„Wir haben alle Register gezogen“

René Heller über die Entdeckung von Exoplaneten und seine besondere Methode

Schon einmal ließ René Heller vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung die Fachwelt aufhorchen, als er in den Daten des Kepler-Teleskops nicht weniger als 18 bisher übersehene Exoplaneten entdeckte. Jetzt ist ihm und seinem Team der Fund eines erdähnlichen Planeten gelungen, der einen sonnengleichen Stern umläuft. Was zeichnet die Suchmethode der Astronomen aus?

Die meisten Exoplaneten wurden bisher mit der so genannten Transitmethode gefunden. Wie funktioniert diese Methode und warum ist sie so erfolgreich?

René Heller: Bei der Transitmethode sucht man nach stetig wiederkehrenden Verdunkelungen eines Sterns, die dadurch entstehen, dass ein Planet von der Erde aus gesehen vor dem Stern entlangzieht. Wenn man einen bestimmten Stern betrachtet, ist aber zunächst keineswegs klar, ob er überhaupt einen Planeten hat. Um einen solchen zu entdecken, muss man deshalb meist sehr lange und ohne Pause auf einen Stern schauen, typischerweise über Wochen und manchmal über Jahre. Und man braucht noch mehr Glück: Denn für die Transitmethode müssen wir von der Erde aus gesehen ausgerechnet in der Bahnebene des Planeten um seinen Stern liegen. Das ist im Schnitt nur bei ungefähr jedem hundertsten Exoplaneten der Fall.

Die Transitmethode ist somit nicht erfolgversprechender als andere Methoden, sondern gleicht eher der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Ihr Erfolg beruht in erster Linie auf der kontinuierlichen Beobachtung einer großen Anzahl von Sternen durch das Weltraumteleskop Kepler der US-Raumfahrtbehörde NASA. Auf diese Weise hat Kepler ab 2009 tausende von Exoplaneten entdeckt, insgesamt mehr als die Hälfte aller heute bekannten.

Ihnen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die übliche Transitmethode noch zu verbessern. Was ist Ihr Trick?

Die großen Datenmengen, die uns von den Teleskopen übermittelt werden, haben es bis vor wenigen Jahren noch notwendig gemacht, dass wir unsere computergestützten Algorithmen zur Exoplanetensuche hier und da vereinfachen. Damit konnte dann die Datenmassage, wenn ich das mal so nennen darf, in erträglichen Zeiträumen von Tagen oder Wochen erledigt werden. Mittlerweile allerdings erlaubte uns der Fortschritt in den Rechenkapazitäten der Computer auch eine Verfeinerung unseres Algorithmus.

Und so haben mein Kollege und IT-Spezialist Michael Hippke und ich ein für die Exoplanetensuche standardisiertes Verfahren so verfeinert, dass es zum einen ein sensibleres Gespür für die von Planeten verursachten Helligkeitsschwankungen eines Sterns hat. Und zum anderen konnten wir unseren neuen Algorithmus so effizient gestalten, dass er im Zusammenspiel mit moderner Computerleistung sogar auf einem handelsüblichen Laptop funktioniert. So kann man auch gern mal auf einer Zugreise mit dem Laptop auf dem Schoß einen Exoplaneten finden.

Wie viele übersehene Exoplaneten konnten Sie so bisher aufspüren?

Bisher haben wir 18 Entdeckungen veröffentlicht, die wir in den Daten des Kepler-Teleskops von 517 Sternen gefunden haben. Mit KOI-456.04 folgt nun der 19. Exoplanet. Dazu sei gesagt, dass wir darüber hinaus noch einige Dutzend weitere Kandidaten gefunden haben. Die prüfen wir derzeit eingehend auf Herz und Nieren. Schließlich will man ja keinen Messfehler als Planeten verkaufen.

Die Daten des Weltraumteleskops Kepler sind mittlerweile wohl vollständig durchsucht worden. Erwarten Sie dennoch weitere Entdeckungen kleinerer Planeten, vielleicht so groß wie die Erde?

Mit den traditionellen Methoden sind die Keplerdaten wohl erschöpfend durchsucht worden. Dem stimme ich zu. Allerdings zeigen unsere ersten kleineren Suchexperimente mit unserem neuen Algorithmus, dass in den Daten durchaus noch was zu holen ist – und zwar mit dieser neuen Methode.

