Mit wiederholter Evolution zur Katzenminze
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entschlüsseln die evolutionären Ursprünge des Katzenlockstoffs Nepetalacton
Katzenminze ist für ihre berauschende Wirkung auf Katzen bekannt. Dafür verantwortlich ist der Duftstoff Nepetalacton, ein flüchtiges Iridoid, das die Katzenminze produziert. Ein internationales Forschungsteam fand jetzt mittels Genomanalysen heraus, dass die Fähigkeit, Iridoide zu bilden, bei den Vorfahren der Katzenminzen im Laufe der Evolution schon verloren gegangen war. Die Nepetalacton-Biosynthese in der Katzenminze ist also das Resultat einer „wiederholten Evolution“, allerdings mit dem Unterschied, dass sich dieses besondere Iridoid in der chemischen Struktur und den Eigenschaften sowie seiner ökologischen Funktion von anderen chemischen Verbindungen aus dieser Naturstoffgruppe grundlegend unterscheidet.
Iridoide sind sekundäre Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Terpene. Viele Pflanzen bilden diese Stoffe, um sich gegen Fressfeinde zu wehren und vor Krankheitserregern zu schützen, darunter auch sehr viele Arten aus der Pflanzenfamilie der Lippenblütler (Lamiaceae). Bei den Vorfahren einer besonders artenreichen Unterfamilie dieser Lippenblütler, den Nepetoideae, zu der viele bekannte Kräuter, wie Basilikum, Oregano, Rosmarin, Zitronenmelisse und Minze, gehören, ist die Fähigkeit zur Produktion von Iridoiden im Laufe der Evolution verloren gegangen. Allerdings gibt es eine wichtige Ausnahme: Die Gattung Nepeta, auch Katzenminze genannt. Denn diese Pflanzen bilden Iridoide, darunter eine ganz besondere Form: Nepetalacton, eine flüchtige Substanz, die dafür bekannt ist, dass sie Katzen in Euphorie versetzt. Ihre eigentliche Funktion besteht aber vermutlich darin, Schädlinge zu vertreiben, die an der Katzenminze fressen möchten.
Ein internationales Team von Forschern unter der Leitung von Sarah O’Connor, Direktorin der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, ist jetzt der Frage nachgegangen, wie und warum die Katzenminze Nepetalacton herstellt und wie die Biosynthesewege für diese einzigartigen chemischen Moleküle im Laufe der Evolution entstanden sind.
Dafür haben sie das Genom der Katzenminze analysiert. „Wir haben eine Reihe ungewöhnlicher Enzyme entdeckt, die an der Bildung von Nepetalacton-Molekülen beteiligt sind. Diese Enzyme kommen in keiner anderen verwandten Gattung aus der Nepetoideae-Familie vor, sie sind also nur in der Katzenminze entstanden. Als wir zum ersten Mal das komplette Genom der Katzenminze sahen, bemerkten wir zu unserer Überraschung, dass die Gene, die wir im Verdacht hatten, für die Bildung von Nepetalacton verantwortlich zu sein, nebeneinander im Genom liegen. Dadurch konnten wir das Rätsel leichter lösen“, erläutert Benjamin Lichman vom Centre for Novel Agricultural Products der Universität York, der auch der Erstautor der Studie ist.
Wiederholte Evolution
Für ihre Studie verglichen die Forscher das Genom zweier Arten der Katzenminze, die beide Nepetalacton bilden, mit dem der nahe verwandten Heilpflanze Ysop (Hyssopus officinalis), die weder Nepetalacton, noch andere Iridoide produzieren kann. Dieser vergleichende Ansatz, die Nachbildung des Erbguts von Vorfahren der Katzenminze sowie umfassende Stammbaum-Analysen ermöglichte es den Wissenschaftlern, die zeitliche Abfolge der Ereignisse, die zur Entstehung der Nepetalacton-Biosynthese führten, darzulegen. Sie konnten zeigen, wie es erst zum Verlust und dann zur wiederholten Evolution der Iridoid-Biosynthese in der Katzenminze kam.
Die neuen Entdeckungen liefern umfassende Einblicke in die Mechanismen der Evolution neuartiger Pflanzenstoffe und deren Vielfalt. Das besondere an der Nepetalacton-Biosynthese ist, dass sie als Gencluster abgebildet wird, also als Gruppe ähnlicher Gene, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft im Genom befinden. Die Forscher anaysierten dieses Cluster und zogen auch „Genfossilien“ und wiederhergestellte Ur-Enzyme in ihre Betrachtungen mit ein. Dadurch konnten sie wichtige Schritte zur Bildung dieses Clusters aufdecken. Ähnliche Schritte führen auch in anderen Pflanzen zur Evolution dieser ungeheuren Vielfalt an pflanzlichen Stoffwechselprodukten.
„Die Katzenminze ist für die Erforschung solcher Prozesse ein wunderbares Modell. Wir wollen jetzt versuchen, die in der Katzenminze enthaltenen Substanzen zu modifizieren. Damit möchten wir herausfinden, ob wir wirklich alle Aspekte der Biosynthese sowie die ökologischen Funktionen von Nepetalacton verstanden haben. Dies wiederum wird uns dabei helfen zu ermitteln, welcher Selektionsdruck zum Verlust und zur erneuten Entstehung der Iridoid-Biosynthese geführt hat. Dafür schauen wir uns auch weitere Pflanzen der Gattung Nepeta an, die andere ungewöhnliche Iridoide produzieren“, sagt Sarah O’Connor im Hinblick auf die weiteren Forschungspläne.
Die Studienleiterin ist seit einem Jahr Direktorin und Leiterin der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Der Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Biosynthese von pflanzlichen Stoffwechselprodukten, die nicht nur von ökologischer Bedeutung sind, sondern auch für medizinische Zwecke genutzt werden können. Dafür möchte sie verstehen, wie und warum Pflanzen über so komplexe chemische Reaktionen eine solche Vielfalt an Molekülen hervorgebracht haben: „Pflanzen sind in der Lage, ständig neue chemische Stoffe zu bilden. Mit unserer Forschung möchten wir Momentaufnahmen dieser Evolution in Aktion machen.“