optical Astronomy Observatory erlaubten nicht, die Masse oder den Entwicklungszustand des Sterns zu bestimmen. Ohne von seinem fortgeschrittenen Stadium als roter Riese zu wissen, überraschte die enge Umlaufbahn Hallas also nicht. Erst als das Weltraumteleskop Tess (Transiting Survey Satellite) der amerikanischen Weltraumagentur Nasa zwischen 2019 und 2022 genauer hinsah, wurde es möglich, weitere Eigenschaften des Sterns und seines Begleiters zu bestimmen. Tess zeichnet routinemäßig Messdaten tausender Sterne auf. Aus ihren charakteristischen Helligkeitsschwankungen, die von stellaren Schwingungen hervorgerufen werden, lassen sich mit Mitteln der Asteroseismologie ihr Alter, ihre Masse und ihr Entwicklungszustand berechnen. Zur Unterstützung, richteten auch das W.-M.-Keck-Observatorium und das Canada-France-Hawaii-Teleskop auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Kea ihren Blick auf den Sonderling.
Ein ungewöhnliches Paar
Die Auswertung aller Daten zeichne das Bild eines ungewöhnlichen Sternensystems. Der Stern Baekdu, der im Sternbild Kleiner Bär zu den lichtschwächeren Objekten zählt und anders als der am Himmel nahe gelegene Polarstern nicht mit bloßem Auge auszumachen ist, dürfte etwa 1,5-mal so schwer sein wie die Sonne und das Stadium eines roten Riesen erreicht haben. Ein Stern, der ähnlich massereich ist wie die Sonne und am Ende seiner Lebenszeit das Stadium eines roten Riesen erreicht, vollzieht eine spektakuläre Verwandlung. Die Fusion von Wasserstoffatomen in seinem Kern kommt zum Erliegen und der Stern sackt zunächst in sich selbst zusammen. Durch den gewaltigen Druck und die Hitze, die so im Kern entstehen, setzt die Heliumfusion ein. Der Stern bläht sich auf das bis zu Hundertfache seiner ursprünglichen Größe auf, bevor er wieder ein wenig zusammenschrumpft. Im Fall des Sterns Baekdu beschreiben die Daten einen Stern, der zum Höhepunkt seiner Ausdehnung einen Radius von etwas mehr als hundert Millionen Kilometern erreicht haben muss. Sein planetarer Begleiter Halla ist etwa eineinhalbmal so schwer wie der Jupiter. Auf einer nahezu kreisförmigen Bahn wandert er heute in einem Abstand von etwa 75 Millionen Kilometern um diesen Stern – eigentlich eine Unmöglichkeit. Auch die Erde könnte dieses Schicksal in ferner Zukunft ereilen.
„Natürlich wollten wir verstehen, wie dieses merkwürdige Planetensystem entstehen konnte“, so Chen Jiang vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, der an der Studie beteiligt war. Wie konnte der Planet in solcher Nähe zu einem roten Riesen überleben? In umfangreichen Simulationen wogen die Forscherinnen und Forscher verschiedene Möglichkeiten ab. Wie sich herausstellte, ist die wahrscheinlichste Erklärung, dass es zu einer überraschenden Wendung der Ereignisse kam – und Halla nie in unmittelbarer Gefahr war, von ihrem Wirtsstern verschlungen zu werden.
Vom Doppelstern zum roten Riesen
„Wir glauben, dass Baekdu einst ein Doppelstern war“, so Jiang. „Wenn sich ein Partner eines Doppelsterns gegen Ende seiner Lebensdauer ausdehnt, können beide Sterne verschmelzen. Eine weitere Ausdehnung wird dadurch gestoppt“, fügt er hinzu. In diesem Fall hätte sich der rote Riese womöglich gar nicht bis zur Umlaufbahn seines Planeten aufgebläht. Dieses Szenario stellte das Team am Computer nach. Dabei modellierten die Forschenden nicht nur den Werdegang beider Sterne, sondern auch, wie sich dieser Prozess auf umlaufende Planeten auswirken würde. Ihre Rechnungen zeigen, dass der neue entstandene Stern Baekdu Doppelsternsystems eine deutlich geringere Größe erreicht hätte. Den Planeten Halla hätte die Verwandlung seiner Muttersterne völlig kalt gelassen; auf unveränderter Umlaufbahn würde er auch in Zukunft weiter seine Kreise ziehen.
Ebenfalls denkbar wäre, dass Halla die Verschmelzung des Doppelsterns gar nicht miterlebte, sondern durch diesen Prozess erst entstand. Bei der Vereinigung zweier Sterne können sich rotierende Scheiben aus Staub um den neuen Stern bilden. Wie im frühen Sonnensystem ballt sich dieser Staub nach und nach zu Planeten zusammen.
Weder unmöglich noch selten
Doppelsterne sind keine Seltenheit. Im Gegenteil: Die meisten Sterne sind Teil einer solchen Sternenpartnerschaft. Und auch zahlreiche Exoplaneten, die um Doppelsterne kreisen, sind bereits bekannt. „Es ist anzunehmen, dass Planeten in engem Abstand um rote Riese nicht so außergewöhnlich sind, wie gedacht“, schlussfolgert Jiang. Es ist durchaus möglich, dass künftige Weltraummissionen noch viele solcher Welten entdecken.
BK/TB