Struktur der Kinetochor-Krone enthüllt
Dortmunder Max-Planck-Forscher decken auf, was die "Krone" des Kinetochors ausmacht
Bei der Zellteilung in einer Mutterzelle müssen die 23 Chromosomen, die das menschliche Erbgut tragen, zunächst kopiert und später an zwei neu entstehende Tochterzellen verteilt werden. Zumindest in gesunden Zellen ist das Ergebnis erstaunlich fehlerfrei, und kein Chromosom geht jemals verloren. Nicht so in bösartigen Zellen, wo unkontrollierbare Fehler bei der Verteilung entstehen, die kontinuierlich neue genetische Varianten erzeugen und so das metastatische Wachstum und Resistenzen gegen Chemotherapie fördern. Eine mehrschichtige Proteinstruktur, der Kinetochor, führt das Programm der Chromosomenübertragung aus. In einer interdisziplinären Zusammenarbeit untersuchten die Gruppen von Andrea Musacchio und Stefan Raunser am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie die äußerste Schicht dieser Struktur, die Kinetochor-Korona. Mit Hilfe der Einzelpartikel-Kryo-Elektronenmikroskopie und der Rekonstitution von Proteinen haben sie die strukturelle Organisation des Hauptbausteins der Korona, des RZZ-Komplexes, aufgedeckt und den Mechanismus des Korona-Aufbaus entschlüsselt. Ihre Ergebnisse geben Aufschluss über die molekularen Grundlagen der generationsübergreifenden Genomvererbung.
Die Zellteilung baut unseren Körper auf und versorgt unser Gewebe und unsere Organe - von der Haut bis zum Darm, vom Blut bis zum Gehirn. Sie ermöglicht es den Organen nicht nur zu wachsen, sondern sich bei Bedarf auch durch neue Zellen zu regenerieren. Die Zellteilung beginnt mit der Replikation der Chromosomen, den Trägern der drei Milliarden Nukleotide des menschlichen Genoms. Die replizierten Chromosomen werden dann in einem Mitose genannten Prozess auf die Tochterzellen verteilt.
Während der Mitose fängt ein Netz fadenförmiger Strukturen, die so genannte mitotische Spindel, zunächst die Chromosomen ein. In einem hochgradig durchchoreografierten Prozess werden die Chromosomen dann ausgerichtet. Anschließend trennt die Spindel die Chromosomen in entgegengesetzter Richtung auf, so dass, wenn sich die Zelle verdoppelt, jede eine exakte Kopie des Genoms erbt. Selbst die kleinsten Fehler in diesem Prozess haben schwerwiegende physiologische Folgen.
Eine vielschichtige Herausforderung
Der Kinetochor ist die Kontakstelle der Chromosomen mit der Spindel und daher ist er entscheidend am Prozess der Ausrichtung und Aufteilung der Chromosomen beteiligt. Es handelt sich um einen komplizierten, vielschichtigen Proteinkomplex. "Das Verständnis der Kinetochore ist eine enorme Herausforderung, da sie aus mehreren Schichten bestehen, die jeweils aus vielen interagierenden Bausteinen zusammengesetzt sind", sagt Musacchio. „Die äußerste Schicht, die Korona, hat einige der interessantesten Geheimnisse des Kinetochors zurückgehalten. Ihr Aufbau ist besonders interessant, da der Komplex nur eine kurze Lebensdauer hat, die unmittelbar vor den kritischen Schritten der Chromosomenausrichtung und -aufteilung endet.“
In einer Reihe früherer Studien hat das Labor von Musacchio grundlegende Erkenntnisse über die Struktur und Funktion der verschiedenen Schichten der Kinetochore und die Art und Weise, wie sie Chromosomen mit Mikrotubuli verbinden, gewonnen. Um dieses Wissen zu erlangen, nutzte die Gruppe einen reduktionistischen Ansatz, die so genannte biochemische Rekonstitution. Dabei produzierten sie die einzelnen Komponenten der Proteinnetzwerke außerhalb der Zelle in einem Reagenzglas. Dann setzten sie sie Stück für Stück wieder zusammen, um einen fast vollständigen Kinetochor zu bilden, den sie isoliert in einer kontrollierten und vereinfachten Umgebung untersuchen konnten - im Gegensatz zum komplexen und eher chaotischen Inneren der Zelle.
Mit der gleichen Strategie ist es dem erfahrenen Team, bestehend aus den beiden Postdoktoranden Tobias Raisch und Giuseppe Ciossani, den zwei Doktoranden Ennio d'Amico und Verena Cmentowski, und weiteren MitarbeiterInnen, nun gelungen, die Kinetochor-Korona nachzubauen. Sie zeigten, dass dafür zwei Komponenten völlig ausreichen: der ROD-Zwilch-ZW10 (RZZ) Proteinkomplex und das Protein Spindly, das eine wesentliche Rolle bei der Interaktion des Kinetochors mit den Mikrotubuli spielt. Die Korona baut sich ausschließlich an Kinetochoren auf, und die Mechanismen, die ihr Wachstum auf diese Strukturen beschränken, waren bisher ungeklärt. Indem sie den Prozess in vitro nachstellten, konnten die Forschenden ein Enzym, die Kinase MPS1, als wesentlichen Katalysator der RZZ-Korona-Assemblierung am Kinetochor identifizieren.
Ein Schritt näher an der Krone
Die Elektronenmikroskopie (EM) begleitet die Untersuchung von Kinetochoren bereits seit den 1960er Jahren, aber erst in jüngster Zeit ermöglichte es die aufkeimende methodische Entwicklung, die Bausteine auf atomarer Ebene sichtbar zu machen. "2017 haben wir das erste 3D-Strukturmodell des RZZ-Komplexes mittels Kryo-EM erstellt", sagt Raunser. "Mit einer Auflösung von 1 Nanometern war es jedoch unmöglich, die feinsten molekularen Details zu beobachten, die für die biologische Funktion verantwortlich sind."
Mit der neuen Strukturanalyse waren die Froschenden in der Lage, die Auflösung nun so weit zu verbessern, dass atomare Details sichtbar wurden. So konnten sie endlich erklären, wie die Wechselwirkungen der RZZ-Komponenten mit sich selbst und mit Spindly den Zusammenbau der Korona zu einem großen Polymer fördern, das den Kinetochor umgibt. "Unsere Arbeit krönt eine Reihe früherer Studien über die Kinetochor-Korona und bietet uns nun einen Rahmen, um den kritischen Moment der Zellteilung, wenn die Befestigung der Chromosomen an den Mikrotubuli im Wesentlichen irreversibel wird, zu verstehen", schlussfolgert Musacchio. Mit zukünftigen Studien will das Team versuchen, die Korona in rekonstruierte Kinetochore zu integrieren. Dies wäre ein neuer wichtiger Schritt in Richtung der Rekonstruktion der Chromosomentrennung in vitro, ein außerordentlich ehrgeiziges Ziel, das neue Erkenntnisse über den fundamentalsten Prozesses des Lebens liefern wird.