Frühere Übertragungsketten der Tuberkulose

Komplexes Netz der Krankheitsübertragung in der vorkolonialen Zeit Südamerikas

10. März 2022

Tuberkulose ist nach Covid-19 die weltweit zweithäufigste Todesursache durch einen infektiösen Erreger, doch viele Details ihrer mit dem Menschen verbundenen Geschichte sind umstritten. Forschende des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Arizona State University in Tempe (USA) fanden heraus, dass eine in archäologischen menschlichen Überresten aus Südamerika entdeckte frühe Tuberkulose-Variante am engsten mit einer Variante verwandt ist, die heute bei Meeressäugetieren wie Robben auftritt. Überraschenderweise lebten diese Menschen aber nicht in Küstennähe, sodass eine direkte Übertragung des Erregers durch Robben unwahrscheinlich ist. Vielmehr könnte eine Übertragung über einen oder mehrere Zwischenwirte die Hauptursache für die Infektion dieser frühen Südamerikaner gewesen sein.

Vermutlich hatte fast ein Viertel der Weltbevölkerung Kontakt mit dem Bakterium, das Tuberkulose auslösen kann, eine Erkrankung mit der weltweit höchsten Sterblichkeitsrate infolge einer bakteriellen Infektion. Die globale Verbreitung der Tuberkulose wurde einst als Beleg für ihre Entstehung in der fernen Vergangenheit angesehen. Vor Zehntausenden von Jahren soll sie in Afrika entstanden sein und sich über die Migrationswege ihrer Wirte weltweit verbreitet haben. Der Tuberkulose-Erreger kann eine Reihe von Säugetierarten infizieren und ist somit sehr anpassungsfähig.

Untersuchungen früher Tuberkulose-Genome haben eine Kontroverse darüber ausgelöst, wann diese Wirts-Erreger-Verbindung ihren Ursprung hatte und wie genau sich die Krankheit weltweit verbreitet hat. Eine Studie aus dem Jahr 2014, die von einem Forschungsteam der Universität Tübingen und der Arizona State University geleitet wurde, beschrieb drei frühe Tuberkulose-Genome aus der Küstenregion Perus. Die Studie enthüllte verschiedene Aspekte zur Geschichte der Tuberkulose und brach mit vorherigen Erkenntnissen zu ihren Ursprüngen.

Einerseits identifizierte das Team nicht einen der bereits gut charakterisierten, mit dem Menschen assoziierten Stämme des Erregers, sondern einen vergleichsweise seltenen Stamm, der heute vor allem Meeressäuger wie Robben und Seelöwen infiziert. Darüber hinaus belegten die Daten, dass die Tuberkulose eine viel jüngere Krankheit sein könnte als bisher angenommen und möglicherweise erst innerhalb der letzten 6.000 Jahre erstmalig aufgetreten ist. „Damals nahmen wir an, dass die Tuberkulose durch die Migration von infizierten Robbenpopulationen von Afrika ausgehend zur peruanischen Küste gelangte“, erklärt Kirsten Bos vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die zusammen mit Anne Stone von der Arizona State University die aktuelle Studie leitete. „Die Infektionsquelle in Peru könnte also eine Robben-Zoonose gewesen sein. Es war jedoch nicht klar, ob es sich bei der spezifischen Tuberkulose-Infektion, die wir bei den drei frühen Südamerikanern festgestellt haben, um ein lokales Phänomen handelte, das auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt war, oder ob sie auch über dieses Gebiet hinaus verbreitet war“.

Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, die auch Spezialisten für Knochenläsionen und Pathologie gut bekannt ist. Die Paläopathologin Jane Buikstra von der Arizona State University fand bei der Untersuchung von archäologischen menschlichen Skelettüberresten aus Nord-, Süd- und Mittelamerika eindeutige Fälle von Tuberkulose-Infektionen aus der vorkolonialen Zeit. „Durch osteologische Untersuchungen historischer menschlicher Überreste wissen wir seit Jahrzehnten, dass es an der Westküste Südamerikas eine Art Tuberkulose-Infektion gegeben hat. Die wissenschaftlichen Fortschritte des 21. Jahrhunderts versetzen uns nun in die Lage, mithilfe von alter DNA die Beziehungen zwischen verschiedenen Manifestationen der Tuberkulose zu erforschen, die sich in osteologischen Proben aus verschiedenen Teilen Amerikas finden.“

Infektionen in den Anden

In einer in dieser Woche veröffentlichten Studie berichtet das Team nun über drei neue südamerikanische Tuberkulose-Fälle aus der vorkolonialen Zeit. Diesmal stammen die menschlichen Überreste jedoch aus archäologischen Stätten im Landesinneren – zwei davon befinden sich im Hochland der kolumbianischen Anden. Alle drei Menschen waren mit dem marin-assoziierten Tuberkulosestamm infiziert. Eine direkte Übertragung von Robben auf den Menschen scheint somit unwahrscheinlich.

Das Einschleppen der Tuberkulose nach Südamerika durch den Kontakt des Menschen mit infizierten Robben bleibt zwar die wahrscheinlichste Hypothese, aber wie sich die Tuberkulose anschließend an Land verbreitet hat, bleibt ungeklärt. Die Erstautorinnen Åshild Vågene und Tanvi Honap belegen anhand der neu untersuchten Fälle, dass die Tuberkulose-Variante, die heute noch bei Robben vorkommt, einst in der Lage gewesen sein könnte, über weite Strecken an Land zu „reisen“. „Das Tuberkulose-Bakterium kann zahlreiche Säugetierarten infizieren, so dass es viele Kandidaten für eine Verbreitung auf dem Landweg gibt, einschließlich des Menschen selbst“, sagt Vågene. „Ausgedehnte Handelsnetze könnten beim Transport des Erregers von der Küste aus eine wichtige Rolle gespielt haben“. Honap fügt hinzu, dass „die Untersuchung von Tuberkulose-DNA aus tierischen Überresten aus der vorkolonialen Zeit Amerikas eines Tages erklären könnte, welche Übertragungsketten es dieser marinen Variante ermöglicht haben, sich so weit ins Landesinnere hinein ausbreiten zu können.“

Anne Stone von der Arizona State University, die sich auf die Erforschung der Evolutionsgeschichte der Tuberkulose spezialisiert hat, sieht in den neuen Ergebnissen eine Möglichkeit, die Ökologie der Krankheit im vorkolonialen Amerika genauer zu erforschen. „Es ist eine aufregende Zeit für die Erforschung alter DNA, da wir jetzt Unterschiede auf Genomebene bei diesen alten Krankheitserregern untersuchen und ihre Bewegungen über Kontinente und darüber hinaus verfolgen können. Bei der Tuberkulose stellt sich die Frage, wie weit der mit Robben assoziierte Stamm in den menschlichen Populationen Amerikas verbreitet war, bevor er durch die virulenteren Stämme, die mit den Europäern kamen, ersetzt wurde.“

SJ

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