Unterdrückung alten Verhaltens unter neuen Umweltbedingungen

Forschende untersuchen, mit welchen kognitiven Fähigkeiten Tiere auf sich rapide verändernde Umweltbedingungen reagieren können

14. Februar 2022

Mithilfe von Dohlengrackeln, einer verhaltensflexiblen urbanen Vogelart, haben Forschende aus Deutschland, den USA und Großbritannien untersucht, welche Rolle Flexibilität und Verhaltenshemmung beim Problemlösen spielen und wie sie miteinander in Verbindung stehen können. Anhand verschiedener Verhaltensstudien bewerteten sie die kognitiven Fähigkeiten der Vögel und fanden heraus, dass Selbstkontrolle mit Flexibilität zusammenhängt – also mit der Fähigkeit, Vorlieben anzupassen, wenn die Umstände es erfordern.

Grackeln, die ihre Vorliebe für eine bestimmte Farbe schneller umkehren konnten und die folglich flexibler waren, konnten auch in einem so genannten „Go No-Go“ Test ihr Verhalten besser unterdrücken. Im „Go No-Go“ Test erhalten die Vögel eine Belohnung, wenn sie auf einem Touchscreen-Computer unter verschiedenen Formen eine ganz bestimmte Form auswählen und anpicken, andere Formen dagegen nicht beachten.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Verhaltensunterdrückung beim Erlernen, wie man eine Vorliebe ändert, möglicherweise eine Rolle spielt. „Wahrscheinlich unterdrücken die Grackeln den Impuls, die zuvor mit Futter belohnte Option zu wählen, um stattdessen eine andere Option wählen zu können, die nun als einzige eine Belohnung bereithält“, sagt Corina Logan, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Hauptautorin der Studie.

Umgekehrt verhielt es sich jedoch, als die Forschenden die Flexibilität der Tiere auf eine andere Art und Weise bestimmten – anhand der Zeit, die ein Individuum benötigt, um beim Lösen eines Rätselkastens eine vorher erfolgreiche Option durch eine neue zu ersetzen. Grackeln, denen dies schneller gelang, unterdrückten ihr Verhalten im „Go No-Go“ Test langsamer. Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass verschiedene Individuen verschiedene Strategien anwenden: Grackeln, denen es schwerer fällt, ihr Verhalten zu unterdrücken, erkunden möglicherweise stattdessen alle vorhandenen Optionen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie das Rätsel richtig lösen – diese Strategie können sie jedoch nicht in Situationen anwenden, in denen sie sich auf eine Option festlegen müssen.

Kelsey McCune, Postdoc an der University of California Santa Barbara, stellte Unterschiede hinsichtlich der von den Grackeln im „Go No-Go“ Test verwendeten Strategien fest: „Einige Vögel begnügten sich damit, nur ab und zu belohnt zu werden, und pickten deshalb alles an, was auf dem Bildschirm erschien. Andere Vögel hingegen haben die Aufgabe eindeutig gelernt und starrten so lange auf den Bildschirm, bis die richtige Form auftauchte.“

Achtung! Flexibilität ist nicht mit motorischer Kontrolle verbunden

Ein anderer Test, der so genannte „Umweg“-Test – bei dem man um ein durchsichtiges Plastikröhrchen herumgehen muss, um der Röhrchenöffnung eine Futterbelohnung zu entnehmen, anstatt geradeaus zu gehen und das Futter durch das Plastik „teleportieren“ zu wollen – gilt gemeinhin als Test zur Messung der Selbstkontrolle. Grackeln, die beim „Umweg“-Test besser abschnitten, waren beim „Go No-Go“-Selbstkontrolltest nicht zwingend genauso gut. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die verschiedenen Tests, die weithin als Selbstkontrolltests bezeichnet werden, in Wirklichkeit unterschiedliche kognitive Fähigkeiten messen“, sagt Co-Autorin Claudia Wascher, Associate Professor an der Anglia Ruskin University.

Die Autorinnen und Autoren folgern daraus, dass der „Umweg“-Test die motorische Verhaltenshemmung misst – das Anhalten einer Bewegung, die nicht von Nutzen ist – und nicht die Selbstkontrolle – die Fähigkeit, eine Reaktion auf etwas, das sie sehen, zurückzuhalten, um stattdessen auf etwas zu warten, das später kommt.

Wildvögel nutzen Computer, um an Tests teilzunehmen

Für zwei der Tests brachten die Forschenden Grackeln bei, Computer zu benutzen. Wie sich herausstellte, unterscheidet sich das Training dieser Vogelart im Umgang mit Computern stark von dem Training von Tauben und Ratten – Tierarten, mit denen zwei der Autoren, Benjamin Seitz, ein Promovierender, und Aaron Blaisdell, ein Professor an der University of California Los Angeles, bereits umfangreiche Erfahrungen gesammelt haben.

Grackeln scheinen sanfter zu sein, wenn sie den Touchscreen anpicken, und auch weniger hartnäckig, wenn etwas schiefgeht. „Dass es uns gelungen ist, Wildvögel dazu zu bringen, mit diesen doch sehr künstlichen Touchscreens umzugehen, finde ich immer noch erstaunlich. Bei der Benutzung des Touchscreens waren die Vögel aber etwas zurückhaltender als andere Arten“, sagt Hauptautor Seitz. Dieses unerwartete Hindernis führte dazu, dass das Team sein Vorgehen dokumentierte und einen Leitfaden dazu veröffentlichte, wie Wildvögel für die Benutzung von Touchscreens trainiert werden können.

Machen sich Grackeln kausale Zusammenhänge zunutze?

Für einen anderen Test entwarf das Team um Blaisdell einen Touchscreen-Computertest, um zu untersuchen, ob Grackeln kausale Zusammenhänge verstehen und entsprechend handeln. Möglicherweise ist die Dohlengrackel als Art so erfolgreich, weil sie kausale Erkenntnisse nutzt, um Herausforderungen bei der Nahrungssuche zu meistern. Die Fähigkeit, auf Ursache und Wirkung zu schließen, könnte den Vögeln helfen, Probleme schneller zu lösen und bessere Alternativen zu finden. Das könnte sich beim Leben in einem urbanen Umfeld als nützlich erweisen, wenn die Vögel beispielsweise Verpackungen öffnen, um Nahrung herauszupicken.

Die Ergebnisse waren jedoch nicht schlüssig, was möglicherweise daran lag, dass die Vögel die Fragestellung nicht verstanden haben. „Die größte Herausforderung bei der Erforschung einer neuen Tierart besteht darin, ein Verfahren, das bei einer Spezies, wie zum Bespiel einer Ratte, funktioniert hat, an eine neue Spezies, wie zum Beispiel, eine Grackel, anzupassen“, erklärt Blaisdell. Um herauszufinden, welcher Aufbau für die Grackeln sinnvoll wäre, müssen die Forschenden verschiedene Versuchsanordnungen testen.

Wie geht es jetzt weiter?

Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie eine verhaltensflexible Art auf sich verändernde Umweltbedingungen reagiert, können in Managementpläne zum Artenschutz einfließen. Artenschutzbemühungen könnten dann zum Beispiel darauf abzielen, die Flexibilität von Tierarten zu fördern, die Schwierigkeiten haben, sich in unserer sich rapide verändernden Welt zurechtzufinden. Die Autorinnen und Autoren werden auch weiterhin mithilfe neuer Technologien das Verhalten von Wildvögeln erforschen und diesen Fragestellungen im Rahmen ihrer Langzeitstudie, dem „Grackle Project“, nachgehen.

SJ/CL

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