Die Dunkle Materie im Visier

Hannoveraner Gravitationswellen-Detektor soll helfen, eines der größten verbleibenden Rätsel des Universums zu lösen

Die Technologie von einem der größten wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahrhunderts – dem direkten Nachweis von Gravitationswellen – hilft nun bei der Suche nach der schwer fassbaren Dunklen Materie. Dafür nutzte ein Team unter Leitung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen des Gravity Exploration Institutes der Universität Cardiff Daten des deutsch-britischen Gravitationswellendetektors GEO600 in der Nähe von Hannover, um erstmals nach einer neuen Art Dunkler Materie zu suchen. Die Fachzeitschrift Nature veröffentlichte heute die dazugehörige Studie. Auch ohne direkten Nachweis ist die einzigartige Suche der erste Schritt, um eine neue Methode zu etablieren. Das Ausbleiben eines Nachweises ermöglichte es den Forschenden zudem, einige Theorien über Dunkle Materie zu widerlegen und künftige Suchen nach diesem unsichtbaren Bestandteil unseres Universums zu verbessern.

Auch wenn Dunkle Materie wohl etwa 85 Prozent der gesamten Materie im Universum ausmacht: Sie wurde noch nie direkt beobachtet und ist eines der größten ungelösten Rätsel der modernen Physik. Und dennoch schließen Forschende aufgrund ihrer Gravitationswirkung auf Objekte im gesamten Weltall auf ihre Anwesenheit. Eine große Menge unentdeckter Materie könnte beispielsweise erklären, warum Galaxien so rotieren, wie sie es tun, und wie sie sich überhaupt erst gebildet haben.

Bis vor kurzem wurde allgemein angenommen, dass Dunkle Materie aus schweren Elementarteilchen besteht. Diese ließen sich trotz zahlreicher Bemühungen nicht aufspüren, sodass sich Forschende nun anderen Erklärungen zuwenden.  Eine neue Theorie besagt, dass es sich bei Dunkler Materie um ein sogenanntes Skalarfeld handelt. Dieses würde wie unsichtbare Wellen den Raum in und um Galaxien füllen, so auch bei unserer Milchstraße.

Die extrem empfindlichen Gravitationswellen-Detektoren haben sich bereits durch mehrere herausragende Entdeckungen bewährt. Die derzeitige  Detektortechnologie hat nach Ansicht der Forschenden auch das Potenzial, die Dunkle Materie endlich direkt nachzuweisen und sogar herauszufinden, woraus sie besteht.

„Wir entdeckten, dass wir mit unseren Instrumenten nach dieser neuen Art Dunkler Materie suchen können, obwohl sie ursprünglich für die Entdeckung von Gravitationswellen entwickelt wurden“, sagt Hartmut Grote vom Gravity Exploration Institute der Universität Cardiff, der die Untersuchung initiiert hat und von 2009 bis 2017 GEO600-Chefwissenschaftler war.

In einem Laserinterferometer wie GEO600 wird ein Laser in zwei Lichtstrahlen aufgeteilt. Beide Lichtstrahlen durchlaufen Hunderte Meter lange Vakuumröhren und werden von verschiedenen Spiegeln umgelenkt, bevor sie auf einen Detektor treffen. Auf diese Weise lässt sich mit großer Genauigkeit messen, wie synchron die beiden Lichtstrahlen noch sind. Jede Störung der Synchronität gibt wiederum Rückschlüsse auf Einflüsse, welche die Strahlen unterwegs erfahren. Beim Nachweis von Gravitationswellen stauchen und dehnen etwa Kräuselungen der Raumzeit, ausgelöst von weit entfernten astronomischen Ereignissen, die Strecke, die das Laserlicht zurücklegt, um ein Tausendstel eines Protonendurchmessers.

Der GEO600-Detektor in Deutschland ist ein hochempfindliches Interferometer. Mit ihm wurde ein Großteil der Technologie entwickelt, mit der LIGO und Virgo Gravitationswellen messen. Obwohl andere Detektoren empfindlicher auf Gravitationswellen reagieren, spricht GEO600 am stärksten auf die Auswirkungen Dunkler Materie in Form von Skalarfeldern an.

„Skalarfeldwellen der Dunklen Materie würden die Erde und unsere Instrumente durchdringen und dabei Objekte wie Spiegel in ganz leichte Schwingungen versetzen“, sagt der leitende Forscher Sander Vermeulen, ebenfalls von der Universität Cardiff. „Die Vibrationen der Spiegel würden die Lichtstrahlen in Instrumenten wie GEO600 oder den LIGO-Detektoren auf eine besondere Art und Weise stören, die für Dunkle Materie charakteristisch ist und die wir – je nach der genauen Beschaffenheit dieser Dunklen Materie – nachweisen können sollten.“

Auch wenn das Team in der aktuellen Studie keine Nachweise erbringen konnte: Aus ihrer Sicht wurden wichtige erste Schritte gemacht, um Gravitationswellentechnologie für die Suche nach Dunkler Materie zu nutzen. Ebenso gab es dadurch bereits Fortschritte, um bestimmte Parameter für zukünftige Studien einzugrenzen. „Ich war überrascht, wie empfindlich ein Instrument, das ursprünglich für einen ganz anderen Zweck gebaut wurde, für die Suche nach Dunkler Materie sein kann“, sagt Grote.

„Wir haben einige Theorien, die der Dunklen Materie bestimmte Eigenschaften zuschreiben, definitiv ausgeschlossen. Künftige Untersuchungen haben nun eine bessere Vorstellung davon, wonach sie suchen müssen“, so Vermeulen. „Wir glauben, dass diese neuen Methoden das Potenzial haben, irgendwann Dunkle Materie zu entdecken.“

„Es ist wunderbar, wie GEO600 sich einmal mehr als ein sehr nützliches und empfindliches Instrument für wegweisende Forschung erwiesen hat“, sagte Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover und Direktor des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover.

GEO600

GEO600 wird von Wissenschaftler:innen des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik und der Leibniz Universität Hannover in Zusammenarbeit mit Partnern in Großbritannien betrieben und ständig weiterentwickelt. Es wird von der Max-Planck-Gesellschaft und dem Science and Technology Facilities Council (STFC) finanziert.

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