Magnetfeldumkehr in der Sonnenkorona
Die Raumsonde Solar Orbiter hat offenbar einen solaren Switchback beobachtet
Während des bisher engsten Vorbeiflugs der ESA-Raumsonde Solar Orbiter an der Sonne im Frühjahr dieses Jahres wurde der Koronograph Metis Zeuge eines kuriosen Schauspiels in der Korona: einer S-förmigen, einige hunderttausend Kilometer großen Plasmastruktur, die sich mit hoher Geschwindigkeit von der Sonne wegbewegt. Eine Gruppe, zu der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen zählen, halten dies für einen sogenannten Switchback. Das Phänomen ist seit Jahrzehnten aus Sonnenwindmessungen bekannt, wo es sich als kurzzeitige Umkehr des Magnetfeldes zeigt. Die Messdaten von Solar Orbiter und neue Modellrechnungen ermöglichen es nun erstmals, dem Ursprung des Phänomens bis hinunter in die untere Korona nachzuspüren. Wie das Team heute in der Fachzeitschrift „The Astrophysical Journal Letters“ berichtet, lösen dort Umstrukturierungen im solaren Magnetfeld die Switchbacks aus.
Das Magnetfeld der Sonne macht sich nicht nur in ihrer unmittelbaren Umgebung bemerkbar. Der Sonnenwind, der stetige Strom geladener Teilchen von der Sonne, trägt es weit in den Weltraum hinaus und erzeugt so die Heliosphäre, den magnetischen Einflussbereich der Sonne. Plötzliche, lokal auftretende Umkehrungen des Magnetfelds sind dabei offenbar keine Seltenheit. In großer Nähe zur Sonne ist das Phänomen der NASA-Raumsonde Parker Solar Probe in den vergangenen Jahren häufig begegnet. Auch die deutsch-amerikanischen Zwillingssonden Helios I und II sowie die NASA-Sonde Ulysses fingen in den 1970er- und 1990er-Jahren in deutlich größerem Abstand zur Sonne vereinzelt entsprechende Messdaten ein. Diesee Switchbacks dauern höchstens einige Stunden an, haben eine S-förmige Gestalt und gehen oftmals mit Beschleunigungen des Sonnenwinds einher. Ihr Ursprung blieb jedoch bisher weitestgehend unklar.
Die neuen Messungen von Solar Orbiter bringen neue Erkenntnisse – auch weil sich die Beobachtungen der ESA-Sonde fundamental von denen ihrer Vorgänger unterscheiden. Bei den bisherigen Begegnungen mit Switchbacks handelte es sich um In-situ-Messungen: Die Raumsonden durchflogen den Sonnenwind und zeichneten die Stärke und Richtung des Magnetfelds am eigenen Standort auf. Solar Orbiter hingegen ist auch mit Teleskopen und Kameras ausgerüstet und kann so das Phänomen in seiner Gesamtheit abbilden.
Dies gelang dem Koronograph Metis am 25. März dieses Jahres, einen Tag bevor die Raumsonde ihren bisher sonnennächsten Punkt erreichte. Weniger als 48 Millionen Kilometer trennten Solar Orbiter zu diesem Zeitpunkt von der Sonne. Der Koronograph deckt die helle Sonnenscheibe sowie die innere Atmosphäre der Sonne ab und macht so Vorgänge in der deutlich lichtschwächeren äußeren Atmosphäre sichtbar. Am MPS wurden die Kameras des Instrumentes entwickelt und gebaut.
In den jetzt veröffentlichten Aufnahmen ist eine langestreckte, S-förmig gebogene Plasmastruktur zu erkennen, die zunächst in einer Höhe von 2,6 Sonnenradien oberhalb der Sonnenoberfläche auftritt. Mit einer Geschwindigkeit von mindestens 290.000 Kilometern pro Stunde bewegt sie sich radial von der Sonne weg, wobei sich ein kleiner Teil der Struktur in entgegengesetzter Richtung auszubreiten scheint.
„Die große Stärke von Solar Orbiter ist, dass er mit Instrumenten ausgerüstet ist, die gleichzeitig in unterschiedliche Schichten der Sonne schauen können“, erklärt Luca Teriaca vom MPS, Co-Principal Investigator von Metis und Ko-Autor der aktuellen Studie. „So konnten wir den Switchback erstmals bis zu seinem Ursprung verfolgen. „Denn auch der Extreme Ultraviolet-Imager (EUI) von Solar Orbiter war am 25. März eingeschaltet. Das Instrument, zu dem das MPS eines von drei Teleskopen beigesteuert hat, fängt die extrem kurzwellige ultraviolette Strahlung aus der inneren Korona ein. Sein Sichtfeld liegt somit deutlich näher an der Oberfläche der Sonne als das von Metis.
Die EUI-Aufnahmen vom 25. März zeigen unterhalb des Switchbacks ein wahres Feuerwerk heller Plasmabögen, die sich von der Sonnenoberfläche bis in die innere Korona erstrecken. Wie auch hier treten solche koronalen Bögen häufig in Zusammenhang mit aktiven Regionen – Gebieten starker Magnetfeldstärke – auf. Das Plasma strömt dort entlang der gebogenen, geschlossenen Feldlinien des Sonnenmagnetfelds.
Um zu verstehen, wie die Beobachtungen von EUI und Metis zusammenpassen, hat das Team umfangreiche magnetohydrodynamische Modellrechnungen durchgeführt. Auf diese Weise konnten die Forscherinnen und Forscher sowohl die Architektur des solaren Magnetfelds zum Zeitpunkt des Switchbacks berechnen, als auch die Entwicklung und Ausbreitung der kuriosen Struktur selbst nachvollziehen.
„Die Berechnungen deuten darauf hin, dass sich Switchbacks dort bilden, wo sich das Magnetfeld oberhalb einer aktiven Region neu formiert“, sagt MPS-Wissenschaftlerin und Ko-Autorin Regina Aznar Cuadrado. In direkter Nachbarschaft zu den geschlossenen Magnetfeldlinien fand das Team offene Feldlinien, die weit ins All reichen. Dort, wo beide Arten von Magnetfeldlinien interagieren, strukturiert sich das Magnetfeld um; die freiwerdende Energie wird in Form einer S-förmigen Störung im Plasma freigesetzt.
„Switchbacks gehen oftmals mit einem lokalen Anstieg der Sonnenwindgeschwindigkeit einher“, sagt MPS-Wissenschaftler und Ko-Autor Hardi Peter über die neuen Ergebnisse ein. „Die aktuelle Studie kann deshalb möglicherweise helfen zu verstehen, wie der Sonnenwind ins All beschleunigt wird.“
Das Team hofft nun darauf, das Solar Orbiter in den kommenden Monaten Zeuge weiterer Switchbacks wird. Im Idealfall breitet sich die Plasmastörung dann in Richtung der Raumsonde aus und erreicht sie schließlich. Auf diese Weise könnten nicht nur Solar Orbiter’s Teleskope, sondern auch die In-situ-Instrumente Messdaten einfangen – und das Phänomen erstmals von seinem Entstehungsort bis in die Heliosphäre nachverfolgen.