Mikroben investieren in Beweglichkeit
Bei Nahrungsknappheit können Bakterien neue Ressourcen erschließen
In biologischen Systemen, aber auch in Finanzsystemen, spiegeln RegulierungsstrategienAbwägen zwischen Kosten und Nutzen von Investionen in Ressourcen wider. Im Fall des Bakteriums Escherichia coli wird die kostspielige Investition in die Beweglichkeit bei Nahrungsknappheit erhöht. Forschern des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie in Marburg zufolge scheinen die Bakterien im Voraus in Motilität zu investieren - ein Handel, dessen Erfolg letztlich von der Fülle und Qualität des angetroffenen Nährstoffs abhängt.
Wie auch der Mensch, leben Bakterien in den meisten Ökosystemen mit begrenzten Ressourcen. Deshalb stehen sie ständig vor Investitionsentscheidungen: Sollen sie ihr Bewegungsverhalten verbessern und sich damit eventuell neue Ressourcen erschließen, oder dem Zellwachstum den Vorrang geben und sich damit einen reproduktiven Fitnessvorteil verschaffen?
Schwimmende Bakterien können typischerweise verschiedenen Nährstoffgradienten in ihrer Umgebung folgen, indem sie die Häufigkeit ihrer Richtungs-Umorientierungen relativ zum Nährstoffgradienten anpassen (Chemotaxis). Bakterielles Schwimmen basiert auf rotierenden Flagellen, die wie Propeller arbeiten und durch Protonenkraft angetrieben werden. Ein komplexer Signalweg, der eine Reihe von Reiz-spezifischen Rezeptoren enthält, steuert sowohl die Chemotaxis als auch die Motilität. Somit ist das Schwimmen eines der kostspieligsten bakteriellen Verhaltensweisen; die Mikroorganismen bezahlen sie mit teuren Proteinen. Die Prozesse, die an der Chemotaxis und Motilität beteiligt sind – der Aufbau von Flagellen bzw. die Versorgung ihrer Rotation und, in geringerem Maße, die chemotaktische Signalgebung - verbrauchen mehrere Prozent des gesamten zellulären Protein- und Energiebudgets.
„Eat and Run“
"Wegen der hohen Kosten der Motilität reduziert die Expression von Genen des Flagellarapparats das Wachstum", erklärt Bin Ni, Postdoktorand in Victor Sourjiks Gruppe 'Mikrobielle Netzwerke' am Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie in Marburg. "Aber überraschenderweise reguliert E. coli die Motilität vor allem dann hoch, wenn die Nahrung begrenzt ist. Das wirft die Frage nach dem inhärenten Trade-off zwischen Nutzen und Kosten dieser Ressourcen-Investition auf. Und diese wiederum ist mit der grundlegenderen Frage verbunden: Inwieweit werden genregulatorische Programme durch die Evolution optimiert?“
In einer Zusammenarbeit mit dem Imperial College in London konnten die Max-Planck-Forscher zeigen, dass der Fitnessvorteil, den Bakterien durch die gerichtete Bewegung zu den Quellen der Nährstoffe erhalten, ähnlich von der Wachstumsrate abhängt wie die Investition in die Beweglichkeit. Wenn die Nahrungsqualität schlechter wird, investieren Bakterien mehr in die Synthese von motilitätsbezogenen Nanomaschinen und profitieren mehr von der Fähigkeit, den Nährstoffgradienten zu folgen.
Bakterien können vorausschauend investieren
Wie die Ergebnisse zeigen, scheinen die Bakterien in das Bewegungsverhalten im Voraus zu investieren – und zwar im Verhältnis zum erwarteten Nutzen, der durch die Chemotaxis erzielt werden kann, wenn Nährstoffgradienten in ihrer Umgebung verfügbar werden. Evolutionär gesehen könnte sich eine solche vorausschauende Investition in zelluläre Ressourcen ergeben haben, weil Nährstoffgradienten in der natürlichen Umgebung von Bakterien, sei es im tierischen Darm oder im Boden, unvorhersehbar und kurzlebig sind. Daher wäre es für die Bakterien möglicherweise nicht zuverlässig, die Expression von Motilitätsgenen an den Nutzen der Chemotaxis zu koppeln.
Was könnte ein Wall Street Manager also von Bakterien lernen? "Der Tierdarm ist kein Börsenparkett, deswegen sollten wir Parallelen zu den Finanzmärkten mit Vorsicht behandeln", bemerkt Victor Sourjik. "Aber eine Erhöhung der Investitionen im Verhältnis zu den erwarteten zukünftigen Auszahlungen, selbst wenn die Ressourcen knapp werden, könnte sowohl für biologische Systeme als auch für die Finanzmärkte gut funktionieren. Zumindest für Bakterien, die einer unsicheren Umgebung ausgesetzt sind, scheint dies eine optimale Strategie zu sein."