Pflanzen und Insekten bilden das gleiche chemische Molekül mit unterschiedlichen Enzymen
Katzenminze und Erbsenblattlaus produzieren Nepetalacton über diesselben chemischen Schritte, aber mit anderen Enzymen
Ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie hat herausgefunden, dass Katzenminze und Erbsenblattlaus den Wirkstoff Nepetalacton bilden. Allerdings entwickelten beide die Biosynthese dieses Iridoids unabhängig voneinander: Die einzelnen Schritte scheinen zwar identisch zu sein, aber die Enzyme, die sie katalysieren, sind unterschiedlich. Die Studie zeigt, dass Naturstoffe im Laufe der Evolution von verschiedenen Organismen unabhängig voneinander hervorgebracht wurden, in seltenen Fällen sogar von Angehörigen verschiedener Reiche von Lebewesen, in diesem Fall Pflanzen und Tieren. Erstmals gelang es Forschenden, den Biosyntheseweg eines derart komplexen Moleküls in einem Tier zu entschlüsseln.
Iridoide, eine Gruppe von Monoterpenen, werden meist als sekundäre Pflanzenstoffe bezeichnet, kommen sie doch weit verbreitet in vielen Pflanzenarten vor. Dabei geht ihr Name auf die Ameisengattung Iridomyrmex und Susbstanzen aus deren Abwehrsekret zurück. In Pflanzen ist ihre Rolle vor allem der Schutz vor Fressfeinden oder vor Krankheitserregern. In mehr als 50 Pflanzenfamilien wurden Iridoide gefunden.
In früheren Arbeiten präsentierten Sarah O’Connor und ihr Team die evolutionären Ursprünge des Iridoids Nepetalacton in der Katzenminze ( Wie aus einer Minze Katzenminze wurde). „Wir konnten zeigen, wie Katzenminze diesen komplexen Wirkstoff herstellt. Seit den 1980er Jahren ist aber bekannt, dass weibliche Blattläuse Nepetalacton ebenfalls synthetisieren und als Sexuallockstoff nutzen. Wir wollten daher herausfinden, wie Blattläuse diesen Naturstoff bilden und die Biosynthesewege in Pflanzen und Insekten vergleichen. Ein weiterer Ansporn war, dass wir an unserem Institut mit Grit Kunert eine Expertin für Blattläuse haben“, beschreibt Sarah O’Connor, die Leiterin der Abteilung Naturstoffbiosynthese, die Motivation für das Forschungsprojekt.
Naturstoffe aus Insekten – bislang wenig untersucht
Für die Bestimmung der Gene, die die Nepetalacton-Produktion in Blattlausweibchen regulieren, „ernteten“ die Forschenden Beine von Blattläusen, denn das Blattlauspheromon Nepetalacton wird ausschließlich in den Hinterbeinen von sexuellen Weibchen gebildet. Außerdem extrahierten sie RNA, die die grundlegende Information für die Proteinbiosynthese bereitstellt, aus entsprechendem Gewebe in Hinterbeinen von sexuellen und asexuellen Weibchen und Männchen, sowie in Vorderbeinen von sexuellen Weibchen. „Anschließend haben wir jede dieser RNA-Proben einer Gen-Sequenzierung unterzogen. Diese Gen-Sequenzen sahen wir uns dann genauer an, um die Gene zu identifizieren, die ausschließlich in den Hinterbeinen von sexuellen Weibchen aktiv waren. Nur eine sehr kleine Anzahl von Genen fiel in diese Kategorie, sodass es uns schnell gelang, die Gene zu bestimmen, die für die Bildung von Nepetalacton in den Blattläusen verantwortlich sind“, fasst Tobias Köllner, der Erstautor der Studie, zusammen.
Die Forschenden konnten mit diesem Ansatz die Enzyme für die Nepetalacton-Biosynthese und somit den gesamten Biosyntheseweg rekonstruieren. Überraschend war, dass zwar die Zwischenprodukte im Biosyntheseweg bei Katzenminze und Blattlaus identisch waren, dass aber die sechs identifizierten Enzyme in der Blattlaus keine Übereinstimmung mit ihren Pendants in der Katzenminze aufwiesen. „Während die pflanzlichen Enzyme für die Nepetalacton-Biosynthese alle löslich sind, sind die meisten der Insektenenzyme mit einer Membran verbunden“, meint Tobias Köllner.
Der Biosyntheseweg des Sexualpheromons Nepetalacton in der Erbsenlattlaus, der in dieser Studie entschlüsselt wird, ist einer der längsten und chemisch komplexesten Biosynthesewege für Naturstoffe aus Insekten, über den jemals berichtet wurde. Dies liegt auch daran, dass Naturstoffe aus Insekten in der Forschung bislang eher vernachlässigt wurden. „Ich denke, dass es in der Vergangenheit eine Herausforderung war, sehr kleine RNA-Mengen zu sequenzieren - wie z. B. die aus winzigen Blattlausbeinen isolierten Mengen. Mit neuen und besseren Sequenzierungstechniken sind wir nun in der Lage, hochwertige Sequenzdaten aus schwer zugänglichen Geweben zu erhalten“, sagt Sarah O’Connor.
Konvergente Evolution über die Grenzen von Pflanzen- und Tierreich hinweg
Besonders interessant ist der Vergleich der Iridoid-Biosynthesewege in Pflanzen und Insekten, den diese Studie ermöglicht. Dass unterschiedliche Lebewesen vergleichbare Lösungen unabhängig voneinander entwickelten, nennt man „konvergente Evolution“. Ein bekanntes Beispiel ist die Fähigkeit zu fliegen, die sich sowohl in Vögeln, als auch in Säugetieren (Fledermäusen) entwickelt hat. Hier berichten Forschende über die konvergente Evolution von Stoffwechselenzymen in Insekten und Pflanzen, die – obwohl unterschiedlich und unabhängig voneinander entstanden – komplexe biochemische Prozesse steuern, an deren Ende der gleiche Naturstoff steht.
Da auch viele andere Insekten Iridoide bilden, möchten die Forschenden um Tobias Köllner und Sarah O’Connor das Wissen über die Biosynthese mit der Rolle, die Iridoide in Insekten spielen, kombinieren. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen am Institut und deren entomologischem Expertise soll dazu beitragen, die biologischen, ökologischen und verhaltensbezogenen Grundlagen dieser Naturstoffe aus Insekten besser zu verstehen.