Lagerfeuer auf der Sonne

Die Raumsonde Solar Orbiter entdeckt in der Gasatmosphäre des Gestirns überraschend viele winzige und helle Strahlungsausbrüche

Zu den spannendsten Entdeckungen der ESA-Raumsonde Solar Orbiter gehören kleine, hell aufleuchtende Regionen in der heißen Sonnenkorona, die anderen Raumsonden bisher entgangen waren. Diese winzigen Strahlungsausbrüche finden sich in Messdaten des Extreme-Ultraviolet Imagers (EUI), die während der Inbetriebnahme des Instruments im All im vergangenen Jahr aufgezeichnet wurden. Auf der Jahrestagung der European Geosciences Union stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter anderem aus dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen, erste Untersuchungen und Simulationen des Phänomens vor. Die kleinsten dieser „Lagerfeuer" treten deutlich häufiger auf als ihre bereits bekannten größeren Verwandten und könnten dabei helfen, die extrem heißen Temperaturen in der Sonnenkorona zu erklären.

Streng genommen ist das Solar Orbiter-Instrument EUI noch gar nicht im Dienst. Regelmäßige wissenschaftliche Messungen sind erst ab Ende dieses Jahres vorgesehen, wenn die Raumsonde ihre anvisierte, stark ellipsenförmige Umlaufbahn um die Sonne erreicht haben wird. Doch schon die Daten, die das Instrument während der technischen Inbetriebnahme im vergangenen Jahr aufzeichnete, wurden mit Spannung erwartet. Tatsächlich zeigen die 50 Bilder die heiße, äußere Hülle der Sonne - Korona genannt - in sehr hoher Detailschärfe.

Auf den Fotos zu erkennen sind zwischen 400 und 4000 Kilometer große Bereiche, die für kurze Zeit extrem kurzwelliges ultraviolettes Licht hoher Intensität abstrahlen. Auf den Aufnahmen erscheinen sie als winzige, helle Flecken. „Größere Strahlungsausbrüche dieser Art kennen wir bereits aus den Messdaten anderer Raumsonden“, sagt Udo Schühle aus dem Führungsteam von EUI. „Die kleinsten haben wir nun zum ersten Mal gesehen“, so der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Das EUI-Team bezeichnet die hell aufblitzenden Bereiche als „Lagerfeuer“.

Die Eigenschaften von 1500 solcher Lagerfeuer hat eine Gruppe unter Leitung von David Berghmans von der Königlichen Sternwarte von Belgien nun untersucht und bietet damit die bisher umfassendste Charakterisierung des Phänomens. Die entsprechende Studie erscheint demnächst in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics. Demnach dauern die Strahlungsausbrüche nicht länger als wenige Minuten an. „Sie erreichen Temperaturen von mehr als eine Million Grad. Viele haben eine längliche, gebogene Form“, sagt Max-Planck-Fotrscher Luca Teriaca.

Zudem konnten die Forschenden für einige der Lagerfeuer berechnen, dass sie in der unteren Sonnenkorona, also zwischen etwa 1000 und 5000 Kilometer über der sichtbaren Oberfläche des Sterns, auftreten. Dafür wertete das EUI-Team weniger hoch aufgelösten Aufnahmen der NASA-Sonde Solar Dynamics Observatory (SDO) aus, die zeitgleich entstanden und die Lagerfeuer aus einem zweiten Blickwinkel zeigen.

Die Region zwischen der unteren und der oberen Sonnenatmosphäre fasziniert Sonnenphysikerinnen seit Langem. Dort steigt die Temperatur sprunghaft an - von einigen tausend Grad auf mehr als eine Million. Nach wie vor ist ungeklärt, welche Prozesse die dafür notwendige Energie liefern und in Wärme umwandeln. Verschiedene Wellenphänomene, sogenannte Spikulen, magnetische Prozesse und Strahlungsausbrüche sind nur einige der Verdächtigen. „Wie wir jetzt sehen, kommen die kleinsten, bisher unentdeckten Strahlungsausbrüche deutlich häufiger vor als die größeren“, sagt EUI-Teammitglied Regina Aznar Cuadrado vom Göttinger Max-Planck-Institut. „Es könnte sein, dass ihr Einfluss auf die Koronaheizung bisher unterschätzt wurde.

Zeitliche Entwicklung eines solaren Lagerfeuers

Vergleich eines am Computer simulierten solaren Lagerfeuers (links) und der dazugehörigen, lokalen magnetischen Felder und Feldlinien (rechts).

„Um zu bewerten, welche Rolle die Lagerfeuer wirklich spielen, müssen wir zunächst verstehen, welche physikalischen Prozesse ihnen zugrunde liegen“, sagt Max-Planck-Forscher Hardi Peter, einer der Autoren einer zweiten Studie, die demnächst ebenfalls in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheint. Im Computermodell simulierte die Gruppe das Zusammenspiel aus heißem Plasma und Magnetfeldern im Bereich zwischen der Oberfläche der Sonne bis hin zur Korona und berechnete dann, wie sich ihre künstlich geschaffene Sonnenatmosphäre in Messungen von EUI darstellen würden. „Ganz gezielt haben wir die Perspektive von EUI eingenommen, um unsere Rechnungen mit den aktuellen Messdaten in Beziehung zu setzen“, so Erstautor Yajie Chen, der an der Universität Peking und in Göttingen forscht.

Auch in der simulierten Sonnenatmosphäre blitzen die kleinen Lagerfeuer auf. Die hellsten von ihnen unterzogen die Wissenschaftlerinnen einer eingehenden Prüfung und schauten besonders genau auf ihre Umgebung: Welche Prozesse spielen sich dort ab? Wie verändern sich die magnetischen Eigenschaften der Sonnenatmosphäre?

In den meisten Fällen entstehen die Strahlungsausbrüche, wenn sich zwei Bündel beinahe gleich gerichteter magnetischer Feldlinien, die bogenförmig in die Sonnenatmosphäre ragen, kreuzen und wechselwirken. An ihrer Schnittstelle wird genug Energie frei, um das Sonnenplasma dort auf mehr als eine Million Grad aufzuheizen. „Die Lagerfeuer, die EUI misst, sind sozusagen nur die sichtbare Spitze des Eisbergs“, sagt Hardi Peter. Auslöser sind Umstrukturierungen im Magnetfeld der Sonne, die sich unterhalb abspielen.

Möglicherweise spielen sich in der Korona noch kleinere Strahlungsausbrüche ab, die weder EUI noch die Computersimulationen derzeit abbilden können. Wie stark kleine und kleinste Lagerfeuer zur Heizung der Korona beitragen, hängt laut Peter jedoch nicht allein von ihrer Häufigkeit ab. Ebenso wichtig sei, wie viel Energie sie zur Gesamtbilanz der Korona beitragen. Dieser Frage wollen die Forschenden in ihren nächsten Simulationen nachgehen.

BK / HOR

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