Bakterien-Mix in Tiefseemuscheln
Die Schalentiere beherbergen in ihren Kiemen verschiedene Bakterienstämme und sind so gegen Veränderungen der Umwelt gewappnet
Tiefseemuscheln, die sich mit Hilfe bakterieller Symbionten ernähren, beherbergen überraschend viele Untermieter: Bis zu 16 verschiedene Bakterienstämme wohnen in den Kiemen der Muschel, jeder mit eigenen Fähigkeiten und Stärken. Dank dieser Vielfalt an symbiotischen Partnerbakterien ist die Muschel für alle Eventualitäten gewappnet. Dabei schnürt sich die Muschel ein Rundum-Sorglos-Paket.
Heiße Quellen in der Tiefsee sind faszinierende und reichhaltige Lebensräume. In der scheinbar lebensfeindlichen Umwelt gedeihen beispielsweise Muscheln, indem sie in ihren Kiemen Bakterien als Untermieter beherbergen. Diese Bakterien wandeln für Tiere nicht nutzbare Stoffe aus den heißen Quellen in schmackhafte Nahrung für ihren Wirt um.
Eine deutsch-österreichische Forschergruppe um Rebecca Ansorge und Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen und Jillian Petersen von der Universität Wien haben auf mehreren Forschungsfahrten an Schwarzen Rauchern Bathymodiolus-Muscheln gesammelt, entfernte Verwandte der essbaren Miesmuschel. An solchen hoch aufragenden Schloten strömt heißes, mineralreiches Wasser aus dem Meeresgrund. In ihren Labors in Bremen und Wien analysierten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dann im Detail die Genome der bakteriellen Bewohner dieser Muscheln.
Bislang war man der Meinung, dass die Muschel nur ein oder zwei Arten von Symbionten beheimatet. Doch offensichtlich ist Bathymodiolus deutlich gastfreundlicher. „Tatsächlich finden wir in einer einzigen Muschel bis zu 16 verschiedene Bakterienstämme“, so Ansorge.
Vielfalt lohnt sich
Die einzelnen Bakterienstämme sorgen dafür, dass die Muschel für alle Eventualitäten gewappnet ist. Denn sie erfüllen jeweils verschiedene Funktionen, helfen bei Stoffumsetzungen und besitzen unterschiedliche Fähigkeiten. „Symbionten können beispielsweise verschiedene Stoffe und Energiequellen aus dem Umgebungswasser nutzen und damit die Muscheln ernähren“, erklärt Ansorge. Andere wiederum sind besonders widerstandsfähig gegen Viren oder Parasiten.
„Wir vermuten, dass die große Biodiversität ihrer Untermieter die Muschel sehr wandlungsfähig macht“, fügt Jillian Petersen hinzu, die Leiterin des an der Studie beteiligten Labors der Universität Wien. Wenn sich ihre Umwelt verändert – was in einem so dynamischen Lebensraum wie einem Schwarzen Raucher häufig der Fall ist –, kann sich die Muschel schnell anpassen. Jene Bakterienstämme, die unter den neuen Bedingungen besonders gut gewachsen sind, treten dann in den Vordergrund. Auch wenn die Muschel neue Lebensräume besiedeln möchte, ist sie mit diesem Mosaik an Symbionten gut vorbereitet. Die vielen Köche verderben der Muschel also nicht den Brei, vielmehr kann sie für jeden Fall genau den richtigen Brei zubereiten.
„Eine solche Vielfalt an Symbionten passt nicht zu gängigen Evolutionstheorien, nach der so ähnliche Organismen wie diese symbiotischen Bakterien nicht nebeneinander existieren können“, erklärt Nicole Dubilier, Projektleiterin der Studie und Direktorin am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie. Das liegt an einer Besonderheit der Tiefseesymbiosen: Die Muschel ernährt ihre Untermieter nicht direkt, sondern sorgt nur dafür, dass sie nahe ihrer Futterquelle an den Schwarzen Rauchern leben. Ihre Nahrung beziehen die Symbionten dann aus dem Umgebungswasser. „Dadurch kann die Muschel auch solche Bakterien beherbergen, die gerade nicht optimal arbeiten. Man weiß ja nie, wann sie noch nützlich werden.“
Von Lucky Strike bis Lilliput
Lucky Strike, Semenov, Wideawake, Clueless, Lilliput – so heißen die Hydrothermalfelder, an denen Ansorge und ihre Kollegen die gastfreundlichen Tiefseemuscheln bisher gefunden haben. Diese Felder sind verteilt entlang des gesamten Mittelatlantischen Rückens, von den Azoren bis weit in den Südatlantik, Tausende Meter unter der Meeresoberfläche. An allen untersuchten Stellen fanden die Forschenden das gleiche Muster einer unerwartet hohen Symbiontenvielfalt mit geringfügigen Unterschieden in den einzelnen Fähigkeiten, die vermutlich auf die jeweiligen Bedingungen vor Ort abgestimmt sind.
„Als nächstes wollen wir erforschen, ob diese Vielfalt auch in anderen Tiefseesymbiosen wie Schwämmen oder anderen Muscheln existiert und ob unsere Beobachtungen typisch für Symbiosen sind oder auch in nah verwandten frei lebenden Bakterien vorkommen“, sagt Ansorge.