Kepler hat in den neun Jahren seines Betriebs Messdaten von etwa 150.000 Sternen aufgenommen. Wie entscheiden Sie, bei welchen Messdaten ein zweiter, genauerer Blick lohnt?

Die Auswahl der Sterne, um die wir nach neuen Exoplaneten gesucht haben, war entscheidend für unsere bisherigen Entdeckungen. Dabei haben wir uns nämlich eines kleinen, aber wertvollen Tricks bedient: Wir haben nicht wahllos aus den 150.000 Sternen der Kepler-Mission diese und jene untersucht; stattdessen haben wir uns auf den zweiten Teil der Mission konzentriert, die sogenannte K2-Mission, in deren Rahmen insgesamt bei 517 Sternen bereits Transitplaneten entdeckt worden waren. Um zu prüfen, ob unsere Methode wirklich besser ist, haben wir uns einfach alle Helligkeitsmessungen dieser Sterne aus der K2-Mission noch einmal angeschaut und nach weiteren Planeten gesucht, die vielleicht bisher übersehen worden waren.

Tatsächlich: Wir haben nicht nur um alle 517 Sterne alle bereits bekannten Exoplaneten erneut gefunden, sondern darüber hinaus 18 weitere entdeckt – das klingt vielleicht nicht nach viel. Allerdings waren alle unsere Neuentdeckungen ungefähr so groß wie die Erde und damit deutlich kleiner als die meisten bekannten Exoplaneten. Deswegen waren sie ja gerade übersehen worden.

Nachdem wir die K2-Daten nach vormals unentdeckten Planeten um Sterne mit bekannten Planeten durchsucht hatten, haben wir unsere Suche auf die mehr als 4000 Lichtkurven der ersten Kepler-Mission von 2009 bis 2013 ausgedehnt. Auch dabei waren wir wieder erfolgreich. Der 1,9 Erdradien große Planetenkandidat KOI-456.04 um den sonnenähnlichen Stern Kepler-160 ist dabei nur unsere erste Veröffentlichung.

Warum sprechen Sie bei KOI-456.04 eigentlich von einem Planetenkandidaten?

Formal gesehen besteht das Signal dieses mutmaßlichen Planeten einen unserer statistischen Tests nur mit 85-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Das heißt, die Chancen stehen 85:15 oder knapp sechs zu eins, dass sich hier ein Planet verbirgt. Also eigentlich eine gute Wette. Die restliche Unsicherheit besteht darin, ob es sich eventuell um eine zufällige oder vom Teleskop erzeugte Variation in den Daten handeln könnte. Zur Anerkennung des Planetenstatus allerdings wäre eine Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent, also eine Chance von 99 zu eins, nötig.

Wieso ist es wichtig, ein einzelnes Sternsystem so genau unter die Lupe zu nehmen? Was lernen wir aus einem solchen Einzelfall?

Die Menschheit spendiert beachtliche Gelder und investiert viel Arbeit und Herzblut in die Nachbeobachtung der interessantesten Exoplaneten oder Planetenkandidaten. Auch wenn die finanziellen Ausgaben für Weltraumforschung nur ungefähr ein Tausendstel der Rüstungsausgaben betragen, möchte man die wertvolle Beobachtungszeit von Milliarden Euro oder Dollar schweren Teleskopen am Boden und im All nicht damit vergeuden, dass man ein zuvor angepriesenes Objekt für eine eingehendere Untersuchung nachbeobachtet. Nur um dann festzustellen, dass es das Objekt gar nicht gibt.

Wir haben also in unserer Studie alle Register gezogen, um den Planetenstatus statistisch zu erfassen. Genau genommen war diese Charakterisierung des Planeten – oder Planetenkandidaten – bei Weitem der aufwendigste Teil. Die Entdeckung von KOI-456.04 war meinem Kollegen Michael Hippke und mir schon im Mai 2019 gelungen, nach nur wenigen Tagen computergestützter Suche in den Daten. Für die extrem aufwendige Charakterisierung des Planetensystems um den Stern Kepler-160 haben wir viel im Hinblick auf die Automatisierung unserer Methoden gelernt. Wir wollen sicher nicht noch einmal ein ganzes Jahr nach der Entdeckung eines Signals bis hin zur Veröffentlichung arbeiten. Beim nächsten Mal wird’s schneller gehen. Und das Gute ist: Wir haben in den Kepler-Daten bereits ein paar Dutzend weitere Signale gefunden.

Interview: Birgit Krummheuer

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht