Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Patentrechte in pandemischen Zeiten

Autoren
Reto M. Hilty, Suelen Carls, Daria Kim
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München
Zusammenfassung
Die Bereitstellung ausreichender Mengen an Impfstoffen gehörte in der Covid-19-Pandemie über Monate hinweg zu den größten Herausforderungen. Während reiche Industriestaaten schon früh riesige Mengen bestellten, litten ärmere Staaten unter eklatanter Unterversorgung. Mehrere von ihnen forderten in der Welthandelsorganisation (WTO) die vorübergehende Aussetzung unter anderem der Patentrechte. Unser Team hat die rechtliche Lage dazu analysiert.

Auf den ersten Blick mag der Gedanke einleuchten, den Rechtsschutz auszusetzen, um die Produktion von patentgeschützten Impfstoffen zu beschleunigen. Aus der Nähe betrachtet erweist sich der Fokus auf Patente als Ursache der Impfstoffknappheit in der Covid-19-Pandemie aber als wenig hilfreich und kurzsichtig ‒ nicht zuletzt im Hinblick auf Innovationen, die auch künftig zur Bewältigung gesundheitlicher Herausforderungen erforderlich sein werden.

Die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen ist enorm kostspielig. Die Forschung, aber auch die Marktzulassung, erfordern außerdem einen langen Atem der Investoren. Erfolgsgarantien gibt es keine. Gelingt eine Marktzulassung, benötigt ein Unternehmen eine gewisse Zeit, um die Kosten zu amortisieren und grundsätzlich auch etwas zu verdienen ‒ auch wenn in außerordentlichen Situationen wie einer Pandemie abweichende Gesichtspunkte eine Rolle spielen mögen. Patente verschaffen Marktexklusivität, schaffen Rechtssicherheit und sind insoweit Voraussetzung dafür, dass Investitionen überhaupt getätigt werden.

Patente allein reichen freilich nicht aus. Investiert wird nicht, um ein Patent zu erhalten, sondern um Gewinne zu erzielen. Man sollte sich daher nicht der Illusion hingegeben, dass marktwirtschaftliche Anreize ‒ für deren Wirkung das Patentrecht freilich eine Schlüsselrolle spielt ‒ sich ohne Weiteres ersetzen lassen. Auch bei den Covid-19-Impfstoffen wurde der Löwenanteil der Kosten von privater Seite gedeckt. Bereits Jahre vor Ausbruch der Pandemie setzten einzelne Investoren auf das Potential der mRNA-Technologien – zu Zeiten, als kein Staat bereit gewesen wäre, ohne sichere Perspektiven auf einen konkreten Nutzen Steuermittel einzusetzen.

Zudem entspricht die Vorstellung, es reiche aus, eine geschützte Technologie nutzen zu dürfen, um die entsprechenden Produkte in ausreichender Anzahl produzieren und verbreiten zu können, in keiner Weise der Realität – insbesondere bei mRNA-Impfstoffen nicht. Bei ihnen handelt es sich um Hightech-Produkte, deren Herstellung nicht in irgendeiner Chemiefabrik möglich ist. Erforderlich sind vielmehr spezielle, hochkomplexe Produktionsanlagen und spezifisch qualifiziertes Personal. Außerdem sind besondere, begrenzt verfügbare Rohstoffe erforderlich, was das Produktionsvolumen von vornherein faktisch limitiert.

Selbst mit Produktionsstätten in Ländern mit hohem Bedarf wäre es nicht getan. Impfstoffe benötigen dort, wo sie auf den Markt gebracht werden sollen, behördliche Zulassungen. Ungeachtet dessen, ob der Originalhersteller über eine solche verfügt, muss jeder unabhängige Hersteller selbst nachweisen, dass seine Produkte den Anforderungen genügen. Anders ist dies nur bei einer Produktion unter Lizenz, das heißt mit Zustimmung des Patentinhabers: In diesem Fall erstreckt sich dessen Zulassung auf die so hergestellten Produkte. Mit vertraglichen Lizenzen gehen üblicherweise Wissenstransfers sowie technische Unterstützung einher. All dies spart wertvolle Zeit, die verloren ginge, wenn einzig der Patentschutz ausgesetzt würde.

Der effizienteste Weg liegt folglich in Kooperationen. Die derzeitige Bereitschaft der Pharmaindustrie, Lizenzen selbst an Wettbewerber zu erteilen, ist beispiellos. Genau dafür sind Patente aber unausweichliche Voraussetzung; nur sie erlauben es, rechtssicher zu vereinbaren, was im Rahmen einer Zusammenarbeit wem erlaubt sein soll. Entfiele diese Möglichkeit bei einem Aussetzen von Schutzrechten, würde die jetzige Kooperationsbereitschaft sofort erlahmen. Mangels Unterstützung durch die Patentinhaber könnten dann sogar mangelhafte, nicht wirksame Impfstoffe auf den Markt kommen. Damit wäre niemandem geholfen.

Der Vorschlag auf Aussetzung unter anderem von Patentrechten richtet sich gegen die grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO), im Rahmen ihrer nationalen Gesetzgebung die im sogenannten TRIPS-Abkommen vorgesehenen Mindestschutzstandards einzuhalten. Allerdings erlaubt es jenes Abkommen den Mitgliedstaaten schon heute, Dritter unter gegebenen Voraussetzungen auch gegen den Willen der betroffenen Rechteinhaber gewisse Nutzungen zu erlauben. Vor allem können sie Zwangslizenzen für Patente erteilen, wobei jedes einzelne Land diese Möglichkeit in seinen nationalen Gesetzen genauer konkretisieren kann.

Dies hilft natürlich primär dann, wenn es überhaupt lokale Unternehmen gibt, die in der Lage sind, die erforderlichen Produkte herzustellen – was aber auch beim Aussetzen von Schutzrechten nicht anders ist. Ist diese Voraussetzung erfüllt und verweigert ein Patentinhaber einem Unternehmen die Lizenzerteilung in ungerechtfertigter Weise, kann das Unternehmen vor nationalen Gerichten eine Nutzungserlaubnis einklagen. Das kann allerdings kostspielig und zeitraubend sein. Den Mitgliedstaaten steht es daher auch frei, lokalen Industrien direkt Nutzungsrechte zu erteilen, ohne dass jene prozessieren müssen. Damit lassen sich ganze Patentgruppen erfassen, womit ähnliche Wirkungen erzielt werden können wie mit der vorgeschlagenen Aussetzung des Patentschutzes.

Dem internationalen Rechtsrahmen mangelt es also nicht an Flexibilität. Das Problem dürfte eher darin liegen, dass das nationale Recht in etlichen Staaten nicht angemessen ausgestaltet wurde, um den außergewöhnlichen Umständen einer Pandemie Rechnung zu tragen. Würde das rasch nachgeholt, dürfte alleine dies Patentinhaber motivieren, vertragliche Lizenzen zu erteilen, um Zwangsmaßnahmen und damit einen Kontrollverlust zu vermeiden.

Hinweis: Am 15. Juni 2022 einigten sich die Mitgliedstaaten der WTO darauf, dass Entwicklungsländer die vorstehend genannten Nutzungsrechte zeitlich befristet auch dann erteilen können, wenn ihre nationalen Rechte dies nicht explizit vorsehen. Der praktische Nutzen dürfte jedoch beschränkt sein; inzwischen bestehen für die Produktion von Impfstoffen weltweit Überkapazitäten, und mangels Abnahme vereinbarter Mengen müssen immer mehr Lagerbestände vernichtet werden.

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