Kompetente Schimpansen-Nussknacker
Schimpansen erlernen Nussknacktechnik und erreichen Expertenkompetenz verhältnismäßig schneller als Menschen
Menschen werden häufig als überlegene Werkzeugnutzer betrachtet, die andere Menschen auf einzigartige Weise in ihren Fertigkeiten unterrichten. Ein klares Verständnis der Unterschiede zwischen Menschen und Tieren zu erlangen wurde bisher jedoch eingeschränkt durch die Schwierigkeit, verschiedene Arten in ihrem natürlichen Umfeld miteinander zu vergleichen. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des University College London verglich nun Menschen und Schimpansen, die bei der Nahrungssuche im afrikanischen Regenwald die gleiche Nussart zu knacken erlernten. Schimpansen eigneten sich die Technik schneller an als Menschen und erreichten auch früher als diese die gleiche Effizienz wie Erwachsene. Darüber hinaus unterschied sich die Effizienz von Erwachsenen beider Arten kaum. Außerdem fand bei beiden Arten ein Wissenstransfer von erfahrenen zu unerfahrenen Individuen statt, wobei die größere Variabilität beim Menschen teils auf ihre komplexere Nussknacktechnik zurückzuführen ist.
Der Mensch betrachtet sich selbst als Werkzeugnutzer per excellence. Alle bekannten menschlichen Populationen verwenden täglich Werkzeuge, wenn auch unterschiedlich häufig. Frühere Studien, die den Werkzeuggebrauch des Menschen mit dem anderer Tierarten verglichen haben, untersuchten die Tiere meist unter künstlichen Bedingungen und außerhalb ihres natürlichen Lebensraums. Solche Vergleiche könnten die Tiere jedoch benachteiligen und dazu führen, dass die technologischen Fähigkeiten von Wildtierpopulationen unterschätzt werden. In einem ersten Vergleich zwischen Individuen zweier Gruppen von Menschen und Schimpansen, die Nüsse auf natürliche Weise in ihrem Lebensraum knacken, konnten wir nun untersuchen, wie schnell und in welchem Umfang Lernende beider Arten die Technik erwerben. Dazu verglichen die Forschenden die für ihr Nüsseknacken bekannten Taï-Schimpansen von der Elfenbeinküste mit den Mbendjele BaYaka, die in den Wäldern der Republik Kongo gewöhnlich die gleiche Nussart, Panda oleosa, knacken. Sie folgten Gruppen von Mbendjele-Frauen, die im Wald nach Nahrung suchten, und wendeten dieselben Effizienzmessungen an wie zuvor bei den Taï-Schimpansen, um festzustellen, wie beide Arten sich die Technik im Wald aneignen.
In einer 2017 veröffentlichten Studie haben Boesch und Kollegen die Nussknackeffizienz der erwachsenen Weibchen beider Arten miteinander verglichen und entdeckten überraschende Ähnlichkeiten hinsichtlich der Leistung beider Populationen, obwohl sie unterschiedliche Werkzeuge verwenden. Die Menschen benutzen Holzhämmer und scharfschneidige Ambosse aus Metall, während die Schimpansen Steinhämmer und Wurzeln als Ambosse verwenden. In der aktuellen Studie lernten die "Auszubildenden" beider Arten die Technik langsam, wobei ähnliche Fehler aufgetreten sind, wie zum Bespiel: den Amboss direkt mit der Nuss zu treffen oder die Nuss auf den Boden – anstatt auf den Amboss – zu legen. Darüber hinaus benötigen beide Arten Jahre der Übung, um Experten zu werden. "Diese Studie ist die erste, bei der wir Menschen und Schimpansen miteinander vergleichen, die dieselbe Nussknacktechnik im Wald anwenden", sagt Christophe Boesch, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Hauptautor der Studie. "Dadurch stellen wir sicher, dass beide Arten über das gleiche Erfahrungsniveau beim Handhaben der Werkzeuge und der Nüsse verfügen und auch die Möglichkeit haben, Experten bei der Arbeit zu beobachten. Bei beiden Arten ist der Wissenstransfer der Schlüssel zum Erwerb technischer Fähigkeiten."
Selbst nachdem die Forschenden die Ergebnisse korrigiert hatten, um Unterschiede im Reifungsprozess beider Arten zu berücksichtigen, erlernten Schimpansen die Technik verhältnismäßig schneller als Menschen und erreichten auch früher als diese die Effizienz eines Erwachsenen. "Natürlich meistern die Mbendjele in Kongos Regenwald täglich sehr viel komplexere technische Herausforderungen, aber es ist dennoch interessant zu sehen, dass im Falle des Nüsseknackens Schimpansen die technischen Fähigkeiten schneller erwerben als Menschen. Nüsse sind bei Schimpansen über viele Monate im Jahr hinweg ein wichtiger Bestandteil ihrer Ernährung, während sie für den Menschen eine geringere Rolle spielen. So könnten bestimmte Umweltbedingungen durch selektiven Druck den Erwerb überlebenswichtiger Fähigkeiten fördern", schlussfolgert Boesch.
Darüber hinaus beobachteten die Forschenden bei beiden Arten eine regelmäßige Weitergabe von Wissen von Experten an "Auszubildende", die die Technik gerade erlernten – obwohl bisher häufig angenommen wurde, nur Menschen würden andere unterrichten. Das Nussknacken ist eine relativ komplexe Technik, bei der drei verschiedene Objekte verwendet werden: die Nuss, der Amboss und der Hammer. Diese Objekte werden auf eine ganz bestimmte Weise angeordnet und verwendet, um die Nüsse zu öffnen, ohne ihren Inhalt zu zerschlagen. Die Häufigkeit der Lehrinteraktionen, die die Forschenden bei beiden Arten beobachtet haben, verdeutlicht, dass Unterricht den Erwerb einer Fähigkeit erleichtert und zum Erwerb komplexerer Fertigkeiten bei beiden Arten häufiger zur Anwendung kommt.
Die relativ ähnliche Häufigkeit von Lehrinteraktionen bei beiden Arten und der verhältnismäßig schnellere Erwerb von Nussknack-Expertise bei Schimpansen sind überraschend, wenn man annimmt, dass Menschen Tieren beim Werkzeuggebrauch im Allgemeinen überlegen sind. Die Autoren betonen, dass sich sowohl Schimpansen als auch Menschen an die Herausforderungen anpassen müssen, mit denen sie täglich in ihrer Umwelt konfrontiert werden. Je mehr sich diese ähneln, umso ähnlicher entwickeln sich möglicherweise auch die Lösungsansätze und kognitiven Fähigkeiten beider Arten. Ähnliche Vergleiche unter natürlichen Bedingungen werden zukünftig dazu beitragen, die technischen Fähigkeiten beider Arten vergleichend zu bewerten und einzuschätzen, auf welche Art und Weise sich der Mensch beim Werkzeuggebrauch tatsächlich unterscheidet.